Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Journal '09: 1.4."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

1. 4. 2009 - 14:39

Journal '09: 1.4.

Die Sache mit dem Kernauftrag. Oder: warum man die Unterhaltung nicht aus dem neuen ORF draußen halten kann.

Die Rettet den ORF-Resolution, die gestern allerorten veröffentlich wurde, kommt aus einem Personen-Komitee von Menschen mit hoher Reputation, unbestreitbarer Integrität und einigem an Fachwissen.
Ohne die Unterzeichner Hubert Gaisbauer oder Wolfgang Kos - in meiner Biografie wesentliche Lehrer, Impulsgeber und Beibringer - etwa wäre ich nichts.
Brandstaller, Coudenhove-Kalergi, Hamann, Heller, Huemer, Jagschitz, Jesionek, Liessmann, Menasse, Anton Pelinka, Schuh und andere mehr: allesamt mehr als nur ernstzunehmende Einflüsse.
Deshalb ist der Text zum Thema ORF auch wichtig und richtig geworden. Und gemeinsam mit der Resolution des ORF-Redakteursrats das derzeit relevanteste und seriöseste Basis-Konzept für eine Gesetzes-Änderung.

Ich habe damit trotzdem zweieinhalb Probleme.
Und gerade weil sich, so denke ich, alle Menschen, die für eine halbwegs vernünftige Debatte (also ohne Schaum vorm Mund) zugänglich sind, sich grade drüber einig sind, dass hier eine Zusammenfassung vorliegt, die man unterschreiben/unterstützen kann, zahlt es sich aus, diese Details zu besprechen.
Auch weil sie nur scheinbare Details sind.

Die Sache mit dem "Sanierungsfall"

Die halbe Sache ist schnell erledigt.
Zu Beginn des Manifests ist vom ORF als Sanierungsfall die Rede - da hat sich der Wortführer Gerd Bacher wohl durchgesetzt.
Das ist allein deshalb falsch, weil der ORF damit in eine Reihe mit ernsthaft und akut gefährdeten Betrieben wie der AUA gestellt wird - was ein Unsinn ist (der aber von einigen durchaus mit politischer Absicht betrieben wird).

Im Gegensatz z.B. zur AUA, aber auch im Gegensatz zu den Medien, in denen der Aufruf erscheint, verfügt der ORF nämlich über Aktiva, einen gehörigen Polster an Eigenmitteln, und hat keinen Euro Bankschulden - während tatsächliche Sanierungsfälle jetzt schon mit dem Rücken an der Wand stehen und die meisten Tageszeitungen nur auf Pump oder durch Goodwill eines Finanziers leben, der jederzeit aussteigen kann (und diese Macht auch gerne ausspielt). Hält die Finanzkrise noch ein paar Jahre an, dann kommt der ORF auch mit seinen Rücklagen (die sich im satten dreistelligen Millionen-Bereich bewegen) in Schwierigkeiten - deswegen ja auch das aktuelle Wrabetz-Programm und die Notwendigkeit für ein neues Gesetz.
Ein Sanierungsfall sieht also anders aus.
Und: hysterische Hauruck-Aktionen würden nur den Zweck einer politischen und ökonomischen Destabilisierung des Unternehmens erfüllen.

Der Irrtum um den Kernauftrag

§ 4. (1) Der Österreichische Rundfunk hat durch die Gesamtheit seiner Programme zu sorgen für:
1. die umfassende Information der Allgemeinheit über alle wichtigen politischen, sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und sportlichen Fragen;
2. die Förderung des Verständnisses für alle Fragen des demokratischen Zusammenlebens;
3. die Förderung der österreichischen Identität im Blickwinkel der europäischen Geschichte und Integration;
4. die Förderung des Verständnisses für die europäische Integration;
5. die Vermittlung und Förderung von Kunst, Kultur und Wissenschaft;
6. die angemessene Berücksichtigung und Förderung der österreichischen künstlerischen und kreativen Produktion;
7. die Vermittlung eines vielfältigen kulturellen Angebots;
8. die Darbietung von Unterhaltung;
9. die angemessene Berücksichtigung aller Altersgruppen;
10. die angemessene Berücksichtigung der Anliegen behinderter Menschen;
11. die angemessene Berücksichtigung der Anliegen der Familien und der Kinder sowie der Gleichberechtigung von Frauen und Männern;
12. die angemessene Berücksichtigung der Bedeutung der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften;
13. die Verbreitung und Förderung von Volks- und Jugendbildung unter besonderer Beachtung der Schul- und Erwachsenenbildung;
14. die Information über Themen des Umwelt- und Konsumentenschutzes und der Gesundheit;
15. die Förderung des Interesses der Bevölkerung an aktiver sportlicher Betätigung;
16. die Information über die Bedeutung, Funktion und Aufgaben des Bundesstaates sowie die Förderung der regionalen Identitäten der Bundesländer;
17. die Förderung des Verständnisses für wirtschaftliche Zusammenhänge;
18. die Förderung des Verständnisses für Fragen der europäischen Sicherheitspolitik und der umfassenden Landesverteidigung.

Wichtiger und problematischer als diese etwas zu simple und unrichtige Verschlagzeilung eines seit langem kalkulierten Jahresdefizits ist allerdings ein anderer Punkt des Manifests.
Da heißt es:
Alle nicht zum Kernauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zählenden Aufgaben soll der ORF von kommerziellen Dritten besorgen lassen.
Das ist ein Punkt, auf dem die Verlagschefs sehr beharrt haben, weil in dieser Formulierung ein Hoffnungsmarkt drinsteckt.

Die Frage, die dieser Punkt aufwirft ist: Wer definiert, was dieser Kernauftrag ist?

Derzeit ist das Gesetz da recht deutlich und handelt in der Tradition von '66/67: in Paragraf 4.1 werden 18 Aufträge angeführt (es kommt dann extra noch ein Volksgruppen-Paragraf dazu), entscheidend ist aber die Passage in 4.2:
In Erfüllung seines Auftrages hat der Österreichische Rundfunk ein differenziertes Gesamtprogramm von Information, Kultur, Unterhaltung und Sport für alle anzubieten. Das Angebot hat sich an der Vielfalt der Interessen aller Hörer und Seher zu orientieren und sie ausgewogen zu berücksichtigen.

Die von den Verlagen angezündete und von der Politik eifrig übernommene (und zahllosen Nachbetern natürlich nachgeplapperte) Diskussion um eine Reduzierung all dieser Punkte auf den Hardcore-Informationsbereich ist also gegen das aktuelle Gesetz, gegen das diesbezüglich ähnlich lautende alte Gesetz, gegen die Rundfunk-Reform von '66/67 und will den Geist dieser Bestimmung aushöhlen.
Da ist nämlich sehr bewusst nicht von einem spezialistischen Angebot von Info-, Doku-, Sparten- und Nischen-Programmen die Rede, sondern von einem differenziertem Gesamtangebot von Info, Kultur, Sport und Unterhaltung.
Der in Punkt 8 extra und deutlich angeführten Unterhaltung.

Unterhaltung!

Natürlich ist der Begriff der Unterhaltung dick drinnen im ORF-Kernauftrag.

Ganz einfach weil die Unterhaltung das wichtigste Element ist möglichst viele zu erreichen. Und selbstverständlich ist in praktisch jeder einzelnen Quizfrage der Millionenshow eine der 18 geforderten Stärkungen drin; selbstverständlich erledigen Dancing Stars, Tschuschenpower, der Ö3-Callboy, alle ORF-On-Seiten, Mei liabste Weis und selbst der Musikantenstadl allesamt den "dirty job" die Österreicher zu unterhalten.
Und zwar so gut wie möglich; und das erscheint bei einem Massengeschmack wie dem in unserem Land halt oft einer qualfizierten Minderheit als unzumutbar (geht mir ja auch so) - was noch lange nicht zum Fehlschluss führen kann, dass das jenseits des öffentlich-rechtlichen Kernauftrags stehen würde. Im Gegenteil.

All das, wie im Manifest gefordert, Privaten zu überlassen, das wär so, wie die Grundversorgung mit Wasser an Coke abzutreten - die würden sofort Sprite durch die Leitungen jagen, um alle anzufixen (und deren Gesundheit nachhaltig zu beschädigen).
Privatanbietern geht es auch bei Unterhaltungs-Formaten in erster und einziger Linie darum etwas zu verkaufen, direkt oder indirekt. Der volksbildnerische Aspekt, der einzig vom öffentlich-rechtlichen Medium garantiert werden kann, bliebe dabei völlig auf der Strecke.

"Volksbildung"

Die Unterhaltung ist also Teil des Kernauftrags.
Ich möchte sogar behaupten, dass sie den wichtigsten Teil des Kernauftrags darstellt, weil er all jene erreicht, die sich gerne in Richtung Bildungsferne abseilen wollen, die aber auch noch erwischt gehören.
Das ist praktische Volksbildung.
Denn das zentrale "Verständniss für alle Fragen des demokratischen Zusammenlebens" ist ja nicht so sehr das Problem der braven Nachrichten/Doku-Konsumenten, sondern eher das der desinteressierten Modernisierungsverlierer und Bildungsverweigerer. Für die braucht's sowas wie Ö3 nachgerade zwingend, damit sie dort ihre gut portionierte Mindest-Dosis eingeflößt kriegen.

Wie sehr die Privaten an dieser Aufgabe scheitern, zeigen die über zehn Jahre andauernden Fehlschläge das Erfolgsmodell Ö3 nachzubauen. Im kommerziellen Feld glaubt man nämlich das alles, die umfassende Service-Fütterung aussparen zu können - alle nur mit Süßzeug vollzustopfen, reicht aber nicht. So schlau ist der Konsument dann nämlich auch selber.

Das Problem des Manifests ist, dass es von lauter Kulturmenschen geschaffen wurde, die sich für diese gewöhnlichen Niederungen nicht nur als Konsumenten zu schade sind, sondern auch noch verweigern sie mitzudenken.

Alte Männer wie wir regieren die Welt

Wäre das nämlich der Fall, könnte die elitäre Formulierung "Alle nicht zum Kernauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zählenden Aufgaben soll der ORF von kommerziellen Dritten besorgen lassen." nämlich nicht so drinstehen.

Das ist mein erstes großes Problem mit dem Rettet den ORF-Manifest: dass niemand den Bauch, den Bereich, der über die eigene, sehr bürgerliche Sozialisation der Unterzeichner hinausgeht, mitgedacht hat - wohl auch aufrgund von Distinktionsängsten, was mit "Prolos" und deren abartigem Medienverhalten zu tun zu haben, wäh.

Dass man damit, womöglich teilweise unabsichtlich, denen in die Hände spielt, die dann die Unterhaltung wesentlich weiter treiben, turbokommerzialisieren und komplett italianisieren werden, daran hat scheinbar keiner gedacht. Dass dieser zusätzliche Anreiz zur Verblödung (denn, keine Sorge, es geht alles immer noch viel, viel schlimmer als Starmania, das zeigen RTL und Co ununterbrochen vor) in einer politisch zunehmend fragmentierten und instabilen Gesellschaft wie der österreichischen in der Konsequenz wesentlich demokratiegefährender ist, das mitzubedenken, ist - finde ich - nicht zuviel verlangt. Zumal es sich bei den Unterzeichnern ja nicht um irgendwen, sondern die Besten handelt.

Frequenz-Denker

Mein zweites großes Problem mit dem Manifest schließt da an: Ich lese nirgendwo etwas von einer künftigen Verpflichtung des ORF, die in Zukunft wesentlichen Ausspielwege mitzudenken.
Die neuen Medien kommen bei "Rettet den ORF!" nicht vor.

Auch kein Wunder: Die treibenden Kräfte, allesamt ältere Baujahre, denken noch in Antennenanlagen und Frequenzen (so wie die biedere Burgtheater-Besucherin in der Sumpf-Loge am Wochenende) und sind diesbezüglich hoffnungslos hinterdrein.

Das kann extrem gefährlich sein, wenn sie - wie beim letzten Gesetz - als Ratgeber hinzugezogen werden. Wenn digitale Analphabeten anno 2009 als Experten in der Formulierung der Medienzukunft auftauchen, kann das wirklich fatale Folgen haben.

Und manchmal sind es eben die scheinbaren Kleinigkeiten, die die schlimmsten Fallstricke innerhalb einer eh gut gemeinten Hilfestellung darstellen. Die das "Rettet den ORF"-Manifest insgesamt fraglos darstellt.