Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Journal '09: 27.3."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

27. 3. 2009 - 17:32

Journal '09: 27.3.

Ein bisserl brav sein. Über drei intensive Diskussionen zu Medien-Themen - und die Krise als Chance.

Es ist ja, wenig unauffällig, der Schwerpunkt im heurigen Journal: Die Auseinandersetzung mit der eigenen und der mich/uns umgebenden Medien-Realität. Das ist ein doppelt unangenehmes Leit-Thema: weil es einerseits viele gern übersehene Realitäten anbohrt, und weil es andererseits dazu führt, sich auch selber eine Menge Fragen über die Arbeits-Praxis zu stellen. Man steigt also allen anderen und auch sich selber andauernd auf die Zehen - aua.

Mitschuld dran ist auch eine FM4-Kollegin, die gar nicht aus der Redaktion kommt. Sie hat, am Abend nach einem mühsamen Tag, an dem wieder einiges an öffentlicher (von Seiten der politisch und ökonomisch motivierten, bewussten Destabilisierer durchgeführten) Debatte zum Thema ORF aufgepoppt ist, auf meine Anmerkung, dass es doch nicht an Würstln wie mir liegen kann, hier den Diskurs zu führen, nur lapidar gemeint: "Wenn du es nicht machst, dann machts keiner!"
Das ist natürlich übertrieben, weil es natürlich einige/s gibt - aber der Kern ist völlig richtig. Jeder, der das Schicksal seiner selbst, seiner Gruppe, des größeren Rahmens innerhalb seines Unternehmens nur bejammert ohne was zu tun, ist selber schuld, wenn alles Unbefriedigend bleibt.

Nun lässt sich einiges, was durchaus sehr internen Charakter hat, auch hier, also in einer Öffentlichkeit, die nicht aus Medienmachern im weiteren oder gar ORF-Mitarbeitern im engeren Sinn besteht, durchdiskutieren - anderes geht dann auch wieder gar nicht; nicht nur weil es echte Interna behandelt, sondern weil es (wie bei allem sehr spezialistischem) zuviel an fachlichem Vorwissen und auch an Kenntnissen um Umstände, Geschichte, Umfeld etc. braucht, um sich verständlich machen zu können.

Und letztlich fallen die drei im Titel angesprochenen Diskussionen in diese Kategorie. Keine Sorge, es ist alles inhaltlich recht unspannend, weil es sich um innere Strukturen handelt, die dem Außenstehenden zurecht am Arsche vorbeigehen - interessant ist dabei allerdings die Tonalität und die Ebene, auf der diskutiert wird. Das scheint mir nämlich durchaus typisch für die Gesamt-Situation in den Medien - und deshalb möchte ich es hier doch versuchen.

Eins

Zum einen hatte ich unlängst eine kleine Diskussion mit einem durchaus Zuständigen für, sagen wir's grob, Bewusstseins-Bildung was den öffentlich-rechtlichen Auftrag und seine Umsetzung im Unternehmen betrifft. Ich hab da meinen aktuellen Standpunkt recht frei vertreten: dass es durchaus nicht optimal ist, das Gefühl zu haben, dass diese Diskussion über die zentrale Wichtigkeit eines funktionierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunks hauptsächlich von externen Experten geführt wird. Und dass es mir durchaus schwer fällt, mich da in öffentlichen oder zumindest teilöffentlichen Diskussionen über den Kern-Bereich der Radios hinaus einzubringen. Weil das eigentlich die Pflicht derer wäre, die im tatsächlichen Haupt-Kampfgebiet, dem Fernsehen (weil ja Radio und Online eh kaum ernsthaft ein Thema sind) tätig sind. Und die der Chefriege, sie dabei zu unterstützen.
Ja, eh, hat mein Gesprächspartner sinngemäß gesagt, natürlich wäre das optimal. Aber: kann das ein Grund dafür sein, nichts zu sagen, nichts zu tun?

Erwischt. Nein, natürlich nicht. Und in dem Moment ist mir aufgefallen, dass ich mich - gedanklich - schon wieder zu stark von meiner eigentlichen Ausgangsposition entfernt hatte. Also: wieder mehr mir selber auf die Zehen steigen - aua.

Zwei

Mitte der Woche gab es eine ganz andere Diskussion, eine sehr spezifische, die eine kleinere Gruppe mit einem strukturell durchaus ähnlichen Problem betraf. Auch da ging es um Motivation, daraus folgende Frustration und die Frage ob man eher selber gefordert ist oder ob die Forderung (ebenso wie die Förderung) aus der Struktur, also von der Hierarchie kommen muss.
Es ging da witzigerweise um einiges, was ich hier im gestrigen Eintrag anhand eines ganz anderen Bespiels, nämlich des heimischen Fußballs abgehandelt habe: um einen Knick in der Nachwuchs-Ausbildung, den es bei FM4 auch gibt. Wieder eine Eigen-Zehensteigerei - wieder ein Aua.

Das Problem, das ich mit dieser Diskussion in dieser Gruppe hatte, war nicht so sehr, dass sie für die Erkenntnis aus Beispiel 1 recht resistent waren (das Problem wurde - nicht von allen, aber doch von den Wortführern - im System festgemacht, die Eigeninitiative eher als neoliberaler Schmäh abgehandelt) - das ist legitim. Es war eher die Erkenntnis, dass es keine Frage der zu vermittelnden Inhalte oder ihrer Brisanz oder der Wichtigkeit, die ihnen zugebilligt wurde, war, sondern dass alle Hoffnung auf Besserung in eine Änderung von vorhandenen Strukturen gesetzt wurde. Das heißt: wenn sich die Abläufe innerhalb der unbeeinspruchten Hierarchien konkretisieren würden, dann würde durch größere Arbeitszufriedenheit auch bessere Leistung entstehen. Wohlgemerkt: das kam von Macherseite, nicht aus der Chef-Ebene.

Für mich ist das erstaunlich. Ich habe kein Grundvertrauen in Hierarchien und Strukturen. Ich bin in einer Ära sozialisiert worden, in der das anarchische an-den-Strukturen-vorbeiwerken zu Ergebnissen führte, weil es Fakten schuf, die danach automatisch in die Struktur hineinintegriert wurden. Als junger Rebell hab ich die Figuren, die sich brav entlang der Hierarchien orientiert haben, verlacht - auch zurecht, weil sie nie Substanzielles zustandegebracht oder gar etwas verändert haben.

Und hier trifft sich, zu meiner nicht großen, aber doch leisen Überraschung, die aktuelle, internen Rebellengruppe mit dem, was auch draußen, im Ausbildungs-Umfeld so an Forderungen besteht: mit den Braven. Das sind die jungen Nachrücker, die eine vage Vision von Qualitätsjournalismus haben, in ihrer Umsetzungs-Praxis aber bereits erstaunlich weit weg von den Realitäten sind (hier ein Musterbeispiel dafür).
Auch weil der Anspruch an "Qualität" zu oft an langweiliger Durchschnittsberichterstattung ohne emotionale Qualität hängenbleibt, entspricht das, was dabei rauskommt, gern der Aufforderung des Kaisers: "Ein bisserl brav sein!"

Drei

Noch viel mehr gestaunt hab ich dann heute vormittag, bei einer viel großgruppigeren Versammlung auf einer ganz anderen Ebene, einer mit Anspruch auf zentrale redaktionelle Vertretung innerhalb des Hauses.
Denn da, wo sonst oft gerne und gut pointiert über inhaltliche Probleme diskutiert wird, wehte ganz plötzlich auch dieser Wind des "Braven" durch den Saal. Auch da war (zumindest von Seiten der Vertreter des Mediums, das im öffentlichen Interesse an vorderster Stelle steht) plötzlich hauptsächlich von der Wichtigkeit der Struktur-Verbesserung die Rede, aus der dann alles andere erwachsen würde. Das, was im Fall 2 "zu informell" war, wurde dort als "Stille Post"-Problem festgemacht (beides im übrigen richtig analysiert) - und da wie dort, also in der unerfahrenen jungen Kleingruppe ebenso wie in der routinierten Vertretungs-Gruppe, herrscht der Glaube, dass es nur einer Veränderung dieses Strukturproblems bedürfe um Milch&Honig wachsen zu sehen.
Okay, ich übertreibe jetzt ein wenig - natürlich ging es in beiden Kreisen auch um inhaltliche Auseinandersetzung. Aber: der Zugang ist ein sehr sehr braver, ein sehr strukturangepasster, ein sehr hierarchiehöriger.

Und nein, ich glaube nicht, dass das was mit der Krise zu tun hat, in die die Medien ganz von selber hineinschlittern, weil es die Welt gerade tut (ein Auskenner hat heute vormittag angekündigt, dass es im heimischen Print-Bereich demnächst zu 30% Entlassung und 10% Lohnkürzungen kommen wird, dass die Wertschöpfungsmodelle von Privat-Radio und -TV am Zusammenbrechen sind - auch ein Grund für die spürbare Nervosität der Verlage und ihren zusätzlichen Druck auf die Politik, den Marktführer ORF da gleich mitzustutzen) - und zwar nur deshalb, weil beide Gruppen sich als so hochqualifiziert erachten, dass sie diese Gefahren nicht belangen können (und diese Einschätzung teile ich sogar).

Die Bravheit ist einfach das Gebot der Stunde, des Jahres, vielleicht schon des Jahrzehnts. Wer sich drauf verlässt, dass eine von anderen definierte Struktur für ihn schon ein paar Chancen bereithalten wird, anstatt sich selber eigene Strukturen zu schaffen, der hat meiner Meinung nach verloren - aber vielleicht passt diese Einstellung nicht in dieses Jahrzehnt.

Dachte ich, bis dann, mitten in diese Sitzung, nach dem hochklassigen Experten-Verhör, die Nachricht von der Dringlichen im Parlament am nächsten Dienstag reinkam.
Da war es dann mit der Bravheit der Versammlung schlagartig vorbei, sie formulierte drei scharfe, präzise Punkte und schoss einen umfangreichen und saukonkreten Vorschlag nach.

Die Krise als Chance, sich aufs Wesentliche zu besinnen - beim konkreten Beispiel des bald fälligen neuen ORF-Gesetzes klappt es ja auch, dass man sich nicht hierarchiegläubig auf Strukturen verlässt, sondern sie mitdefinieren will. Hoffentlich braucht die Gruppe aus Beispiel 2 nicht auch eine sie ganz konkret betreffende Krise um sich auf die primäre Bedeutung inhaltlicher Definitionsarbeit zu besinnen.