Erstellt am: 17. 3. 2009 - 18:00 Uhr
Internetsperren
Meine Mutter staunte nicht schlecht, als ich ihr vor kurzem das Chatten im Internet beigebracht habe. "Seit 20 Jahren verwendest du das?" Als frei und global habe ich die Datenfernübertragung in den achtziger Jahren allerdings nicht empfunden, ganz im Gegenteil: BTX lief nur auf einem Computer, den die Post verkaufte (dem MUPID-Computer), und die Inhalte waren ebenfalls von der Post geregelt. Ins Ausland surfen? Nix da, Deutschland hatte sein eigenes BTX, wie auch die Schweiz oder Frankreich. Bezahlt wurde neben der saftigen Grundgebühr auch ein kleiner Beitrag pro aufgerufener Seite.
Eigentlich hätte BTX auch schon in den achtziger Jahren auf anderen Rechnern funktioniert als dem der Post, zum Beispiel dem millionenfach verbreiteten Commodore 64. Der Amtsschimmel aber weigerte sich aber viele Jahre, das Netz für andere Geräte oder fürs Ausland zu öffnen.
Ab den späten Achtzigern, nach Lockerung der strengen Bestimmungen über zulässige Modems, wurden endlich private Mailboxen wie FidoNet oder Black°Box populär, der Preis dafür war dank horrender Festnetz-Telefongebühren immer noch skandalös. Schließlich ersetzte das Internet nach und nach den Mief der regulierten Post-Netzwerke und die Eigenbrödlerei der geschlossenen Mailbox-Systeme.
Wenn Youtube heute Videos für Europa sperrt, empfinden das manche als Lappalie. Youtube gehört zu Google, und dieser Konzern sperrt ja auch freiwillig Suchergebnisse in China, um sich den dortigen Markt nicht zu verderben. Im Fall von Youtube erfolgt die Selbstzensur aus dem gleichen wirtschaftlichen Interessen: Man will es sich nicht mit den Plattenindustrie verderben, die zur Not - wie im Fall von The Pirate Bay - sogar die Welthandelsorganisation zur Hilfe ruft, um Druck auf einen ganzen Staat (in diesem Fall Schweden) auszuüben. Politiker setzen das Thema Urheberrecht dann auch bereitwillig als Hebel für Internetsperren an, wechselweise mit Gewaltdarstellung, Naziwebsites und Kinderpornos. Die eigentliche Frage wäre dabei: Vor welchen Inhalten müssen wir tatsächlich schützen und geschützt werden, und wieviele Nebenwirkungen wollen wir dabei in Kauf nehmen?
Derzeit wird aber vor allem über verschiedene Arten von Sperrlösungen diskutiert: Zum Beispiel das Sperren von DNS, also Domain-Name-Servern: einfach zu bewerkstelligen, aber fast genauso leicht zu umgehen. Eine nachhaltige Sperrung von Inhalten ist so nicht möglich, außer man macht aus dem Internet wieder regional beschränkte Onlinedienste, in denen nur kontrollierte Inhalte abgerufen werden können.
In eine ähnliche Richtung zielt die Sperre von IP-Adressen von Websites. Schwerer zu umgehen, aber die Kollateralschäden sind extrem. Es kann vorkommen, dass einem gesperrten IP-Bereich tausende Websites zugeordnet sind, der Zugang wäre dann zu allen unterbunden. Das geschieht immer wieder, so hat Deutschland mit der Sperre einer amerikanischen Nazi-Website einmal gleich hunderte schweizer Websites mitgesperrt.
Dritte Möglichkeit: Man macht zunehmend die Internet-Serviceprovider für die Inhalte der User verantwortlich. In Frankreich und auch auf EU-Ebene gibt es konkrete Pläne dazu. So zwingt man die Provider zum Einbau von „Filtern“, also Zwangsproxys und Programmen, die Inhalte nach Illegalem durchsuchen. Das Netz wird dadurch nicht nur gefiltert, sondern auch empfindlich gebremst. Und wie unzuverlässig automatische Filterprogramme funktionieren, kann man an vielen skurillen Beispielen sehen: Eine Informationsseite über Brustkrebs wird von einem Internet-Dienst gesperrt, weil "breast" ein verbotenes Wort ist. Ein User des Videospiele-Netzwerks "Xbox Live" verliert seinen Zugang, weil sein bürgerlicher Nachname die von Microsoft verbotene Buchstabenfolge "gay" enthält.
Selbstzensur, Regionalisierung und der politische Wille zur Filterung des Internet nehmen in Europa weiter zu. Nach dem Amoklauf von Winnenden wird in Deutschland sogar über die lokale Sperrung von Videospiele-Websites diskutiert. Um sich gegen diesen Trend halbwegs zu schützen, braucht man die gleichen Tools, die auch chinesische Blogger verwenden, um auf ausländische Websites zuzugreifen: Proxy-Server, Virtual Private Network und Verschlüsselung. Klingt kompliziert, ist aber auch ohne Informartikstudium zu machen: Ein Programm das diese Dinge erledigt, heißt "Hotspot Shield". Dieses nette Gratis-Tool läuft mit Windows und MacOS, verschlüsselt die übertragenen Daten und ermöglicht anonymes surfen, denn die eigene IP-Adresse wird durch eine amerikanische ersetzt. Und siehe da, plötzlich funktionieren regional gesperrte Youtube-Videos wieder, und sogar ein TV-Portal wie Hulu, das normalerweise nur den Zugriff aus den USA ermöglicht, funktioniert. Wer sich näher für die Funktionsweise von Tools wie Hotspot Shield interessiert, googelt einfach ein bisschen nach VPN.