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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

29. 3. 2009 - 16:49

Depressiv ausgehen

Das Wohnzimmerkonzert ist auch keine wirkliche Ausgehalternative.

Es ist kalt in Berlin, Schnee, Graupelschauer, das schlägt aufs Gemüt. "Will es denn gar nicht besser werden, will es denn nicht endlich mal Frühling werden?", fragt sich der wetterfühlige Mensch. Aber auch der hypochondrischste Melancholiker kann nicht immer daheim bleiben. Wenn die Gedanken sich im Kreis drehen, wird es mitunter zu eng in der Wohnung. "Hauptsache raus!" heißt dann die Devise. Aber wohin?

Das depressive Ausgehen will gelernt sein, zu viel Lebensfreude ekelt einen an, zu viel engagierte Ausgehleute machen aggressiv. Gut, wenn man gleich beim Start ins Ausgehwochenende, also am Donnerstag, eine Antihaltung an den Tag legt: Sollen doch die Deppen zum frisch angelaufenen "Slumdog Millionär" in die überfüllten Kinos rennen! Wer seine stille Grundtrauer, das wehe Gefühl der Vergeblichkeit kultivieren will, der sucht sich etwa anderes aus. Warum nicht mal so einen richtig schlechten, deutschen Film anschauen? Warum nicht zu "Hilde"? Das misslungene Knef-Biopic sieht stellenweise so hässlich aus wie ein Sat1-Film, und je unsymphatischer einem die Knef wird, desto mehr Mitleid empfindet man mit der armen Heike Makatsch.

Am Freitag ist der eigene Auftritt bei einem Wohnzimmerkonzert der Reihe "live in the living" geplant. Warum auch nicht? Lieber in fremden Wohnzimmern singen und lesen, als niedergeschlagen auf der eigenen Couch liegen.

Christiane Rösinger bei einem Wohnzimmerkonzert

Christiane Rösinger

Wohnzimmerkonzert

Es gibt ja wohl alle paar Jahre wieder eine neue Wohnzimmerbewegung, die letzte so um 1997 hieß "Hausfrau im Schacht".Damals schon waren die Wohnzimmerkonzerte trotz toller Bands wie Contriva und Barbara Morgenstern arg harmlos-hippiesk, es war die Zeit, in der alles niedlich wurde. Aber die seligen Neunziger mit ihrem zerbröckelten Ost-Charme und den romantisch- ruinösen Hinterhöfen ist vorbei. Ein ordentliches Friedrichshainer Treppenhaus führt zum Auftrittsort, die Wohnung ist arg geputzt, die Zimmerpflanzen sind beängstigend gesund, im Flur ziehen die Gäste ihre Schuhe aus. Das Publikum ist wohlwollend, vielleicht ein klein wenig, nun, spießig, aber so war es eigentlich früher schon. Damals schon wäre man lieber in lauten Räumen gestanden und hätte Wodka getrunken, statt beim Wohnzimmerkonzert Kekse zu essen.