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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

29. 3. 2009 - 19:47

Fußball-Journal '09-21.

Nähe und Distanz. Zu einem wichtigen Einwurf in Sachen Nachwuchs-Pflege.

Das klappt übrigens nur deshalb, weil ich keine reine Fan-Position einnehme oder gar eine Vereins-Präferenz habe, sondern (und das eigentlich schon seit jeher) diese kleinen Liebeleien immer im Gesamt-Zusammenhang des heimischen Fußballs betrachtet habe. Erst das ermöglicht sowas wie Analyse.
Das nur als Pauschal-Antwort auf die immer wieder auftauchende Frage "Von wem bistn du Fan eigentlich?" und die Verwunderung über die Antwort "Von niemandem" - samt dem (in sich denkfaulen) Unverständnis über diese scheinbar bequeme, in Wahrheit aber viel anstrengendere Position.Fan eines Vereins zu sein, und ihn durch dick&dünn zu unterstützen ist nämlich nur vorder-gründig schmerzhaft, in Wahrheit aber engt es den Blickwinkel so ein, dass man eben allzu bequem wird. Fan des Fußball-Spiels an sich zu sein, ist eh hart genug.

Dieses seit einigen Jahren regelmäßig stattfindende Fußball-Journal findet nicht im luftleeren Raum statt; es führt zu Reaktionen und Diskussionen, die oft viel wichtiger sind, als das, was hier vielleicht einmal überhitzter Ausgangspunkt war.

Auch deshalb, weil derlei sonst viel zu selten passiert. Das Fan-Sportblog bildet eine interne Sicht ab und spart vieles aus. Und der heimische Fußball-Journalismus zeichnet sich viel mehr durch seine Weglassungen als durch seine ehrlichen Analysen aus: jeder gute Autor kann dir "privat" die wesentlich interessanteren Geschichten erzählen. Auf meine Frage, warum ich diese viel wichtigeren Dinge fast nie von ihnen lesen könne, beginnt eine Vorsichts- und Ausreden-Kultur, die viel österreichisches (Untertanenstaats-Traditionen) aber auch viel österreich-fußballspezifisches (schlechte Strukturen) in sich trägt, aber auch mit dem Schutz der wenigen ehrlichen Quellen zu tun hat.

Weiterführende Anmerkungen zur 21er-Lücke

All das wird zunehmend besser. Gerade in den letzten Wochen hat zb der Kurier in Sachen Doping-Aufdeckung wirklich Maßstäbe gesetzt, die all die angeführten Ausreden hintanstellt. Während ich das tippe, läuft im Hintergrund ein Sport am Sonntag-Special zum Thema, das vor nur weniger Jahren so nicht möglich gewesen wäre. Und auch im Bereich Fußball leisten einzelne Vertreter (wieder ganz vorn: der Kurier, auch einzelne Standard-Autoren, teilweise die OÖN, Sportportale wie sportnet.at und laola1.at beteiligen sich da nachhaltig mit kritischen Ansätzen) gute Arbeit.

In diesem zunehmend offeneren Dialog über das Qualitäts-Management von Fußball-Berichterstattung (und deshalb automatisch auch dem des heimischen Fußballs) gibt es zunehmend Reaktionen, die sich nicht nur in "Super, dass das endlich einer anspricht!" oder "Das geht viel zu weit und ist eine unbewiesene Behauptung!" ergehen (Anmerkungen, die nett sind, aber nicht viel bringen), sondern weiterführenden Charakter haben.

Am Donnerstag zb hab ich (aus Anlass des mittwöchigen U21-Testspiels) im Fußball-Journal 20 angemerkt, dass ich die teamberufenen Pehlivan oder Dragovic für eher zufällig entwickelte Spieler halte: "beide haben nur zufällig wegen Verletzungen ihre Chance erhalten, gezielt war da nix".

Die Pehlivan-Replik

Nun schreibt einer aus dem Kreis der von mir vorhin erwähnten dazu folgendes:
"Was bei Dragovic stimmt, ist bei Pehlivan schlicht falsch. Pehlivan wurde von Pacult von den ersten Trainingseinheiten mit den Profis an als zentraler MF-Spieler neben Heikkinen aufgebaut. Da ich beim (für Pacult traditionell immens wichtigen) Trainingslager auf Zypern mitte Jänner dabei war, konnte ich beobachten, dass sein Lieblingsspieler Boskovic schon nach ein paar Tagen auf die ungeliebte linke Flanke geschoben wurde, um für Pehlivan Platz zu machen. Ich hab damals mit Pacult ein Interview gemacht, indem er (für ihn völlig untypisch) schon den Neuen besonders gelobt hat.

Er hat also damals schon mit Pehlivan geplant, weil er sein enormes Können erkannt hat. Pacult kann und darf es dir scheinbar nicht recht machen. Bei allen seinen unbestrittenen Fehlern und Unzulänglichkeiten - er kann einiges sehr gut. Etwa Talent von Mittelmäßigkeit unterscheiden. So bei Korkmaz (der bei Vorgänger Zellhofer fünf Minuten gespielt hat), Drazan, aktuell Pehlivan oder auch Boskovic, den im damaligen körperlichen Zustand kein anderer Trainer als Neuverpflichtung durchgeboxt hätte.

Außerdem ist er um vieles mutiger als die meisten anderen Buli-Trainer. Zwei Debütanten beim wichtigsten Spiel des Frühjahrs aufstellen, weil sie im Training besser waren - wer hätte das sonst gemacht? Kayhan würde übrigens jetzt noch statt Rumänien-Verteidiger Dober spielen, wenn er sich nicht verletzt hätte). Bis er durch das Können Pehlivans davon abgerückt ist, hat er auch (fast) immer mit drei offensiven Mittelfeldspielern spielen lassen - in Ö einzigartig."

Ja und nein

Stimmt alles.
Trifft aber nicht meinen Punkt. Oder besser: nicht den Fall, von dem ich ausgegangen bin.
Die von mir angesprochene Verletzung ist der Saisonausfall von Stefan Kulovits, dessentwegen Pehlivan überhaupt erst hochgeholt wurde und dann so schnell so überzeugen konnte.

Meine Kritik bezog sich auf die Zufälligkeit dieses Ereignisses.

Ohne dieses würde Rapid I nämlich immer noch in der angsprochenen Offensiv-Formation mit einem zentralen Boskovic (der im übrigen als Kapitän von Montenegro wo? richtig: zentral! agiert) spielen, und Pehli wäre bei Rapid II ein zentrales Mittelfeld-Duo mit Michel Sandic (wo sich jetzt an seiner statt der junge Ildiz entwickeln kann; beide sind U19-Team-nominiert).

Wo der Kollege argumentativ recht hat: ich erwarte von einem Coach bei einem der besten, des populärsten Vereins Österreichs einfach mehr als von anderen.
Das mag nicht fair sein, aber: ich muss ja auch nicht fair sein.

Ich erwarte von einem Rapid-Trainer (wurscht wie er heißt, und wie er nach außen kommuniziert) dass er nämlich den schon viele Wochen und Monate davor brillierenden Pehlivan von den Amateuren auch dann in die 1. Mannschaft hochzuholen, wenn sich keiner verletzt.
Und auch den angesprochenen Sandic. Auch einen sehr sehr guten 8er, einen zentralen, wie den bereist mehrfach erwähnten Veli Kavlak, wie auch Boskovic. Ich erwarte mir da ein offensives, risikoreiches System mit drei offensiven im Mittelfeld (wie zuletzt etwa auch im U21-Spiel, wie oft bei Salzburg, wie zuletzt auch bei der Austria, und wie auch längere Zeit bei Rapid selber), wenn ich die Spieler dafür habe, und ich werde dann, wenn diese Mannschaft ein eher vorsichtiges Zwei-Ketten-System spielt, drüber maulen. Auch weil Bosko am Rand spielen muss, Kavlak auf der Bank sitzt, und Sandic eben nicht hochgeholt wurde.

Blinde Flecken

Ich finde es mehr als klasse, dass Kayhan oder Drazan ihre Chance bekommen haben, von Pehlivan (den ich nicht erst seit jetzt, sondern schon eine gute Weile auf dem Radar habe, erst gar nicht zu reden.

Ich rede nur einer weniger starken Zufälligkeit dieser Entwicklungen das Wort. Das allerdings hinge wieder mit viel Sportmedizin, Datensammlung, Individualtrainingsplänen und akribischer Beschäftigung zusammen - die, und das ist jetzt eine ungeschützte Behauptung, vor allem von jenen Trainern nicht geschätzt werden, die sich über geniale Riecher und andere nur ehemals großen Kickern eigene Fähigkeiten definieren (die zu ihren allergrößten Teilen aber lediglich Schimäre sind). Und die dann auch damit leben müssen, dass man keine umfassende Planung erkennen kann.

Es ist, da hat der Kollege völlig recht, gut, wenn einer Talent erkennt und richtig einschätzt.
Mir ist aber das Bessere, als natürlicher Feind des Guten, noch viel lieber: nämlich die Fähigkeit, sich nicht nur auf den eigenen Riecher und den Zufall zu verlassen, sondern besser drauf zu achten, dass niemand durchs Netz schlüpft, indem man - gemeinsam mit vielen anderen - ein solches knüpft.

Und da hat Pacult einen seiner stärksten blinden Flecken.

Wien vs Klagenfurt

Und da kann ich, im Gegensatz zum im Mail des Kollegen auch angesprochenen Coaches Schinkels, keine Richtungsänderung erkennen. Der clevere Holländer hat in Kärnten aus der dort herrschenden Not (sportlich, strukturell, personell) eine Tugend gemacht, sich bewusst mit jungen (und auch einigen mühsamen!) Talenten oder Fast-schon-Ex-Talenten umgeben und bringt sie auf einen guten Weg: Weber, Hinum, Salvatore, Junuzovic, Bukva, Nuhiu, Sand. Dahinter ist mit Sollbauer, Hierländer, den Ritzmaier-Brüdern und Stürmer Pink bereits die Riege der 18jährigen einsatzbereit.
Das ist eine nicht wegzuleugnende Qualität.

Ich halte Schinkels, der in einem politisch, menschlich und gesellschaftlich hochproblematischen Projekt eine ideologische Linie indirekt propagandistisch unterstützt, für einen Opportunisten höchsten Grades. Höher als es bei Pacults Gastspiel beim ersten noch nicht ganz so retortenmäßig entstandenen FC Kärnten der Fall war.
Aber das lässt sich von den Ansprüchen als Trainer, als Ausbildner, als Förderer, als Lehrer für die Jungen trennen (denn hoffentlich müssen die Klagenfurter Akademiker nicht erst aus lauter landesfürstlicher Dankbarkeit einer politischen Partei beitreten).

Dass man derlei im direkten Kontakt mit den Beteiligten (Beispiel: Zypern) anders mitbekommt als einer, der sich diese Spiele im TV ansieht, ist klar. Aber es hat auch den Nachteil, dass man die Unwegbarkeiten, von denen man dann weiß, mäßigend miteinberechnet.

Nähe und Distanz

Ich denke es braucht beides: die an den Aussagen und dem Verhalten der handelnden Personen orientierte Berichterstattung, die in sich neutral ist, aber die Bedingungen miteinbezieht (und deren Qualität ist ja, wie zu Beginn an den positiven Beispielen vorexerziert, auf dem Vormarsch), aber auch die "Diagnose" ohne alltägliche Berührungen mit den Akteuren, und ohne automatisches Abziehen der Sachzwänge, die auch eine emotionale Qualität haben muss.