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Rafael Reisenhofer Osnabrück

Lebt und studiert in Osnabrück

8. 4. 2009 - 15:11

Groß werden im Sportverein

Manche gründen eine Band, andere schreiben Weltschmerz-Lyrik und ganz wenige gewinnen die Mathematikolympiade. Mein Kontrastprogramm zum tristen Schülerdasein: Fechten!

Am vorletzten März-Wochenende fanden in Linz die Österreichischen Meisterschaften der Junioren im Fechten statt, dem eleganten Sport für Freunde feiner Klingen und weißgewandeter Duellanten. Noch vor zwei Jahren hätte das für mich geheißen: 06:30 Tagwache, ein hastiges Frühstück, umziehen, aufwärmen und dann mit Anspannung und Ambition ab auf die Planche, ins alljährliche Rennen um den Titel. Da aber eine der ersten Alterserscheinungen in der Welt des Sports die drohende Metamorphose zum drögen Funktionär ist, verbrachte ich das Wochenende diesmal nicht schwitzend auf der Fechtbahn, sondern vergleichsweise passiv hinter Computer und Mikrofon, als Herr über Ergebnisse und Paarungen, sowie bevorzugte Anlaufstelle erboster Trainer und desorientierter Fechter. Die fetten Jahre waren also offensichtlich vorbei. Grund genug, für ein bisschen Nostalgie.

Zwei Florettfechter auf der Fechtbahn. Der Angreifer liegt in einem tiefen Ausfall, während sein Widerpart im Kreuzschritt hektisch die Flucht nach hinten antritt.

OÖLFK

Dynamik im Herrenflorett-Finale. Es fechten von links nach rechts: Dominik Wohlgemuth gegen Johannes Poscharnig.

Eltern, Lehrer und ein bisschen Ehrgeiz

Als ich im Alter von zehn Jahren zu meinem ersten Training im Turnsaal der Linzer Goetheschule erschien, hatte dies vorrangig erzieherische Hintergründe. Meine Eltern waren damals der vertretbaren Ansicht, eine gelungene Kindheit bedürfe regelmäßiger körperlicher Betätigung und überdies hatte ihnen meine damalige Religionslehrerin dringlichst dazu geraten, meine - zumindest für sie - offensichtlichen Selbstaggressionen in einer möglichst zivilisierten, harmlosen Art und Weise zu kanalisieren. Ich wiederum war hoch erfreut, ein weiteres Ventil für meinen zu dieser Zeit geradezu überschäumenden - und wie ich rückblickend anmerken muss: höchst unsympathischen - Ehrgeiz gefunden zu haben. Die erste nachhaltige Erfahrung, welche mir der Sport also beschied, war die der regelmäßigen Niederlage.

Matthias Willau

Matthias Willau

Der Mödlinger Säbelfechter Matthias Willau machte es übrigens weitaus besser als ich und errang bei den derzeit in Belfast stattfindenden Kadetten-Weltmeisterschaften am Montag sensationell die Silbermedaille! Gratulation! Großartig!

Von der Niederlage

Ich glaube ja, dass man als Einzelsportler Niederlagen in gewisser Weise intensiver aufnimmt denn als Teil einer Mannschaft, da die Verantwortung nie im Kollektiv liegt, sondern immer fast zur Gänze bei einem selbst. Im speziellen Fall des Fechtens kommt noch verschärfend die einer Kampfsportart innewohnende Unmittelbarkeit hinzu. Während ein Skifahrer zuvordererst die Piste bezwingt und das eigentliche Resultat durch einen vergleichsweise abstrakten Vergleich gemessener Zeiten entsteht, während im Tennis der Gewinn eines Punktes erst durch die Definitionen des Regelwerks real wird, so ist man als Fechter mit dem Triumph des Gegners, dem Unterlegen-sein, dem Getroffen-werden, konkret und ungefiltert konfrontiert. Mein jugendliches Ego trug folglich schwer an den unvermeidlichen Momenten der Niederlage. Den diesbezüglichen Höhepunkt erlebte ich bei meiner ersten Teilnahme an Nachwuchs-Weltmeisterschaften, wo Dabeisein für mich tatsächlich alles und mein kurzer Auftritt in jeder Hinsicht enttäuschend war. Die Folge waren wochenlange Exerzitien in Sachen Selbstmitleid und ein entsprechend rastloser Schlaf.

Selbstverständlich sind Spaßfaktor und Mehrwert einer solchen Frustbewältigung langfristig gesehen höchst überschaubar, und so drängten sich mir im Lauf der Zeit geradezu mitreißende Erkenntnisse auf. Ich lernte, mein Leistungsvermögen realistisch einzuschätzen, entsprechend dem vorangegangenen Trainingspensum vernünftige Zielvorgaben zu definieren und hörte schließlich damit auf, vergangene Bewerbe ausschließlich binär den Kategorien "War eh alles super!" und "Nächstes mal wird's sicher besser!" zuzuordnen. Stattdessen versuchte ich nach Kräften Gefechte ernsthaft zu analysieren, Fehler aufzudecken, Schlüsse zu ziehen. Und irgendwann stellte sich dann ein, was zuvor in meiner engen, egozentrischen Weltsicht nur ein bemitleidenswertes Schattendasein geführt hatte: Anerkennung der Leistungen des Gegners.

Zwei ältere Männer in Trainingsanzügen, offensichtlich Trainer, sitzen in einer Sporthalle am untersten Rang einer Tribüne und diskutieren das Geschehen.

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Trainer!

Der Trainer

Ein Mann, der all dies bereits im Hintergrund getan hatte, während ich entwicklungstechnisch noch tief in einem selbstgefälligen Jammertal feststeckte, war mein Trainer. Die Beziehung zwischen Sportler und Trainer hat im besten Fall eine Qualität, die - im Gegensatz zu den im vorangegagenen Absatz formulierten, fast Managementseminar tauglichen Allgemeinplätzen - Außenstehenden nur schwer zu vermitteln ist. Zuallererst bedingt sie absolutes Vertrauen. Wenig ist fataler, denn als Sportler den Glauben an das Konzept seines Coaches verloren zu haben. In Folge fehlt es in der Vorbereitung oft an letzter Konsequenz bei der Erfüllung der Trainingspläne, an Intensität während der Übungen und in einer knappen Wettkampfsituation am entscheidenden Quäntchen Selbstvertrauen. Überdies ist der Trainer als Respekts- und Autoritätsperson von einer Statur, die ihresgleichen sucht. Eltern, Lehrer, Professoren, Polizisten - lächerlich! Niemals hätte ich mich von einer der hier genannten Autoritäten mit einer solchen Selbstverständlichkeit, untermalt von wilder Gestik und dosiertem Geschrei, bis zu einer halben Stunde lang aufs heftigste beschimpfen lassen. So gesehen rechne ich es meinem Trainer, Viktor Artemschouk, hoch an, dass er bisweilen erfolgreich versuchte, die Atmosphäre ein wenig mit lustigen russischen Abenden aufzulockern und eventuelle Unstimmigkeiten in Flüssen von Vodka zu ertränken.

Ein Degenfechter in Jubelpose nach einem gelandeten Trefer. Im Hintergrund eine Tribüne mit zum Teil applaudierenden Zuschauern.

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Der spätere Österreichische Meister Lukas Nussbaumer dreht nach einem gelandeten Treffer jubelnd ab.

"Der Bub könnte gesünder sein, kam in den Turn- und Sportverein. Samstags halbstark amüsiern, sonntags beim Turnier verliern.

Mit andern flaumbärtigen Lumpen Stiefel um die Wette pumpen, elend ins Vereinsklo spucken, Maul abwischen, weiterschlucken."

(Joint Venture - Chronik meines Alkoholismus)

Die Gemeinschaft

Feucht-fröhliche Abende waren selbstverständlich auch abseits der kleinen Wohnung unseres Fechtmeisters keine Seltenheit. Und wem schon zu Beginn des Textes vor drohendem Gemeinschafts-Gefasel und euphorischer Gruppenromantik graute, dem sei gesagt: völlig zurecht! Denn natürlich gibt es wenig verbindenderes, als gemeinsames Schwitzen, lange Busfahrten und Flugreisen zu weit entfernten Wettkampfstätten, denkwürdige Teamgefechte und im unterstützenden Beisein der gesamten Mannschaft errungene Erfolge. Ganz zu schweigen von den obligatorischen Sommertrainigslagern, mit all ihren Muskelkatern, Blasenpflastern, morgendlichen Läufen und abendlichen Exzessen. Gerade für mich, der ich mit der Stadt meiner Jugend nie sonderlich warm wurde und in diversen Schulhöfen - wenn überhaupt - meist schief angesehen wurde, war es eine unsagbare Notwendigkeit, zumindest eine Turnhalle zu haben, wo ich mich ein paar Mal in der Woche richtig daheim fühlen konnte.

Eine kleine Einführung samt popkulturellem Exkurs in Sachen Fechten findet sich übrigens ganz tief bei Janis im Archiv. Sehen Sie sich das an!

Dankeschön!

Und darum möchte ich dem Oberösterreichischen Landesfechtklub aufrichtig danken. Für einen hauptberuflichen Computer-Geek konnte ich mich erstaunlich schlank halten, und ich hatte mehrere Jahre lang gute Gründe, fast jedes zweite Wochenende aus Linz zu fliehen, sowie von der Schweiz bis Südkorea die unterschiedlichsten Ecken der Welt zu besuchen. Abgesehen davon kann ich jedem, der ebenso wie ich nicht genau weiß, was er von Turbokapitalismus und der modernen Leistungsgesellschaft halten soll nur empfehlen, es mit einem kleinen Ausflug in den Wettkampfsport zu versuchen. Hier werden die ansonsten oft unter der Hand und gut versteckt angewandten Prinzipien zumindest noch ehrlich ausgelebt und nicht im trügerischen Licht falscher sozialer Besorgtheit tagtäglich verleugnet. Und gäbe es nicht "meinen" Fechtverein, ich hätte einen guten Grund weniger, dann und wann doch wieder nach Linz zurückzukommen. Es war eine gute Zeit.