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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

17. 3. 2009 - 18:36

Rolle vorwärts

Neue Leitung, selbe Stadt und 100 Filme im Wettbewerb – eine Vorschau auf die Diagonale, das Festival des österreichischen Films in Graz.

Frühling wird es in Graz mit der Diagonale. Mit dem Festival des österreichischen Films macht man Rollen vorwärts, blinzelt nach Stunden in dunklen Kinosälen in die Sonne und steht mindestens an einem Tag bereits im T-Shirt vor einem Kino.

Neu ist die Leitung des Festivals des österreichischen Films: Barbara Pichler hat sich durch über 500 Einreichungen gearbeitet und ausgewählt. Bereits beim Durchlesen des Programms, ausgestattet mit Highlightes fällt mir auf: dieses Jahr könnten sich wieder viel mehr Filme im persönlichen Plan ausgehen. Die Überschneidungen von anvisierten Wunschfilmen halten sich in Grenzen. Das Programm der Diagonale hat Pichler bewusst entschlackt und beraten von Kuratorinnen ihre Wahl getroffen.

Für die Experimentalfilme würde die Filmwissenschafterin, Kuratorin und Publizistin Pichler sogar für jeden Einzelnen persönlich streiten: "Die Sektion Kurzfilm/Experimentalfilm/Animation gab es immer auf der Diagonale, und das wird auch weiter so sein. Und es gibt wieder genug gute Filme. Von den 500 Einreichungen kommt ungefähr die Hälfte aus diesem Bereich". Ingesamt gibt es 130 Vorstellungen auf der Diagonale 2009.

Im Festivalzentrum im Kunsthaus Graz tragen die ersten Gäste fröhlich ihre roten Tragtaschen von dannen, Marco Antoniazzi ist schon da und signiert eine Filmklappe für ein Foto.

Regisseur Marco Antoniazzi hält eine Filmklappe

FM4

Heute Abend wird sein Langspielfilm-Debüt "Kleine Fische" das Festival des österreichischen Films eröffnen. "Nie jammernd", wie Barbara Pichler über ihre Entscheidung sagt, erzählt "Kleine Fische" von zwei Brüdern, die sich beim Begräbnis ihres Vaters nach langer Zeit wiedersehen. Und die ihr Erbe in einem kleinen Fischladen antreten, in Zeiten, in denen der Supermarkt auf der anderen Straßenseite mit Dumping-Preisen wirbt. Abseits von Horror verdreht darin Sabrina Reiter beiden Hauptdarstellern die Augen.

Sabrina Reiter und Michael Steinacher sitzen im Auto und lachen. Denn Reiter trägt eine Taucherbrille.

Novotny Film

"Total die nette Rolle" hat Sabrina Reiter in "Kleine Fische“. Das Drehbuch hat die Schauspielerin neben den Dreharbeiten zu "In 3 Tagen bist du tot – 2" studiert.

Am Set der Kleinen Fische traf sie auch Michael Steinacher wieder, gemeinsam standen sie für das Traunsee-Massaker des ersten Teils von Andreas Prochaska vor der Kamera. Ich erinnere mich noch an das "Kettenkarussel", einen Kurzfilm von Antoniazzi, der in einem Kurzfilmprogramm vor einigen Jahren in Graz lief. Fünf Personen, deren Beziehungen zueinander sich mit jedem Schnitt am rotierenden Karussel in einer Schneelandschaft entspinnen.

Unterwasseraufnahme von zwei sich küssenden Burschen

KGP

This must be Universalove

Die Liebe lässt Thomas Woschitz parallel auf mehreren Kontinenten in Episoden auftreten. Nach der Weltpremiere in Toronto und den Filmfestivals in Miami, Berlin und zuletzt Saarbrücken, wo er den Max-Ophüls-Preis 2009 gewann, ist "Universalove" in Graz zu sehen und zwar live: heißt, dass die für die Musik des Films Verantwortlichen, Naked Lunch, diese live zur Projektion spielen werden (Donnerstag, 19.3., 22 Uhr, Postgarage).

Naked Lunch zeichnen auch für die Filmmusik zu "Liebe und andere Verbrechen" verantwortlich. Der Spielfilm des Belgrader Regisseurs Stefan Arsenijevic läuft in der Reihe "Spektrum", die den Blick auf Kooproduktionen österreichischer Filmschaffender mit europäischen Kollegen richtet.

Dokudrama in progress

Als Specials widmet die Diagonale eine Personale der Filmemacherin, Performance- und Körperkünstlerin Mara Mattuschka und begrüßt als Gäste den deutschen Regisseur Stefan Krohmer und den Drehbuchautor Daniel Nocke.

Regisseur Stefan Krohmer

Stefan Krohmer

Krohmer kommt mit einem besonderen Gastgeschenk nach Graz: als Work in Progress ist sein neuer Film "Dutschke" exklusiv zu sehen (Freitag, 20.3., 12 Uhr, Schubertkino).
Anhand der 2003 erschienen Tagebücher von Rudi Dutschke und inspiriert von Gretchen Dutschkes Biografie arbeiten Krohmer und Nocke mit Material von Interviews und inszenierten Szenen. In der Rolle der Symbol- und Projektionsfigur Dutschke ist Christoph Bach zu sehen, der bereits in Elisabeth Scharangs "Mein Mörder" die Hauptrolle spielte.
Regisseur Stefan Krohmer und Daniel Nocke werden freitags (20.3., 16 Uhr, Kunsthaus Graz, space 04) über ihre Arbeit sprechen.

Speziell an interessierte Jugendliche wendet sich Jakob M. Erwa: Einblicke in das Geschehen hinter der Kamera gibt der junge Regisseur in einem Werkstattgespräch am Donnerstag (19.3., 14 Uhr, Forum Stadtpark, Anmeldung unter: produktion-graz@diagonale.at). Für seinen ersten Langspielfilm "Heile Welt" wurde Erwa 2007 mit dem Großen Diagonale-Preis für den besten österreichischen Spielfilm ausgezeichnet. Von "tschuschen:power, der ORF-Serie des Regisseur sind die ersten fünf Teile in einem Paket zu sehen. Jugendliche mit Migrationshintergrund spielen darin die Hauptrollen.

Arman, Hidy, Hui, Adif und Mohammed heißen die Protagonisten von "Little Alien". Dokumentarisch widmet sich Nina Kusturica dem Da-Sein unbegleiteter minderjähriger Asylwerber.

Ein Mädchen mit Kopftuch

Mobilefilm

Wir ersuchen Sie, Platz zu nehmen...

Besonders die Dokumentarfilme lassen einen in oft höchstpersönliche Lebenswelten von Menschen tausende Kilometer und Flugstunden entfernt eintauchen. Nikolaus Geyrhalter legt sein Roadmovie "7915 KM" entlang der Rennstrecke Paris-Dakar. Im Zug unterwegs ist Michael Schindegger mit "Dacia Express" zwischen West und Ost, Wien und Bukarest.

In "Oceanul Mara" Mare liegt China am nordöstlichen Rande von Bukarest: hier befindet sich der größte China-Markt Europas. Die gebürtige Grazerin Katharina Copony folgt in ihrem Dokumentarfilm drei Chinesen durch Bukarest.
Michael Pilz reist durch Jemen ("Yemen Travelogue"), während Amin Hak-Hagir in "Urlaub vom Frieden" einen österreichischen Soldaten, der freiwillig in den Jugoslawienkrieg zog, fünfzehn Jahre nach den Kriegshandlungen über das Erlebte sprechen lässt.
Auf den nummerierten Sitzen Platz nehmen bitte, wo freie Plätze sind, Anschnallen wäre manchmal gut.

Für "eine von 8" haben Frauen mit Brustkrebserkrankungen die Videokameras eingeschalten. Sabine Derfilnger dokumentiert mit ihren Protagonistinnen Ängste, Hoffnungen und Sehnsüchte von Frauen in einer Extremsituation: Eine von acht Frauen erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs.

Spannend könnte Yoav Shamirs Doku "Defamation" für das Publikum werden: Was bedeutet Antisemitismus heute? fragt sich der Filmemacher und sucht nach den modernen Erscheinungsformen von Antisemitismus.

Contact High

Der insgeheime rote Teppich der Diagonale ist der Schanigarten des Schubert-Kinos. Sehen und treffen kann man diese Woche in Graz: Sabrina Reiter, Ursula Strauss (in der Jury für den Schauspiel-Preis), Michael Glawogger (er hat gleich zwei Filme, die Haslinger-Literaturverfilmung "Das Vaterspiel" und "Contact High" auf der Diagonale laufen), Händl Klaus (endlich ist auch März, der erste Spielfilm des Dramatikers über die klaffende Lücke, die die Selbstmorde dreier junger Männer hinterlassen, in Graz zu sehen), Didi Bruckmayr ("Flexible Cities") und Karl Markovics (in der Jury für den Thomas-Pluch-Drehbuchpreis), um nur ein paar wenige zu nennen.

Zu den Spielfilmen äußert sich dann Markus Keuschnigg in den kommenden Tagen laufend, er sitzt bereits im Zug nach Graz.