Erstellt am: 19. 3. 2009 - 20:06 Uhr
Schlagende Argumente
Kunsthallen-Kaffeehäuser sind ja für gewöhnlich keine Orte der Begegnung, sondern eher Orte der Entfremdung, unterstützt durch die verlässlich unbequeme Bestuhlung und einer Überbewertung von Design bei gleichzeitiger Unterbewertung von Genuss. Graz macht da keine Ausnahme und doch treffe ich dort immer wieder alte Bekannte bis gute Freunde bis unliebsame Gesellen, Journalisten bis Filmemacher und muss feststellen: vielleicht ist in keinem anderen Land die Fremd- wie Selbstkritik so vehement in Gange wie in Österreich.
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Plädoyer für den verbalen Durchfall
Die Diagonale war noch keinen Tag alt, schon wurde sie von allen Seiten her auf- oder besser eingerollt, zerrissen, angespuckt und verbrannt. Die Eröffnungsrede hielten die einen für gestalt-, die anderen für ziellos, die einen für langweilig, die anderen für linksliberalen Dreck. Jetzt mag man sofort wieder das an anderer Stelle auf seine Richtigkeit abzuklopfende kulturelle Stereotyp des österreichischen Grants, gerne aufgrund von Neid, für diese Verbaldurchfallattacken verantwortlich machen, vielleicht ist aber gerade auch dieses Zerfleddern Bestandteil einer spannenderen Diskussionskultur. Denn die heimische Branche, das kann man schon so sagen, scheut Kontroversen wie Vampire das Weihwasser, hat lieber den gepflegten Diskurs über einem Glas Pinot Noir zum Wildschweinragout, wo dann für jedes kulturtheoretisch untermauerte Argument ein kulturtheoretisch untermauertes Gegenargument aus dem Hut gezaubert wird und sich am Ende des gepflegten Abends alle mögen und friedlich entschlummern.
Dabei hat die Polemik gerade auch unter österreichischen Kunstschaffenden eine nicht zu unterschätzende dynamische Wirkkraft, das Streitgespräch ist ein weithin unterschätzter Dynamo für das Wachstum der heimischen Kulturlandschaft. Großartig etwa wie der Wiener Aktionist Peter Weibel (eine Anekdote aus meinem Hirn, die ich nicht mehr genau zeitlich verorten kann) sein vulgärpoetisches Communiqué veröffentlichte, in dem er Österreich einen Schwarm von Tse-Tse-Fliegen an den Kragen wünscht, auf dass es sanft in den Tod schlafen kann.
Ein weiterer Freund der verbalen Aggression und auch einer der besten Filmemacher Österreichs ist Peter Kern, bis heute nicht breitenwirksam anerkannter Anarchist und Romantiker, dessen radikale Arbeiten (etwa "Die toten Körper der Lebenden" oder sein Meisterwerk "Knutschen, kuscheln, jubilieren!") eine Gegenposition ausformen zum redseligen, verständnisorientierten und anbiedernden Kino, das von Hier nach Dort tourt und gut subventioniert, mit vielen Kopien anläuft. Dementsprechend ist dieser Regisseur Kern (in dessen neuem Film die Jazz Gitti eine Rolle spielt) dann gestern Nachmittag auch etwas verloren, jedenfalls gelangweilt im Kaffeehaus gesessen, hat sinniert und gestichelt: ich darf zugeben, ich habe mir mehrere, viele Momente lang gewünscht, er hätte dieses Festival übernommen oder würde jedenfalls eine gewichtige programmatorische Rolle darin übernehmen. Vielleicht bin ich auch ein Romantiker.
Schlag deinen Fernseher nicht kaputt!
Will man heutzutage gute österreichische Filme sehen, kann man auch ganz einfach vorm Fernseher sitzen bleiben. Nicht dass man dann auch annähernd nur eine Ahnung bekäme vom heimischen Filmschaffen, aber die Qualität so mancher Fernsehfilme rangiert weit über der von vielen Kinoarbeiten. Glücklicherweise hat sich Barbara Pichler, die neue Leiterin der Diagonale, dazu entschlossen, die Arbeiten gewisser Regisseure auch über die Leinwand hinaus anzuerkennen und zeigt etwa von Österreichs momentan tauglichstem Genre-Handwerker Andreas Prochaska nicht nur seine "In 3 Tagen bist du tot"-Filme, sondern auch den bereits im ORF gezeigten Thriller "Der erste Tag".
Ausgehend von einem Störfall in einem tschechischen Atomkraftwerk beschreibt er zum einen die prozesshafte, protokollhörige Informationsverarbeitung innerhalb von Institutionen, zum anderen den (bald kaputten) Alltag in der Stadt Horn im niederösterreichisch-tschechischen Grenzgebiet.
ORF/Petro Domenigg
Formal funktioniert Prochaskas Film nach den Regeln des modischen Reality-Thrillers (siehe J.J. Abrams oder Paul Greengrass), inklusive wackelnder, direkter Kamera und einem Verzicht auf gängige dramaturgische Modelle mit eindeutig bestimmbaren Hauptfiguren. "Der erste Tag" ist konzentriert und nüchtern inszeniert, verweigert Spekulatives und anderen Zierrat, erinnert in seiner Aufrichtig- und Ernsthaftigkeit an das ökologisch bewusste Genrekino der Siebziger- bis Achtziger Jahre. Andreas Prochaska bestätigt sich mit diesem Film, der ohne weiteres eine vielleicht sogar erfolgreiche Kinoauswertung erfahren hätte können, als talentierter, wenn auch nicht visionärer Regisseur, dem es mühelos gelingt bimedial, im Fernsehen wie fürs Kino, zu arbeiten, ohne dass es der Qualität seiner Filme anzumerken wäre.
Kleiner, großer Schirm
Dass namhafte Regisseure für den kleinen Schirm inszenieren, das ist ja nichts Neues: Roberto Rossellini kehrte der Kinoleinwand irgendwann ganz den Rücken zu, Ingmar Bergman hat fürs deutsche Fernsehen gearbeitet, in den USA drehen John Carpenter und Joe Dante, beide Meister ihres Fachs, Großartigkeiten für die Serie "Masters of Horror". Auch in Deutschland laben sich Filmemacher an den Freiheiten und der vergleichsweisen Unaufgeregtheit des Patschenkinos: Dominik Graf oder Christian Petzold etwa. In Österreich passiert das kaum: Fernsehen ist hier eher Sprungbrett oder ungeliebte Alternative, vielleicht noch eine Geldbeschaffungsmaßnahme. Aber dass man mit den Mitteln des Fernsehfilms seine Geschichten erzählt, scheint vor allem für die junge Regisseursgeneration außer Frage zu stehen.
Die Diagonale zeigt in diesem Jahr in der Reihe "Zu Gast" Arbeiten von Stefan Krohmer, dem Regisseur von "Wir haben Knut" und dem Thrillerdrama "Sommer 04": der Deutsche arbeitet viel fürs Fernsehen, gestern Abend wurde sein Beziehungsfilm Mitte 30 gezeigt. Man braucht einige Zeit, um sich darin zu Recht zu finden, vielleicht auch weil die Inszenierung nicht immer so zwingend ist, weil die künstlerische Stringenz nicht immer so durchscheint, wie bei einem Kinofilm.
Stefan Krohmer
Am Anfang steht Peter Kraus (ja: der Sänger), der zwei Jungarchitekten einen Auftrag verwehrt: Dder eine von den beiden ist wenig später tot. Badeunfall in Thailand. Der andere beginnt mit Mitte Dreißig wieder zu studieren, versucht mit seiner Freundin schon seit längerer Zeit ein Kind zu zeugen. Ohne Ergebnis. Langsam, aber sicher verschränken sich die Welten des toten Lebemanns bzw. seiner Witwe und des eigentlich glücklichen Paars. "Mitte 30" ist ein oberflächlich einfacher, aber sehr komplexer und ehrlicher Beziehungsfilm.
Neue Wege
Dadurch, dass Barbara Pichler diese Fernseharbeiten nebst einigen anderen auf ihrem Festival zeigt (wiewohl auch in den Vorjahren ORF-Produktionen in Graz gelaufen sind), weist sie auch hin auf die Konvergenzerscheinungen zwischen den beiden Medien, darum, dass es nicht nur um eine Opposition sondern um eine Kooperation geht.
Es ist eine dieser kleinen strukturellen Entscheidungen, die mir die Diagonale in diesem Jahr vergnüglicher und interessanter machen als in den Vorjahren. Wenn jetzt auch noch ein bisserl weniger Repräsentation und ein bisserl mehr Mut zur Polemik, zum lustvollen Streitgespräch im Entstehen ist, dann glaube ich, hat sich die Diagonale wirklich wieder von einem Festival des österreichischen Films zu einem wirklich guten Filmfestival entwickelt.