Erstellt am: 15. 3. 2009 - 07:12 Uhr
Der Song zum Sonntag: Morrissey
"Everyday is like Sunday" ist nicht umsonst von Thomas Kramar von der Presse als erster Sonntagssong ausgewählt worden. Es ist die programmatische Hymne eines ereignislosen und durchschnittlichen Sonntags und somit etwas, womit sich die Produzenten einer Sonntagszeitung beschäftigen sollten, die es sich zum Ziel gesetzt hat, eben diesen Tag zu "retten" und durch kurzweilige Lektüre aufzuwerten.
Song zum Sonntag
Heute startet eine kleine Kooperation zwischen FM4 und der großen alten Dame des österreichischen Zeitungswesens, genauer gesagt, mit deren jüngstem Baby. Die Presse hat nämlich ein gewagtes Experiment auf die Beine gestellt: Ab heute gibt es jeden Sonntag eine eigene, in Layout und inhaltlicher Gewichtung vom Mutterblatt verschiedene Sonntagsausgabe der Presse, die "Presse am Sonntag". Darin wird es eine kleine, in Kooperation mit FM4 gestaltete Kolumne geben, die sich jedes Mal mit einem wichtigen (meist, aber nicht nur, aktuellen) Popsong auseinander setzt. Für die Presse wird diese Kolumne der Kultur- und Wissenschaftsjournalist Thomas Kramar gestalten, den FM4 Part übernimmt Boris Jordan.
Grund genug, Thomas Kramar am Sonntag ins Gästezimmer zu bitten. Connected 13 - 17 Uhr
morrissey
"Everyday is like Sunday" ist Morrisseys erste gute Single nach dem "Death of a Disco Dancer" vom zerfahrenen Abschiedswek der Smiths, "Strangeways here we come".
Nach den Smiths und nach den Achtzigern war für Morrissey alles still und grau. Thatcher hatte gewonnen und England ziemlich verändert, immer stark kritisiert und leidenschaftlich gehasst von Morrissey, der sich - in einer Tradition von etwa Ray Davies stehend - stets als eine (fast nur in England mögliche) Mischung als linker Dandy und moralischer Traditionalist gebärdet hatte. Nur wenig später sollte er sich in einen Union Jack gehüllt fotografieren lassen und eine Single namens "National Front Disco" veröffentlichen. Ambiguität ist Morrisseys wichtigstes Stilmittel. So hat "Everyday is like Sunday" zwei gegenteilige Lesarten.
Ob Margaret Thatcher uns das eingebrockt hat? Einst blühende Urlaubsstädte könnten eine Metapher für das verlorene England der einst stolzen Arbeiterklasse sein und den Übergang in eine Gesellschaft markieren, die es in ihren Worten "gar nicht gibt", die nur aus unsolidarischen, postfordistischen "Individuen" besteht, die genauso gut die Bombe und den Weltenbrand herbeisehnen können, der sie aus dieser Tristesse rausholt. Das ganze Leben zu einem öden, dunklen grauen Tag gemacht.
Man könnte es so lesen. Man könnte es aber genausogut auch umgekehrt lesen.
myspace.com/morrissey
Vielleicht ist die neue, geile Konkurrenzgesellschaft ja selbst die Erlösung aus einer öden Versorgungsgesellschaft, die sich wie ein "seltsamer Staub" auf unsere Hände niedergelassen hatte. Vielleicht ist der öde Sonntag ja der alte Sonntag des Wohlfahrtsstaates England der Nachkriegszeit, an dem die britische Arbeiterfamilie zu Inlandsreisen nach Blackpool oder Torquay gefahren war, um in einer "Seaside Town" beim Bingo einen billigen Topf zu gewinnen. Vielleicht ist der hier herbeigesehnte biblische Untergang ("Come Armageddon, Come") - anders als die Bedrohung, als der er im Reggae Klassikern und bei den Handlungsbedarfs-Chic Radikalen von The Clash empfunden wird - als reinigende Kraft zu verstehen, die uns von der Misere erlösen soll, an einem grauen, stillen Ort zu leben.
Vini Reilli von Durutti Column war der erste musikalische Partner, den sich Morrissey nach dem Split der Smiths für seine Soloaktivitäten ausgewählt hatte.
Wie gesagt, Morrissey'sche Zweideutigkeit - die macht wie so oft ein Kunstwerk groß. Unabhängig von der Exegese ist "Everyday is like Sunday" allein wegen den wunderschönen Hymnenharmonien, die Morrisseys neuer Freund Vini Reilly da übereinander geschichtet hatte, eine immer noch gültige Elegie gemeinsamer Bitterkeit über die gemeinsame Erkenntnis des öden, stillen dunklen Lebens. Ideal für den Himmel, den wir in Österreich - zumindest in Wien - sechs Monate im Jahr haben.