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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

28. 3. 2009 - 12:03

Reduziert aufs Wesentliche

Berlin bringt mit der ambitionierten Character Design-Veranstaltung "Pictopia" einen Hauch von popkultureller Grellheit nach Europa.

"Bimbo"-Charakter

Robert Glashüttner

Seit gut zwei Wochen sind sie überall in Berlin plakatiert: Die schwarz/weiß/roten "Bimbos" vom deutschen Graffiti-Künstler Boris Hoppek. Sie bestehen nur aus Linien, einfärbigen Flächen und gleichförmigen Ellipsen. Jedes Mal, egal ob in der U-Bahn oder auf der Straße, bleiben die Augen wieder auf der reduzierten und dadurch besonders ausdrucksstarken Grafik hängen.

Was in der Fachsprache "Character Design" heißt, ist für uns alle seit Kindheit an visueller Alltag: Piktogramme, aufs Wesentliche reduzierte Symbole, sind auf Straßenschildern, Toilettentüren und Bedienungsanleitungen zu finden. Sie funktionieren länder- und sprachübergreifend und schaffen eine eigene Form der Ästhetik, die in Form von z.B. Höhlenmalerei quasi seit Beginn der Menschheitsgeschichte existiert.

Welcome to Pictopia!

Die zeitgenössische Form des Character Design ist tief in der Popkultur verankert. Das muss so sein, denn nichts ist universeller als eine einfache grafische Darstellung. Durch die jeweiligen Gestaltungen und Kontexte ist vom Baby bis zum Greis jeder Mensch für "Piktogramme mit lebendigen Zügen", wie es im Programmheft zur Design-Ausstellung "Pictopia" heißt, zu begeistern.

Die Pictopia findet heuer bereits zum sechsten Mal statt, Veranstalter ist das seit 1999 von Berlin aus agierende Netzwerk Pictoplasma. Untergebracht im "Haus der Kulturen der Welt", wenige Meter vom Deutschen Bundestag entfernt, ist der Kern der Veranstaltung - neben Symposien, Workshops und Film-Screenings - natürlich die Ausstellung.

Riesenteddies im Spiegelzimmer

Robert Glashüttner

Ein Hauch von Japan

Sehens- und erlebenswert sind vorrangig jene Exponate und Installationen, die über Bilddarstellungen hinausgehen: Riesige Teddybärkopfe im klaustrophobischen Spiegelkabinett, hübsch mit Plüsch und Plastik verzierte Autoscooter, versiffte Fernsehzimmer mit langgliedrigen Hartz IV-Puppen oder ein überdimensionaler, eckiger Wurstel, dessen Arme man nur mit einiges an Muskelkraft bewegen kann.

Plüschige, bunte Autoscooter

Robert Glashüttner

Trotz der Vielseitigkeit ist die Ausstellung jedoch überschaubar und wirkt etwas beliebig. Man bekommt schnell eine Idee davon, wie reichhaltig die Kunst des Character Design wirklich sein muss und dass hier nur ein kleiner, etwas wahllos zusammengestoppelter Eindruck davon geboten wird.

In Deutschland, oder besser gesagt: Europa ist der piktografische Alltag weiterhin auf Straßen- und Bahnschilder sowie Design-Shops und Galerien beschränkt. Jene grelle und vielseitige Character-Kultur, die durch falsch verstande Ernsthaftigkeit aus dem Leben vieler Erwachsener und Jugendlicher weitgehend raus gedrängt wird (frei nach dem Motto: "Ich schau mir doch keine Micky Mäuse an!"), trifft man im bunten Japan hingegen an jeder Ecke. Mut zu Kindlich- und Fröhlichkeit, Kitsch und Cosplay bleibt hingegen im Westen in den sicheren Wänden von Veranstaltungsräumen und Festivals eingebettet - obwohl Berlin dank seiner popkulturellen Stärke diesbezüglich eine Ausnahmestellung einnimmt.

Eine Riesenfigur, deren Arm von einem Ausstellungsbesucher bedient wird.

Robert Glashüttner

Unterwegs in der Stadt

Weil die Veranstalter aber um diese Tatsache Bescheid wissen und mit anspruchsvollem Publikum rechnen, hat man mit über 30 Galerien in der Stadt gemeinsame Sache gemacht. Raus gekommen ist der sogenannte "Character Walk", der kleine weitere Ausstellungen und Schwerpunkte feilbietet. Viele Stationen haben leider frühzeitig geschlossen - einige, wie etwa die simpel umgesetzte, aber sehenswerte Post-It-Pixel-Ausstellung "Ich Bin 8-Bit" sind noch bis Mitte April zu sehen.

Bild der Ausstellung "Ich Bin 8-Bit"

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"Ich Bin 8-Bit" ist eine offizielle, für Deutschland erdachte Umsetzung des in L.A. ansässigen Games & Art-Projektes I Am 8 Bit.
Bild der Ausstellung "Ich Bin 8-Bit"

Robert Glashüttner

Der auf Pixel-Design spezialisierte Künstler Jude Buffum hat viele bunte, selbsthaftende Zettel aus den USA mitgebracht und innerhalb einer Nacht die Wände beklebt. Diese wurden später von weiteren Künstlern im Detail gestaltet.
Bild der Ausstellung "Ich Bin 8-Bit"

Robert Glashüttner

Öffnungszeiten

Bis 11. April ist die Ausstellung "Ich Bin 8-Bit" für einen Euro pro Person in der Galerie Neurotitan zu besichtigen, die übrigens auch einen empfehlenswerten Shop mit Tonträgern, Kunstbüchern, Figuren und ähnlichem angeschlossen hat. Die Pictopia-Hauptausstellung (5 Euro Eintritt) läuft noch bis inklusive 3. Mai.