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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

19. 3. 2009 - 10:27

Die mysteriöse Produktion von Wörtern

Nie wurde das Wort "Bauchfellentzündung" schöner gesungen als vom "noblen Biest" Andrew Bird

Die Behauptung, dass Andrew Bird ein komischer Kauz ist, schaut - bedenkt man seinen Namen und Plattentitel wie "The mysterious production of eggs" - wohl wie ein Kalauer von einem einfallslosen, nach Zeilen und Witzanzahl bezahlten Journalisten aus. Ganz lässt es sich aber nicht leugnen.

Andrew Bird war mit sieben Geigenvirtuose, mit 14 Multiinstrumentalist und mit 20 hörte er ausschließlich Vorkriegsjazz. Er hat einen Universitätsabschluss in Geige und lebt, obwohl in Chicago aufgewachsen, heute auf einer Farm in der Nähe eines Dorfs mit 682 Einwohnern. Er war Geiger der Punk/Klezmer/Swing Pop Band Squirrel Nut Zippers, deren Ehrenmilied er heute noch ist und von denen er wohl seinen - auch in Zeiten, wo sich alle verstärkt damit brüsten, keine "Musical Borders" zu kennen und alles "irgendwie gut" zu finden - außergewöhnlichen Hang zum musikalischen Eklektizismus gelernt hat. So finden sich auf Andrew Birds Platten mehr Stile und Referenzen als in einer durchschnittlichen Plattensammlung: Western Swing und Cajun, John Cale und Gram Parsons, Klezmer und West Coast Country, James Taylor Balladen und Harry Nilsson Elegien, Musicalharmonien und Kammermusik, Minimalmusik a La Steve Reich, Edvard Grieg und Prokoffieff, Violinenloops und Rückwärtsspuren und und und.

Der Kauz auf seiner Farm

Cameron Wittig

Der Kauz mit den Gummistiefeln auf seiner Farm

Auf vergangenen Platten, die er Solo und mit seiner Band "Bowl of Fire" aufgenommen hatte, trugen seine Songs titel wie "Flaute" und "Erstes Lied", oder sie waren statt eines Titels mit "Tilde" und "Doppeltilde" gekennzeichnet. Auf seiner neuen Noble Beast heißen die Songs "Effigie", "Nomenklatur", "Dünnheit" und "Oh Nein".

Klatschen und Pfeifen

Andrew Birds Markenzeichen ist ein hoher, klagender Gesang, dazu kommen der mittlerweile seit Arcade Fire, Parenthetical Girls und Tilly and the Wall obligatorische Einsatz des Glockenspiels, ein virtuoses, perkussives Geigenspiel inklusive Pizzicato und - neu jetzt auf "Noble Beast"- das Händeklatschen. Zudem ist Andrew Bird ein Virtuose in der (von Roger Whittaker, unser aller Leblingsenglischlehrer- Schlagersänger diskreditierte, von den Meat Puppets in der Grunge- Zeit rehabilitierte und von Axl Rose und den Scorpions wieder verhunzte) Kunst des Pfeifens, das er auf "Noble Beast" verstärkt und verlässlich ebenso einsetzt wie das Pizzicato und den Handclap. Das funktioniert musikalisch prächtig - auch wenn Bühnenansagen a la "Lasst uns in die Hände Klatschen und die Brustfellentzündung der Troglobiten beklagen" auf einem Festival nur schwer vorstellbar sind.

Cameron Wittig

Lyrik

Denn das eigentlich Kauzige und auch Auffällige ist Andrew Birds Angewohnheit, merkwürdige bis unverständliche Wörter zu einer merkwürdigen bis unverständlichen Lyrik zu kombinieren. Kein Wunder dass er damit von Kritikerseite, die die Liebeslyrik sagen wir der "Shins" für das Ausgefeilteste halten, eher auf Unverständnis stösst. "We call a Spade a Spade", sagt man in England und rezensenten greifen nicht gerne zum Lexikon. Schon "aubergine", "translucent alabaster" und "nomenclature" gehören nicht gerade zum Basisvokabular von Songlyrik, doch es gibt Beispiele für wörter auf "Noble Beast", die es nicht zu gewagt erscheinen lassen, Andrew Bird als den Thomas Pynchon des Songwritings zu bezeichnen, zu dessen Lyrikverständins man zumindest einen Neigungslehrgang Biologie der Oberstufe absolviert haben müsste.

Einige Wörter, die auf "Noble Beast" gesungen werden:

tenouosness
effigy
fitz
pleurisy
anthurium
fecundates
troglobite

Dazu kommt ein hang zu Odgen Nashs wortspielreicher Nonsenslyrik. Was soll zum beispiel das heißen:

The seemingly innocuous plecostomus
though posthumus
They talk to us
They talk too much

Das heißt soviel wie:
"Die scheinbar harmlosen Harnischwelse, obwohl verstorben, sprechen zu uns und sprechen zuviel" ... Das erinnert außer an Nashs "Come take my jellyfish, I am not sellyfish" am ehesten noch an den Peter Gabriel der "Selling England by the Pound" - Phase, nicht aber an den freundlichen Nachbar Indiepoeten.

Albumcover: Noble Beast

Bella Union

Noble Beast ist bereits auf Bella Union records erschienen

Fast hat man den Eindruck, Andrew Bird wolle die Zugänglichkeit, den Wohlklang und den Harmonenreichtunm seiner Musik konterkarikieren durch eine absichtlich verwirrende Verdunkelungs-Wortwahl. Was immer diese von Alliterationen, Chiasmen und Assonanzen strotzende Lyrik bedeutet, sie klingt gut, und sie tut dies das ganze Album lang.

All diese Kauzigkeit, die auf Andrew Birds früheren Alben zu tändelnden und verwirrenden, manchmal trotz Größe nervenden Platten geführt hatte, ist auf "Noble Beast" jetzt in eine runde, klassische Form gegossen, die sich mit den vergessenen Songwritern der siebziger Jahre, Carole King, James Taylor oder Harry Nilsson messen will. Und den Test durchaus besteht - wenn auch um eine bizarre lexikalische Ebene erweitert.

Mehr zu Andrew Bird und seinem Album "Noble Beast" gibt es heute, 19. März 2009, in der Homebase (19-22).