Erstellt am: 25. 3. 2009 - 16:09 Uhr
Journal '09: 25.3.
Als heute, in irgendeinem gänzlich anderen Zusammenhang die Kollegin Ondrusova das Wort "Tetris" ausspricht, ist sie bei mir losgerollt, die Assoziationskette, die seit der gestrigen Kurz-Beschäftigung mit Twitter und dem Dauer-Teaser-Thema Facebook wieder voll brummt. Und mich zeitmaschinenmäßig ins Jahr 90/91 zurückversetzt.
Das war, für alle Nicht-Digital Natives wenig gut vorstellbar, in einer Welt, die ganz ohne www funktionierte. Auch das Handtelefon war (auch mangels existierender Netze) nicht allzu weit verbreitet. Man wusste da nur vage, was auf einen zukommt, in diesem erweiterten Informationszeitalter, und dachte vor allem, dass sich das tendenziell auf den Text/Infoverarbeitungs-Bereich beschränken würde.
Irgendwann, Ende 1990 oder Anfang 1991, übersiedelte die damalige Redaktion der Wiener AZ in neue Räumlichkeiten: Es war der letzte Schritt der Loslösung, dieses Versuchs, sowas wie eine linksliberale Alternative in der Tageszeitungslandschaft zu schaffen. Eine Zeitung neuen Typs, die aus den alten Strukturen des vormaligen Parteiblatts "Arbeiter-Zeitung", aus denen man sich inhaltlich, dank einer Gewaltanstrengung eines tollen Team rund um Chefredakteur Robert Hochner, bereits befreit hatte, entstand. Welche Probleme die alten Parteizeitungs-Chargen damit hatten, zeigt sich heute noch: auf der offiziellen AZ-Website werden die zwei Jahren nach 1989 totgeschwiegen.
Der erste Mac
Mit dem Umzug kam auch ein neues Redaktions-System (vorher hatte man noch großteils "on paper" gearbeitet): Im neuen Haus warteten damals brandneue Computer, die heute aussehen wie Dinosaurier, damals aber eine Schau waren. Es handelte sich um Macs, womöglich die Weiterentwicklung des Macintosh 512 oder was Ähnliches. Die Umstellung war, vor allem für ältere Kollegen, eigentlich eine komplette Katastrophe, aber weil die Redaktion jung und vergleichsweise auch technisch weit vorne war, klappte es. Ich glaube mich zu erinnern, da mit Floppys gearbeitet zu haben, ich erinnere mich an deppensichere Drag&Drop-Einrichtungen und simple Strukturen, die ich erst Jahre später zu schätzen wusste, als sich die Radio-Arbeit dann endgültig auf den PC verlagerte und der ORF ja nicht auf Mac, sondern auf Bill Gates arbeitete.

Alexander Schaelss
Es war also eine Phase der Daueraufregung, 1990/91: die AZ war vorn dran im täglichen Fight um die spannendste Tageszeitung, sie kämpfte ununterbrochen ums wirtschaftliche Überleben (weil sie von der SP nicht nur abgestoßen, sondern dann auch - aus leberwurstiger Beleidigtheit - boykottiert wurde; und ohne Bundes- oder Gemeinde-Inserate überlebt auf die Dauer fast niemand), das Aufgeben von Hochner (Burn-out), dazu noch eine politische Umbruchszeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Mauer und dann auch noch die technische Umstellung; und ich als kleiner Popkultur-Redakteur mittendrin.
Das erste Tetris
In dieser Zeit der permanenten Unruhe (und das ist durchaus im positiven Sinn gemeint) gab es zwei zusätzliche Stör-Faktoren, deren Wirkung damals niemand berechnen konnte.
Was ich erst unlängst nachgelesen habe: welch wilde, faszinierende, die damalige Umbruchs-Historie miteinbeziehende Geschichte dieses Tetris hat, ein wahrer Krimi zwischen Supermächten und -agenten.
Faktor 1: die auf den Macs quasi gratis implementierten Spiele. Die redaktionsinternen Hits waren eine Art 3-dimensionales Riesen-Memory und natürlich Tetris. Diese Spiele gab es damals wohl schon ein paar Jahre, aber die Durchdringungszeit war eine ganz andere: bis sich sowas wie ein Computer- oder Gameboy-Spiel bei den nicht gar so vielen Computer/Gameboy-Besitzern rumgesprochen hatte, dauerte es.
Die AZ-Redaktion war also unfreiwillig recht früh dran. Und funktionierte wie ein überdimensionales Test-Labor. Das Ergebnis: aufgeflipptes Chaos.
Ich hatte übrigens Glück: viele Abendtermine und ein Zweitjob bei der Musicbox. Außer ein bisserl Tetris ist bei mir nicht viel davon angekommen.
Redakteure, die aufgrund des Drucks eh schon 12 tägliche Stunden in der Redaktion verbrachten, weiteten das auf 16 aus, es soll sogar zu Übernachtungen der Spiele wegen gekommen sein.
Und das, merke, nicht bei irgendwelchen expertischen Nerds, sondern bei spieletechnischen Durchschnitts-Trotteln.
Nach einer überhysterisierten Anfangs-Phase (der Novelty-Effekt, klar) und einigen heftigen Besprechungen zum Thema pendelte sich der Spiele-Traffic dann auf einem akzeptablen Level ein.
Interne Kommunikations-Orgien
Dazu kam allerdings noch ein zweites Spielzeug, das eines Tages auf allen Redaktions-Macs aufpoppte - ein internes Kommunikations-System, eine Art ICQ-Vorläufer, jeder mit jedem. Was dazu da war, dass sich z.B. die Kultur-Abteilung direkt mit der Produktion über Layout verständigen sollte oder damit man nicht wegen jeder Kleinigkeit quer durchs Haus laufen musste (ich erinnere: Prä-Handy-Zeitalter), wurde innerhalb weniger Stunden zu einer monströsen Bassena-Orgie, gegen die jegliches Facebook-Geplapper heutiger Standards nur ein Nachtigallen-Furz wäre.
Eine in jeder Hinsicht hyperaktive, hochkommunikative, vorlaute und mit strategischen Maßnahmen dauerbeschäftigte Redaktion hatte ein Tool gefunden, in dessen Rahmen sie unbeschränkt Irrsinn produzieren konnte - zum Zweck des spaßigen Dampfablassens.
Nur: der eigentliche Zweck des Systems war unterlaufen - und er konnte auch nie mehr eingefordert werden. Nach ein paar Tagen gab die Geschäftsführung auf und nahm das Tool wieder raus.
Nun trifft die im vorletzten Satz vorgenommene Beschreibung nicht nur auf damalige AZ-Redakteure, sondern seither auf jeglichen spiellüsternen Digital Native zu. Also war man auch hier, zu einem sehr frühen Zeitpunkt, eine Art Versuchs-Objekt einer weitaus zu früh angewandten Technologie.
Analoges Scheitern am Digitalen...
Im damaligen Zusammenhang, mit den damaligen Umfeld-Bedingungen mußte beides (das fesselnde digitale Spiel einerseits, die digital-direkte Netzwerk-Kommunikation andererseits) scheitern. Einfach, weil unsereiner vor fast 20 Jahren nicht gerüstet war.
Heute stellen weder Spiele noch Kommunikations-Tools einen derartigen Arbeits-Blocker oder Supersuchtmacher dar (oder besser: nicht mehr für alle - auf Einzelne wird das immer zutreffen; aber die Ausnahmen können nie der Maßstab sein) - damals war man diesen neuen Mechanismen hilflos ausgeliefert.
Ich bin seit dieser Erfahrung spieleresistent.
In Sachen Kommunikations-Irrsinn gab es etwa 2000 (Implementierung FM4-Chat) eine vergleichbare Situation, die mich durchaus ähnlich in den Bann geschlagen hat - seitdem halte ich mich vergleichsweise dezent zurück. Mir gehts so wie dem Zuckerbäcker-Lehrling, den man sich am ersten (bei mir eben am ersten UND am zweiten) Arbeitstag freiwillig durchs gesamte Sortiment kosten läßt; man überisst sich und ist dann safe.
... und digitale Eingeborene ohne Probleme
Das, was ich und andere aus der prädigitalen Ära uns erst durch mühselige Erfahrungen wie die hier augebreitete erarbeiten müssen, das haben die Digital Natives als selbstverständliches Wissen im kleinen Finger. Das, was wir aufgrund dieser Erfahrungen für ein echtes Problem halten, ist für die Jungen also genau gar keines.
Deshalb sind die Computerspiel-Indizierer und die Playstation-Constantinis derart verlorene Gestalten. Figuren, die sich an überkommenen Erfahrungs-Mustern, die mit ihnen aussterben werden, festklammern, als hätten sie noch eine seriöse Bedeutung.
Unsere steinzeitlichen Erinnerungen sind schon schön und gut; und sicher auch für die Jungen interessant - aber eben nur aus rein archäologischer Sicht.