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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

19. 3. 2009 - 15:55

Fußball-Journal '09-18.

"Ein Teamchef will das nächste Spiel gewinnen, ein Sport-Direktor das nächste Jahrzehnt." Willi Ruttensteiner, technischer Direktor des ÖFB im Gespräch über das (Nachwuchs-)Projekt 12, Fortschritts-Ängste und die Kluft zwischen altmodischer Praxis und neuen Ausbildungs-Methoden: "die Vision: Top 30."

Willi Ruttensteiner über die Lehren aus der Challenge 08 für das Projekt 12, die teilweise abgebauten Ängste der Vereine, was Individual-Training betrifft, die Häkel-Kultur zwischen Ex-Spielern und Fußball-Lehrern, seine Visionen vom schönen Spiel und das Dilemma nach dem Ende der Straßenfußballer.

Ich mache keinen Hehl daraus: Ich hab ein Faible für Willi Ruttensteiner, den 46-jährigen Steyrer, der seit 2001 einen der undankbarsten Jobs weltweit macht - technischer Direktor beim ÖFB. Er ist da für die Nachhaltigkeit (und die Entwicklung) zuständig und muss das Viele, das wegen kurzfristiger Verblendungen passiert, immer wieder geradebügeln.

Ich schätze den Ex-Lok Linz-Trainer, Ex-Nachwuchs-Koordinator und Ex-U21-Teamchef aus ÖO spätestens seit er nach dem Leberwurst-Rücktritt von Hans Krankl im Herbst 2005 die Nationalmannschaft für zwei Spiele interiministisch in seiner Obhut hatte und da plötzlich sowohl eine Handschrift als auch ein taktisches Konzept sichtbar waren. Die 0:1 Niederlage in Old Trafford ist einer der schönsten Siege des Nationalteams in diesem Jahrhundert.

die steinernen fußbälle vorm stadion

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Ruttensteiner koordiniert den gesamten Nachwuchsbereich (Nationalmannschaften, BNZs etc), bei ihm ressortiert die Trainerausbildung (wo mit Thomas Janeschitz ein weiterer Hoffnungsträger neu installiert wurde), die interne Schulung & Weiterbildung sowie Talenteförderung und er ist auch für Spiele-Beobachtung (also Analyse) zuständig. Am Wochenende z.B. bei Rumänien gegen Serbien.

Ruttensteiners Lieblingsprojekt der letzten Jahre war die Challenge 08, ein auf die Euro im eigenen Land abgestimmtes Förderungs-Projekt, das immer wieder für Er/Aufregung sorgte, aber definitiv eine Basis für vieles legte, unter anderem auch die seit seinem Amtsantritt kontinuierlich guten Resultate der Nachwuchs-Teams.
In den nächsten Wochen soll nun das Nachfolge-Ding zur Challenge präsentiert werden: das Projekt 12.

Das Projekt 12 gibt es hier als pdf-File nachzulesen.

Das wurde beim Amtsantritt des neuen Präsidenten bereits avisiert, ist auch schon fertig, wartet aber noch auf seine offizielle Präsentation durch den Sport-Minister. Jüngste Meldung: der von Constantini ungeliebte Konditions-Coach Roger Spry wird federführend dabei sein.

die steinernen fußbälle vorm stadion, im gatsch!

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Ich dachte, der 12er bezieht sich auf die (womöglich) in Polen und der Ukraine stattfindende Euro 2012 - das ist aber gar nicht der Fall, sagt Willi Ruttensteiner. Es gehe eher um die Symbolik des 12. Manns, und gar nicht so sehr um eine konkrete Euro-Qualifikations-Krücke. An die 30 jetzt 16- bis 21-jährige künftige Nationalspieler sollen mit gezieltem Individualtraining gefördert werden - das ist noch so ähnlich wie bei der Challenge 08. Da kam es - wegen seltsamer Eifersüchteleien und falschem Stolz von Vereinsseite - immer wieder zu Querschüssen.
Daraus hat Ruttensteiner seine Schlüsse gezogen:

"Damals ist es uns nicht gelungen (und das ist unsere Schuld, wir haben es nicht genau genug vermittelt), dass wir uns mit diesem Projekt auf die Euro 08 vorbereiten. Es war nie klar: ist das jetzt ein Nachwuchsprojekt oder folgt es einem Euro-Plan."

Der Hauptkritikpunkt der Vereine war ohnehin eher der, dass das Individualtraining das Vereinstraining unterläuft. Gibt es Signale, dass das Projekt 12 eine höhere Akzeptanz erfährt?

In dieser technischen Kommission sind von ÖFB-Seite Ruttensteiner, Herzog, Heraf und Zsak, von Liga-Seite Heinz Hochhauser (Sportchef Salzburg), Ali Hörtnagl (Sportchef Rapid), Ralf Muhr, Nachwuchs-Koordinator der Austria und Ried-Cheftrainer Paul Gludovatz.

"Gibt es. Der ÖFB kann sich natürlich auch auf den Standpunkt zurückziehen, dass die Ausbildung der Spieler Sache der Clubs ist oder ich kann sagen, wir bieten euch eine echte Zusammenarbeit an, zum Wohle aller.
Wir haben das Projekt 12 anders angelegt. Man lernt ja aus der Vergangenheit. Die Challenge 08 war ein bissl aufgedrückt - da gabs dann Gegendruck. Jetzt haben wir eine technische Kommission, die besteht aus vier Leuten vom ÖFB und vier Vertretern der Liga - die konzipieren das alles gemeinsam. Damals hat auch die Sportpolitik da reingespielt - jetzt ist die Situation entspannt."

Dass das gezielte Individualtraining die Zukunft ist, dass man dort die entscheidenden Prozente Überlegenheit rausholen kann, das ist international allen klar. In Österreich ist das noch den wenigsten klar. Warum?

das stadion

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"Wir haben noch Nachholbedarf. Wir verlieren die Talente mit 19, 20, 21. Mir blutet das Herz, wenn ich Thomas Pragers Weg verfolge: Bronze mit der U19, ein tolles Versprechen auch im Nationalteam und jetzt sitzt er beim LASK auf der Bank.
Wir gehen noch zuwenig auf individuelle Stärken/Schwächen ein, außerhalb des Mannschaftstrainings, und nicht nur im fußballspezifischen Bereich, auch mental, körperlich. Krafttraining z.B. kann nicht für jeden gleich sein.
Der ÖFB will den Clubs bei diesem Training helfen durch Knowhow, Geld und Unterstützung. Da kann ein Verein eigentlich nix dagegen haben.
Wir wollen aber nicht mehr "bitte!" sagen wie bei der Challenge - wir bieten es an, wer's nicht in Anspruch nimmt, halt nicht, und wer wirklich kooperieren will, der kriegt dann mehr. Nur dort wo tatsächliche Arbeit passiert, gehen wir mit Projekt hin. Klubs beknien, dass sie individuell mehr tun, das werden wir nicht mehr machen."

Wo kommt diese Fortschritts-Angst her?

"Das hat sich, finde ich, ohnehin schon gebessert. In den ersten Jahren (ab 2001) hieß es noch: "Wozu brauch ma des? Moch ma eh!" Mittlerweile wird auch bei vielen Vereinen erkannt, dass man mit besonderen Talenten besonders arbeiten muss. Das ist schwer zu organisieren, aber in Zwischenzeit hat's jeder verstanden.

die öfb-zentrale

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BNZ = Bundesnachwuchszentren, hier eine Karte dazu.

Worin sich Österreich vom internationalen Fußball unterscheidet: bei den Finanzen.
Warum unterstützt der Verband die BNZs finanziell, warum werden die Akademien von Land und Verband unterstützt? Weil sich's die Clubs nicht leisten können. Das seh ich aber auch positiv. Zum Beispiel die künftige Akademie in Mattersburg. Kosten: 11 Mio Euro, internationales Top-Niveau, geht aber nur gemeinsam mit Land, dem burgenländischen Verband und dem Verein. Das ist ein österreichisches Modell, das man nicht nur kritisieren soll - es sorgt auch für Kontinuität. Denn die ist durch Land oder Verband immer stärker gegeben als durch Einzelunternehmen."

Der Gegenwind, der dem ÖFB und ihnen in der Vergangenheit immer wieder entgegengeweht hat - kann der auch mit einem gewissen Frust über eine größer werdende Kluft zu tun haben? Viele Vereine hatten das Gefühl, durch die Challenge mit einer Luxus-Sache konfrontiert zu sein, während es an der Basis am Nötigsten mangelt.

öfb-eingangshalle, euro-erinnerungen

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"Stimmt. Ich habe längere Zeit gebraucht, bis mir das bewusst geworden ist. In ersten Jahren war unser Individualtrainings-Projekt zu weit weg von Basis. Wenn die Lok zu weit vor dem Waggon fährt, gibts keinen Windschatteneffekt mehr. Und es gab gravierende Kommunikationsfehler von beiden Seiten. Die Konsequenz war, die Basis (in diesem Fall: den Profi-Fußball der Liga) hereinzunehmen und das neue Projekt auf deren Bedürfnisse abzustimmen."

Das hängt vielleicht auch mit einer anderen Kluft zusammen: der zwischen den Ex-Spielern, die zu schnell Experten oder Trainer werden und den Fußball-Lehrern, auch unter Außerachtlassung von Beispielen wie Mourinho oder Benitez. Ist diese öffentliche und wohl nur scheinbare scheinbare Häkel-Kultur nicht ein ernstes Problem?

"Es ist vielleicht ein bissl eine Schutzmaßnahme der Ex-Spieler. Aber mein Lieblings-Beispiel ist der Paul Gludovatz. Vor zehn Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass er, ein hervorragender Fachmann, Bundesliga-Trainer wird. Weil alle gesagt haben 'Der hat nicht gespielt, der kann des net'.

der öfb-trophäen-schrank

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10 Jahre später, derselbe Mensch, derselbe Trainer, derselbe akribische Arbeiter, sensationeller Erfolg mit der U20, auf einmal wird ihm die Chance gegeben und, siehe da, er nützt sie. Und die Akzeptanz bei den Ex-Spielern ist sofort da, und dieselben, die vorher gesagt haben, ich trau's ihm nicht zu, meinen jetzt, dass er ein toller Trainer ist."

Was wäre passiert, wenn 2005 aus dem Interimstrainer Ruttensteiner der Teamchef Ruttensteiner geworden wäre? Haben Sie sich das jemals überlegt?

Anmerkung: Ruttensteiner muss nicht eine Sekunde nachdenken - die Antwort kommt sofort.

"Ich versuche in meinem Leben den Dingen, die ich beginne, so lange nachzugehen, bis sich Erfolg einstellt. Mein Projekt seit 2001 ist es, die Situation im österreichischen Fußball zu veränderen. Und das ist bis heute nicht gelungen. Ich sehe sehr wohl Dinge, die sich in eine richtige Richtung entwickeln. Der Nachwuchsfußball steht gut da. Das war, als ich gekommen bin, nicht der Fall. Aber die Nationalmannschaft steht bei 80 bis 100. Das ist unbefriedigend. Die Vision ist Top 30.
In diesem Zusammenhang gibt es einen Spruch: Ein Teamchef will das nächste Spiel gewinnen, ein Sport-Direktor das nächste Jahrzehnt. Das hab ich begonnen, das möchte ich abschließen.
Mein Ziel ist es, den österreichischen Fußball bis 2012 auf ein gutes Niveau zu bringen. Es gibt Erfolge mit der U17, der U19, der U21, ist mir aber noch zuwenig.
2005 wäre es also aus meiner Sicht wäre völlig falsch gewesen, den Teamchef anzustreben - es wäre auch nicht gutgegangen. Ich maße mir nicht an, es besser machen zu können als Hickersberger - und welche Drucksituationen hat der bekommen, und das als anerkannter Meistertrainer! Und jetzt stellen Sie sich vor, ich als junger Trainer an seiner Stelle. Ich hätte diese Situationen, in die ich auch gekommen wäre, nicht überlebt."

Willibald Ruttensteiner

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Willibald Ruttensteiner

Wie definieren Sie den angesprochenen "Erfolg"? Wie die Resultatsfetischisten? Ist eine Quali für 2012 die Meßlatte?

"Sicher wär es das. Aber viel wichtiger ist es mir nicht nur ergebnisorientiert zu denken. So wie das bei der aktuellen WM-Qualifikation passiert ist, mit den zunächst völlig überzogenen Erwartungen. Wichtig ist: Wie spielt unsere Nationalmannschaft? Wenn wir es schaffen, dass die Leute das Nationalteam mögen, tollen Fußball sehen und freudig weggehen, dann haben wir etwas erreicht, wurscht ob wir 2012 dabei sind oder nicht."

Eins noch, weil zuletzt auch im ÖFB-Umfeld wieder viel vom Gegensatz der Generation Playstation zu den echten Kickern von früher die Rede war. Wie gehen Sie als zuständiger Ausbildner-Chef mit dieser realitätsfremden Debatte aus dem 20. Jahrhundert um?

der blick aus ruttensteiners büro

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"Die sogenannten Straßenfußballer sind natürlich die besten. Nur: in Europa gibt es die nicht mehr.

Wer unzählige Stunden im Park, am Strand, im Käfig spielt, der wird besser, das kann man auch mit guter Methodik und Didaktik nur schwer aufholen, das ist jedem klar, brauch ma gar ned redn.

Wichtiger Punkt! Verschlafen haben das alle Verantwortlichen, Medien, Ex-Spieler-Lobbies vor allem deswegen, weil sie einen Popanz, einen Papiertiger aufgebaut hatten: dass sich Österreich nämlich immer auf die Straßenkicker verlassen können würde, dass der Nachwuchs weiter auf den Bäumen wachsen würde (dass also Mittel für Entwicklungsarbeit doof wären). Teilweise war das Absicht, teilweise stand da der tatsächliche (unendlich naive) Glaube dahinter eine gesamt-gesellschaftliche Entwicklung aufhalten zu können.

Wenn Sie mich fragen was mir lieber ist, ein Spieler, den man in einem Ausbildungzentrum jeden Abend zwei Stunden nach besten wissenschaftlichen Erkenntnissen trainiert oder jemand, der in den Ferien acht Stunden am Tag kickt, dann sag ich: am liebsten beides, aber der, der acht Stunden spielt, wird einfach besser werden.
Bei Arnautovic etwa ist es die Kombination: sowohl gezieltes Training als auch das Interesse pausenlos dem Ball nachzulaufen.
Ein Schüler hat heute nimmer die Zeit vier Stunden dem Ball hinterherzulaufen, deswegen geht er nur noch zum Training, nimmer auf die Straße, und deshalb muss das Training verdammt gut sein, Schul-Kooperationen muss es geben, intensive Betreuung, Persönlichkeitsbildung muss es geben, weil wir sonst keine Talente mehr zamkriegen werden.

Weil es diese Straßenfußballer eben nicht mehr gibt.

Und in Österreich hat man seinen Wegfall übersehen. Der Schaden ist in den 90ern entstanden, da hat man eine Generation verloren: der Wegfall der Naturtalente und eine zu oberflächliche Ausbildung waren schuld. Und die vielen daraus folgenden Klischees, die von Medien gern aufgegriffenen, nicht bösartigen Meinungen vieler. Da sind wir sind gefordert das besser zu erklären.
Denn darunter leidet das Nationalteam in diesem Jahrzehnt.
Insofern freut mich die aktuelle Einberufung, es gibt Talente, die mir Hoffnung machen."

Danke fürs Gespräch, wie man so schön sagt.
Demnächst im übrigen in diesem Fußball-Journal-Theater - der aktuelle Legionärs-Eintrag, der auch viele der Jungen aus dem Projekt 12 beinhalten wird.