Erstellt am: 31. 3. 2009 - 16:30 Uhr
Journal '09: 31.3.
Tschuschenpower, diese Woche 17.15, ORF 1. Alle Folgen werden am Samstag, 12.15 wiederholt, samt Making of.
Das erste, was auffällt, ist die zuckend ästhetisierte Kamera: Sie schiebt ständig einen anderen Ausschnitt in den Focus, sie tänzelt.
Das zweite, was auffällt, sind die im Rechteck, das die Kamera einfängt, auftauchenden Protagonisten: Sie verschieben sich ununterbrochen, sind ein Schwarm in Bewegung, tänzerischer Bewegung.
Das dritte, was auffällt, ist der Umgang mit der Ton-Ebene, der Einsatz der Alltagsgeräusche und der von Musik: Die tänzelt unterstützend durch die Bilderwelt, schafft Authentizität, indem sie die Soundwelt der Jungen imitiert.
Das vierte, was auffällt, ist die Graphik, die GPS-mäßige Verortung, das an einer Jugendkampagne orientierte Collage-Ausreißbild, das auf den Köpfen der Real-Protagonisten tänzelt.
Und das fünfte, was auffällt ist die Sprache, die Erzählsprache, der innere Monolog des Jamal; die bewegt sich dort, wo Alltagssprache daheim ist. Sie tanzt am Rand dessen, was wirklich passiert, als kommentierende Girlande, die bekräftigt, aber nicht entscheidend weitertreibt.
Jakob M. Erwa
hat seine Tschuschenpower also vielschichtig überlegt, lässt nichts aus, tappt in keine der vielen TV-Film/Doku-Fallen. Wundert mich nicht. Erwa ist ein Kino-Regisseur, ein zutiefst tänzerischer noch dazu.
Ich hab' ihn nie bei der Arbeit erlebt, nur einen Abend lang, bei der Premiere von "Heile Welt", im Umgang mit seiner Crew, seinen Darstellern. Und da war das ähnlich, sehr leicht. Sehr tänzerisch - auch wenn er da schwere Themen abhandelt, und seine Akteure mit einer Menge Gewicht belastet.
Insofern war ich recht froh, als ich erfahren habe, dass es Erwa, der gerne Fröhlichkeit verbreitende, fast schon glucksend-überschäumende Autoren-Regisseur sein würde, der sich der ersten großen populären Migranten-Darstellungs-Saga der Neuzeit annehmen wird. Ich kann mich nämlich ja durchaus noch (wenn auch sehr dunkel) an einige durchaus ähnlich gelagerte Versuche erinnern, mit denen ein interkulturelles Verständnis für die damals erste Generation der sogenannten Gastarbeiter etabliert werden sollte.
Ich glaube sogar, dass das - damals, am Höhepunkt der Kreisky-Ära - durchaus funktioniert hat. Der Kollege Schmid hat unlängst erzählt, wie er Ulrich Seidls Good News nachgesehen hat und über das recht problemlose Umgangs-Verständnis von ausländischen Zeitungsverkäufern und alten Muaterln erstaunt war, das heute, zig populistisch-xenophobe Medien-Kampagnen später, unmöglich wäre.
Und: Good News war 1990.
Was sich seitdem geändert hat:
Die zweite Generation ist gekommen; um zu bleiben. Und der Umgang mit "denen", der steckt voller Tücken und Probleme.
So sehr auch in vielen Bereichen in den gut 15, 20 Jahren, die Österreich mit seiner 2. Generation, den Migranten-Kids, zubringt, schon was passiert und weitergegangen ist: Solange man sich an den Kern des Problems nicht rantraut, kann das nur Kosmetik sein. Und der Kern, das ist die Schule, das ist die Ausbildung. Und da haut einfach immer noch zu vieles nicht hin.
In zumindest der ersten Folge der Tschuschenpower ist das kein Thema: daran tänzelt auch die Erwa-Show vorbei. Man sieht in der kurzen Klassenszene zwar kurz, dass die überwiegende Anzahl der Kids dort Migrations-Hintergrund haben - das Wort "Hauptschule" fällt aber nicht.
Womöglich ist das auch recht clever: Warum soll eine leichtfüßige, inhaltlich ohnehin auf sovielen Ebenen stellungnehmende Unterhaltungssendung die Verantwortung für das Gesamte übernehmen und spielerisch Problemlösungen anbieten. Das ist zuviel verlangt.
Trotzdem turnt und tänztelt die Clique an diesem Problem nicht ohne Schrammen vorbei. Der einzige Schwabo im Team ist ein durch die Kleinbürgerlichkeit des Elternhauses schüchtern gehaltenes naives Burschi - im echten Leben wär' der natürlich im Gymnasium. Und das eingeborene Problem-Kid, der klassische Wiener Hauptschul-Insasse, bleibt somit elegant außen vor.
Ab zum Regaleschlichten
Andererseits packt es Erwa in einem anderen Bereich, wo's sonst ums Eingemachte geht, völlig richtig an: Seine Helden und Heldinnen leiden nicht unter ihren Lehrberufen (Regale schlichten, zuckerbäckern... ), die werden als selbstverständlich präsentiert. So wie es im Migranten
-Mainstream nämlich tatsächlich ist.
Denn natürlich gibt es auch da, wie überall, Klassenunterschiede. Ein avanciertes Projekt wie Migay etwa ist ein Oberschicht-Phänomen, ähnliches gilt selbstverständlich auch für dasbiber, wo sich alle Nationalitäten versammeln, aber natürlich die besser Ausgebildeten dominieren.
Und natürlich gibt es nicht nur innerhalb der verschiedenen Communities Distinktions- und Abgrenzungs-Kämpfe, sondern auch innerhalb dessen, was dem oberflächlichen Betrachter als einheitliche Kultur erscheint. Wer das urbane türkische Akademiker-Kind einmal über die anatolischen Eseltreiber schimpfen gehört hat, weiß was ich meine.
Tschuschenpower tut, was es kann.
Und das ist eh eine Menge.
Österreich und Wien haben es da nicht so leicht wie Deutschland oder Berlin, wo es einen größeren Markt und deshalb höhere Produktions-Budgets für Fiction zum Thema gibt und wo andererseits auch die Türken die deutlich stärkste Gruppe stellen - weshalb z.B. Türkisch für Anfänger ein derart großer Erfolg mit gleichzeitiger Anspruchserfüllung sein konnte.
Österreichs junge Migranten sind intern stark marginalisiert, in sozialisierten Ex-Yugo- oder türkisch-kurdisch-iranischen Konflikten gefangen und keine wirklich einheitlich anzusprechende Schicht oder Klasse.
Ich war einmal (eine Freundin hat mich mitgenommen, als Schwabo hat man da sonst keinen Zugang) bei einer sehr großen Party, bei der sich alle möglichen "Ausländer", "Tschuschen" etc. (in punkto Selbstironie geht da einiges) trafen, um zu einer Art erweiterter Balkan-Weltmusic-Disco abzutanzen. Und für einen kurzen Moment erschien mir das als idealer Multikulti-Kosmos, weil sich da afrikanische Mädchen mit asiatischen Jungs unterhielten, weil da ursprünglich bosnische mit ursprünglich indonesischen Kids Spaß hatten. Bloß war das erstens auch eher eine Sache des Standes und dann auch keine Koalition, die "draußen" halten würde.
Ausbildung auch für Nicht-Schwabos
Wirklich effektiv wirken kann nur eine ernsthaft auf die Migranten-Kids abgestimmte Bildungs-Politik. Eine, die sie nicht automatisch in den B-Zug des Lebens, zum Regal-Einräumen abkommandiert. Weil auch als Eselstreiber beschimpfte Kids in einem richtigen Umfeld was erreichen können würden.
Im übrigen ist morgen, Mittwoch Jakob M. Erwa bei Mirjam Unger in FM4-Connected live zu Gast.
Solange sich nur die Spiele-Industrie dafür interessiert, was die Tschuschen so an Power haben, wird man zwar brave Konsumenten, aber keine engagierten Staats- oder gar Weltenbürger heranziehen.