Erstellt am: 12. 3. 2009 - 17:50 Uhr
Protest in der Au
Mitten im Auwald zu campieren ist vermutlich nicht das angesagteste Hobby der Welt, zumindest nicht Mitte März in der Steiermark. Kalt ist es, feucht, und auch sonst ist die Gegend zwischen Gössendorf und Kalsdorf an der Mur nicht rasend spannend, möchte man meinen. Dass sich Campen hier in den letzten Tagen trotzdem zu einem Trend entwickelt hat, liegt an den großen Maschinen, die da seit einigen Tagen auffahren und großflächig Wald roden.
Die Murauen mit einer Gesamtfläche von 1.480 Hektar sind
Landschaftsschutzgebiet und ein so genanntes biogenetisches Reservat - eine Auszeichnung, die vom Europarat vergeben wird. Die Regionen an der Mur zählen zu den größten und wertvollsten Auenlandschaften in Österreich. Die ausgedehnten Auwälder beherbergen bedrohte Vogelarten wie Schwarz-, Grau- und Mittelspecht sowie Wespenbussard und Schmetterlingsarten wie den Schwarzen Apollo. Der Fluss und seine Augewässer sind zudem Überlebensraum für Fischotter, Eisvogel und den Huchen. (Quelle: WWF)
Die so genannten Harvester sollen bis Ende der Woche an die achtzig Hektar Auwald dem Erdboden gleichmachen, das entspricht der Fläche von fast hundert Fußballfeldern. Hier, in der Au südlich von Graz wird kaum ein Stein auf dem anderen, beziehungsweise kein Fischotter auf seinem Platz bleiben. Im November beginnt der Bau von zwei Wasserkraftwerken. Rund 18 Megawatt Leistung soll jedes davon bringen. Genug, um beispielsweise den Bezirk Graz Umgebung ein ganzes Jahr lang mit Strom zu versorgen.
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"Wasserkraft schön und gut, aber nicht hier", so sehen es die Umweltschützerinnen und Umweltschützer. "Entlang von Österreichs Flüssen gibt es bereits flächendeckend Kraftwerke. Jedes weitere würde das ökologische Gleichgewicht unverhältnismäßig stören", meint Martin Fuchs. Er ist Sprecher der Plattform zum Schutz der Mur-Auen und versteht nicht, wieso die Wälder hier abgeholzt werden sollen. Solarenergie, Biogas oder Biomasse: alles wäre ihm lieber als die beiden Kraftwerke, die hier entlang der Mur entstehen sollen.
Seit die großen Maschinen hier seit einigen Tagen den Auwald kahlschlägern, sind Peter und Christine auch vor Ort. Gemeinsam mit anderen UmweltschützerInnen versuchen sie, die großen Holzmaschinen aufzuhalten. "Einer kettet sich an den Baum, ein anderer wirft sich vor die Maschine. Dann dürfen die Fahrer nicht weiter, weil sie sonst Menschenleben gefährden würden", erklärt Peter. Ihm ist klar, dass sich durch solche Spielchen die Rodung nicht aufhalten lassen wird. Doch die Genehmigung für die Schlägerungsarbeiten läuft nur noch bis Sonntag. Bäume, die die Maschinen bis dahin nicht abgeholzt haben, bleiben zumindest bis auf Weiteres stehen.
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"Natürlich haben wir Verständnis für friedliche Proteste von Umweltschutzgruppen", erklärt Urs Harnik, Sprecher der Energie Steiermark. "Wir produzieren hier sauberen Strom aus Wasserkraft für die Steiermark. Schon in der Planungsphase waren Anrainer und Umweltschützer miteinbezogen." Stimmt nicht - kontern die Umweltschützer, die sich über mangelnde Information beklagen. Doch Austausch hin oder her: der Umweltsenat des Landes und auch die Bundesbehörde haben grünes Licht zum Kraftwerksbau gegeben.
Dennoch lassen grüne Gruppierungen nichts unversucht. Beim Verwaltungsgericht hat etwa der Naturschutzbund Klage eingereicht. Laut Bescheid darf der Kraftwerksbau nämlich erst beginnen, wenn der gesamte Grund im Eigentum der Energie Steiermark steht. Das Gericht befasst sich jetzt damit, ob als "Baubeginn" der offizielle Termin im November gilt, oder schon der Beginn der Schlägerungsarbeiten. Aktuell weigern sich einige Anrainer noch, ihre Grundstücke zu verkaufen.
Manfred Gidl aus Fernitz hat sich vor einigen Tagen doch zu einem Verkauf breitschlagen lassen. Der 70jährige hat sein Leben lang in seinem Häuschen in der Au gewohnt. Jetzt hat er aufgegeben, aus Angst vor einer Zwangsenteignung. Er resigniert: "Keine Ahnung, was ich jetzt machen soll. Vielleicht eine kleine Mietwohnung, oder gleich ins Altersheim - ist ja alles schon wurscht." Kopfschüttelnd zeigt er hinunter auf den ehemaligen Wald, der jetzt einer Mondlandschaft gleicht. "Das Haus ist tadellos, gerade erst hab ich die Heizung richten lassen."
Das Gespenst "Enteignung" geht zwischen Kalsdorf und Gössendorf um. Urs Harnik von der Energie Steiermark will das Wort nicht in den Mund nehmen. Er hofft auf "die Bereitschaft zum Dialog" seitens der Besitzer. Sitzt im Fall des Falles die Energie Steiermark auf dem längeren Ast? "Dann wird man prüfen müssen, ob nicht schwerwiegende Interessen der Allgemeinheit überwiegen", sagt er, und spielt damit auf den einschlägigen Gesetzestext an.
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Doch nicht alle Anrainer sind gegen das Kraftwerk. Der Grundwasserspiegel soll steigen, von neuen Radwegen und Naturlehrpfaden will die Gastronomie profitieren. Den DemostrantInnen wird von einem Passanten empfohlen "endlich arbeiten zu gehen", statt im Wald herumzustehen.
Schon im vorigen Jahr hat das landeseigene Energieunternehmen einen 65 Seiten starken, begleitenden Maßnahmenkatalog vorgelegt. Über hundert Projekte sind darin verzeichnet, die Wald, Wasser und Menschen zu Gute kommen sollen. Von einem neuen Radwegenetz entlang der Mur, über Wiederaufforstungsversprechen, bis hin zu speziellen Maßnahmen, die die Tierwelt der Au erhalten sollen. Insgesamt zwanzig Millionen lässt sich das Unternehmen diese Begleitprojekte kosten.
"Immer noch viel zu wenig", schäumt Umweltschützer Martin Fuchs. "Es müsste einen zweiten Flusslauf geben, damit auch die Fische überleben können, vor allem der Huchen, der wird König der Mur genannt, weil er eben vor allem hier vorkommt." Überhaupt gilt die Tierwelt in den Auen südlich von Graz als einzigartig. Auf Betreiben des Naturschutzbunds hat Österreich nun EU-Verfahren wegen Verletzungen der Meldepflicht bedrohter Arten am Hals. Dass nämlich Alpenkammmolch und Co hier vorkommen, war den EU-Umwelthütern vorher gar nicht bekannt.
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Hier sind die UmweltschützerInnen zuhause: mirmehrmur.spektral.at
Und hier die Energie Steiermark:
e-steiermark.com
Das Kraftwerk ist ein langfristiges Projekt. Obwohl sich der gigantische Bau erst in vierzig bis sechzig Jahren rechnen soll, hält der Energiekonzern am Plan fest. Ein weiterer Schritt zur steirischen Unabhängigkeit von Stromimporten, heißt es. Bis sich die Natur vom Einschnitt der Jahre 2009 bis 2012 erholt haben wird, könnte es überhaupt noch länger dauern.