Erstellt am: 17. 3. 2009 - 16:29 Uhr
Journal '09: 17.3.
Der Teletext an sich ist alt, der ORF-Teletext ist seit Montag neu.
Was machst du, wenn du, sagen wir nach einem Abend voller Real-Konsumation und Real-Kommunikation, etwas später heimkommst und plötzlich (in einer Art wissensdurstiger Heißhunger-Attacke) Lust drauf kriegst, schnell noch informiert zu werden, wie jetzt die eigentlich entsetzlich unwichtigen UEFA-Cup-Spiele des Abends ausgegangen sind?

blumenau
Fährst du deinen Laptop hoch um schnell irgendwo nachzuschaun? Aktivierst du ein Abo-Service am Handy? Schaust du schnell nach, ob ein Facebook/Twitter-Freund, der mehr wissen kann, online ist?
Ich schalte den Fernseher ein,
auf seinem Startseiten-Kanal, und tippe 220 in die Fernbedienung und kriege Resultat, Hinspiel-Ergebnis, Aufsteiger und ein eventuelles Detail (wie Ausschluss, Torschützen) und zwar schneller als ich Passwörter eintippe, Menüs entlangklettere oder erst das Hirn einschalten muss.
202 zeigt mir, ob sonst was passiert ist, im Sport, und 111 dasselbe, quasi für die Welt. Nach zwei Minuten bin ich wieder raus aus dem Teletext und bedürfnisgerecht informiert, und nicht vollgefressen wie bei Heißhunger-Attacken anderen Art.
Der Teletext ist ein altes und altmodisches Medium, das Internet des kleinen Mannes, wie Christoph Grissemann (Heavy User) so gern sagt, aber es ist das eigentliche Premium-Medium meiner Gegenwart.

blumenau
Andere, der Kollege Schönauer z.B., schauen verdattert, wenn vom Teletext die Rede ist, und rechnen nach, wann sie da das letztemal reingeschaut hätten (manche kommen auf Antworten wie "im 20. Jahrhundert!"). Auch zurecht, wenn man bedenkt, dass etwas wie Tele- oder Videotext in den USA so gut wie unbekannt ist. Selbst der globale Player CNN stellte sein Service irgendwann ein - amerikanisch geprägte Menschen brauchen's einfach nicht.
Österreich hingegen war Teletext-Pionier:
nach den Erfindern (wie immer: die BBC) und den Schweden war der ORF 1980 der dritte Ausspieler, noch vor den Deutschen.
Seit gestern schaut der ORF Teletext neu aus, schon seit ein paar Tagen länger der ähnlich gestylte auf 3sat.
Auf dem schau ich keine Fußball-Ergebnisse an, der hat keine, sondern den Programmablauf. Denn das ist, zumindest meine, zweite wesentliche Teletext-Verwendung.
Habt ihr schon einmal probiert auf den Websites der deutschen Privaten nach einer heute ausgestrahlten Serie zu suchen oder probiert im Netz eine wirklich aktuelle Version des sich dauernd ändernden Eurosport-Programms zu finden?

blumenau
Das kostet Zeit und Nerven, meist ohne Resultat. Der interne Teletext (auch bei Vox oder dem Eurosport) hingegen ist über die kurzfristigen Änderungen bestens informiert und weiß meist auch, welche laufende Nummer die Criminal Intent-Folge hat. Ganz abgesehen davon, dass da selbst die deutschesten Sender ein ununterbrochen geöffnetes Österreich-Fenster haben (ihr einzig reeles, wohlgemerkt).
In solchen Situationen bin ich dann gern der kleine Mann.
Natürlich ist der Teletext ein zum Untergang verurteiltes Medium.
Deswegen kann er trotzdem das eigentliche Medium der Stunde sein. Weil er nämlich alles, was die Rampensäue der digitalen Boheme so schätzen, auch kann/hat: Kürze, Tempo, Geschwindigkeit. Der Teletext morpht sich von einer Stunde in die nächste, er sieht immer gleich und trotzdem immer anders aus.
Er bedient aber genauso auch die Couchlümmler, die sich sonst maximal die Gratisblätter geben und bei Nachrichten wegklicken - aber der Blick aufs Cover, auf die 100er-Seite ist selbst dort Pflicht, als ZIB für die Armen.
Wahrscheinlich ist es auch dieses demokratische Element am Teletext, das ich so schätze. Denn in all den Diskussionen um den Verfall des Qualitätsjournalismus kann ein Content-Ausspieler, der alle Menschen gleichermaßen bedient und alle Menschen gleichermaßen erreicht, ohne von irgendeinem Teil der Öffentlichkeit als "komisch", "parteiisch" oder sonstwie besserwisserisch belangt zu werden, nicht genug gewürdigt werden.

blumenau
Und dass all dies mit einer fast schon hermetisch zu nennenden Zeichenbeschränkung vonstatten geht, sollte den Smsern und Twitterern, die das ihrerseits schwer schaffen, ordentlich zu denken geben.
Der Höhepunkt seiner Kunst
Irgendwann, in baldiger Zukunft, wird das, was wir heute als Teletext kennen, in eine Art Universal-Assistenten integriert sein, der die diversen Medien für uns verwaltet. Und der Quasi-Vorab-Filter, der jetzt noch in meinem Kopf steckt (100-109, 111ff, 202-209, 220- 224) wird dann automatisiert daherkommen; und mich vielleicht sogar zwischendurch belästigen (wohl per fiependem Ding, egal, wie das Handy dann heißen wird).
Weil es sich aber, trotz all der schönen schaurigen Zukunft, auch ziemt, die Gegenwart zu beachten, und weil der Teletext eine bestmögliche lebt, auf dem Höhepunkt seiner Kunst dasteht und trotzdem als derart selbstverständlich wahrgenommen wird, gehört er vor den Vorhang getrieben und zu einer Verbeugung genötigt.