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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

13. 3. 2009 - 12:06

Rote Rosen & Zigarettenstummel

Im Bio-Pic "Hilde" begibt sich Heike Makatsch auf die Spuren der großen Hildegard Knef.

Du meine Güte, dieses Leben schreit geradezu mit rauchiger Stimme nach einer Verfilmung. Erste Schauspielversuche in der Naziära, eine Affäre mit einem hohen Parteigenossen, Überlebenskämpfe in den Trümmern von Berlin, die Heirat mit einem jüdischen Filmagenten, ein vorerst gescheiterter Flirt mit Hollywood, ein nackter Busen, der den größten Leinwandskandal der Nachkriegsgeschichte auslöst.

Hildegard Knef

ARD

Da steht man rum und hängt den Kopf
wie ein ausgedörrter Primeltopf
in einem dunklen Raum

Und dann verkümmert die Freude
die Seele wird steril
das Herz macht keine Sprünge mehr
und wandert ins Exil

Der Mensch muss unter die Leute
er braucht sein Publikum
er wird erst, wo Gedränge herrscht
zum Individuum

Hildegard Knef "Der Mensch muss unter die Leute"

Und danach, mit ihrem Comeback als Chansonstar, beginnt sie in gewisser Weise erst richtig, die Karriere der Hildegard Knef.

Pop und Politik, Kunst und Kommerz, Glamour und Traurigkeit und immer wieder eine Zigarette im Mundwinkel. Die gebeutelte, zerrissene, flirrende Existenz der 2002 verstorbenen Schauspielerin, Sängerin und Autorin, die im Deutschland der Nachkriegszeit zu den Ausnahmephänomenen gehörte, scheint eine ausgesprochen aufgelegte Geschichte für das Kino.

Regisseur Kai Wessel macht es sich in "Hilde" dann auch zu leicht mit Hildegard Knef. Sklavisch hält er sich an das bewährte Schema unzähliger Bio-Pics und stellt ein zentrales Konzert an den Anfang und das Ende seines Films, in diesem Fall einen Berliner Auftritt anno 1966, an dem sich die Knef backstage an ihre bewegtesten Momente zurückerinnert.

Das ruft, wohl nicht unbewusst, Assoziationen an erfolgreiche Vorbilder wie "Walk The Line" oder "La Vie En Rose" wach.

Heike Makatsch in "Hilde"

Warner Bros

Und so ziehen sie in Rückblenden vorbei, all die Aufstiege und Abstürze, die roten Teppiche und zerschlagenen Garderobenspiegel. Man könnte "Hilde" sehr leicht als Abfolge sorgfältig inszenierter Künstlerklischees zerreißen.

Aber ich müsste lügen, wenn das für mich schon alles gewesen wäre. Manchmal haben die konventionellsten Mainstreamproduktionen irgend einen emotionalen Mehrwert, der sich in vielen avancierten Autorenfilmen nicht findet.

So sitze ich seit Jahren, hasse die Stille,
liebe den Lärm, die schlaflose Nacht;
erwarte den Tag mit ertrunknen Gedanken,
begegne der Frühschicht der Stadt, die erwacht.

Allein, das können wir immer noch sein,
wir haben nichts anderes erfahren,
wir kennen uns nicht, und erkennen uns doch,
zu zweit ist, was wir niemals waren.

So lebe ich seit Jahren, hasse die Ruhe,
liebe den Puls der eiligen Nacht;
versinke im Licht des mutlosen Tages,
erwarte die Stunde der Nacht, meiner schlaflosen Nacht.

Hildegard Knef "Ich bin zu müde, um schlafen zu geh'n"

Im Fall von Kai Wessels stereotyp angelegtem Drama ist Heike Makatsch so ein Pluspunkt. Ihre Blicke, ihr Charme, ihre Leidenschaft wirken nach, nehmen ein, überzeugen, machen auch die Frage überflüssig, ob es hier um pingelig einstudierte Posen oder tolles Schauspiel handelt.

Das Schönste - und da ist mir dazu Oliver Stones missglücktes "The Doors"-Epos eingefallen, das mich seinerzeit trotzdem in die Welt von Jim Morrison zurückholte - ist aber, dass einen der Film irgendwie mit der Energie der echten Hilde anfixt.

Heike Makatsch in "Hilde"

Warner Bros

Ich gestehe, mich davor noch nie so richtig mit dieser Dame auseinander gesetzt zu haben. Und das obwohl oder wahrscheinlich gerade weil sie in meiner Kindheit durchaus präsent war.

Ich erinnere mich an abgegriffene Schallplattenhüllen mit ihrem Gesicht darauf, die im familiären Wohnzimmer am Boden herumkugelten, an die immer selben Chansons, die meine Mutter lautstark mitgesungen hat. Dunkel tauchen auch irgendwelche Samstagabendshows vor meinem geistigen Auge auf, mit einer alten, rüstigen, dick geschminkten Knef, die mir so gar nichts sagte.

Hildegard Knef

ARD

Und heute sage ich still, ich soll
mich fügen, begnügen, ich kann mich nicht fügen,
kann mich nicht begnügen, will immer noch siegen,
will alles, oder nichts.

Für mich soll's rote Rosen regnen,
mir sollten ganz neue Wunder begegnen.
Mich fern vom alten Neu entfalten,
von dem was erwartet, das meiste halten.
Ich will, Ich will!

Hildegard Knef " Für mich soll's rote Rosen regnen"

Als ich mich nun nach dem Kinobesuch stundenlang in Zitate, Texte, Videoschnipsel versenkte, machte ich die Bekanntschaft einer Frau, die alles andere als eine beliebige Nachkriegsschlagersängerin war. Bitteschön, meine Damen und Herren, Hildegard Knef wirkte in ihren besten Momenten so authentisch, kettenrauchend, melancholisch, kämpferisch, die Welt umarmend wie der beste Rock'n'Roll.

Jazzikone Ella Fitzgerald nannte sie "die größte Sängerin ohne Stimme", ein formidables Kompliment, das in Zeiten debiler Castingshow-Vorgaben noch stärker kommt. DJ Koze und Hans Nieswandt haben sie unter anderem lässig remixt.

"Hilde" mag nun eine jener bieder inszenierten Europroduktionen sein, auf die sich Kritiker nicht zu Unrecht so gerne stürzen. Aber als Eintrittskarte ins Reich der großen Knef funktioniert der Film, hereinspaziert!

Heike Makatsch in "Hilde"

Warner Bros