Erstellt am: 9. 3. 2009 - 13:39 Uhr
D'abord abroad
Berta setzt sich morgens an den Frühstückstisch ihrer WG in Frankreich und leert sich Jogurt in ihre Schüssel. Ihre russisch-estnische Mitbewohnerin setzt sich verschlafen dazu, schiebt den Salzstreuer über den Tisch und mischt das Salz in ihr Jogurt, wie Minuten später die französische Mitbewohnerin den Löffel Zucker "damit es nach etwas schmeckt".
Clara Trischler
Wenn das erste Jahr im Ausland mit dem ersten Jahr nach der Schule zusammenfällt, ist das schönste Geräusch das Klirren beim Aufhängen des Schlüssels zur eigenen Wohnung am Haken neben der Tür.
Von Menschen besucht, die nie nahe genug waren, um gemeinsame Urlaube zu planen, verbringt man plötzlich unalltägliche Abende im Pyjama kochend, auf Strandwegen über einander Kindheiten erzählend oder bricht betrunken Waschbecken aus der Wand.
Der kühle, salzige Fischgeruch jeden Abend, die leuchtenden, über die schmalen Pflastersteinstraßen dieser britischen Hafenstadt gespannten Lichterketten, ein einziges Parallelleben, ich immer zwei Minuten vom Meer entfernt.
Clara Trischler
Gleichzeitig bin ich nie schneller erwachsen geworden als an diesen ersten drei Septembertagen. An diesem ersten Wochenende ohne Internet, Telefonleitung oder Bekanntschaften, noch frisch getrennt, weil Fernbeziehungen angeblich nicht halten, in einem Kaff, das noch monatelang keine besonders interessanten Freunde ausspucken wird, die sich vermutlich irgendwo in den Städten verschanzen.
Nach Jahren, die man täglich mit denselben Menschen verbracht hat, die man oft schon aus Kinderjahren kennt, kommt der Gedanke, was man mit dem Ort auch an sich selbst verändern möchte. Bei der Rückkehr reibt es sich dann genau an diesen Stellen: Einerseits hat man wehmütig erste Schritte und Worte des Neffen, ganze Liebesaffären und Studienwechsel von FreundInnen und das Altern berufsjugendlicher FreundInnen und Familienangehöriger verpasst.
Clara Trischler
Andererseits hat man in der trotzdem nur relativ marginal veränderten Umgebung zuweilen das Gefühl, sofort in alten Mustern zu agieren, wie man eben gekannt wurde und gewollt wird. Seinen (in gefärbten Haaren manifestierten) Wandlungen nicht gerecht zu werden, auch, weil die Freunde im neueren Zuhause einen genau dafür mochten, wer man gerade war, weil sie einen nicht jünger kannten. Während also die FreundInnen, die schon ohne einen zu leben gelernt haben, wieder Platz in ihren Kalender räumen, wundert man sich, was im Leben ohne einen passiert ist und welche Menschen jetzt nicht mehr dazugehören.
Zeitweise kann man sich aber über die Distanz hinweghelfen. Die Zwillinge Raina und Berta blieben zwischen Guadeloupe und Deutschland, Frankreich und Österreich in Verbindung, indem sie sich immer wieder zur gleichen, in beiden Erdteilen seltsamen Uhrzeit auf eine Zigarette verabredeten.
Clara Trischler
"Ich bin für ein Jahr ins Ausland gegangen, weil ich wusste, wenn ich einen ernsthaften Job kriege, gehe ich vermutlich nie, heirate meinen (Ex-)Freund und beginne zu sparen." (Emily)
Das Leben im Ausland hat mit Reisen nicht viel zu tun, sondern beweist seine Qualität im Alltag: wenn man seinen Lieblingsclub oder versteckt-schöne Orte mit dem Fahrrad entdeckt hat. Bestenfalls geht es darum, das Sehnsuchtsgefühl für eine Weile abzutöten, das man empfindet, wenn man ein Flugzeug über einem fliegen sieht, weil man gerade am richtigen Ort ist. Sich ein Leben schafft, das aus anderen Lebenssichten und Problemlösungen die besten Teile sucht: Orangen schälen wie der italienische Familienvater, Hausdächer besteigen wie in Berlin, Cafékochen wie in Vietnam, Familienorganisation wie in Dänemark, mit Fremden ins Gespräch kommen wie in Israel. Den zweitschönsten Strand von Norwegen kennen und Sommer, in denen die Helligkeit nicht mehr endet, isländische Musik oder iranische Filme.
Außerdem hat man bei Auslandsaufenthalten oft die Möglichkeit, sich für eine Weile mit einer ganz anderen Thematik, einem ganz anderen Job auseinander zu setzen. Ein Jahr durchzuspielen, wie ein anderes Leben aussehen könnte.
Clara Trischler
Und eine neue Sprache zu lernen hat etwas wunderbar Kindliches: wenn man von unbekannten Schriftzeichen umgeben ist und sie zu lesen lernt - Straßenschilder, Speisekarten, Briefe - fühlt man sich wie mit sechs Jahren, entdeckt nicht nur eine Sprache sondern die Welt um sich herum.
"Mum, there's fireworks!“ - "Let's hope so, yeah. Let's hope it's fireworks."
Ein Jahr im westeuropäischen Ausland verbringt man mit ähnlichen Menschen wie in Österreich. Man kann dieselben T-Shirts kaufen, Bands hören und Filme im Kino sehen. Das ist jetzt einfach so.
David Bowie hat einmal gesagt, dass wir in einer virtuellen Realität leben, solange wir uns mit Problemen auseinandersetzen, die uns medial kommuniziert werden, von denen wir aber gar nicht nachprüfen können, ob sie wahr sind. Es sei denn, jemand macht sich die Mühe nachzusehen, was im Nahen Osten oder in Afrika so los ist.
Clara Trischler
Stefanie studiert Kunst und Fotografie in Jerusalem und meint, vor der Abreise ist es wohl "am besten, jegliche Annahmen über einen Ort zu vergessen."
Es ist bereichernd, zu lernen, dass österreichisches Pesto-Sammlungs-Mittelklasse-Leben keine Normalität ist. Bereichernd unter anderem auch, weil die Menschen dafür in Israel miteinander reden, wenn sie im Bus nebeneinander sitzen.
"Als ich nach dem Sommer zurückkam fühlte ich mich nicht sehr anders, nur müde, ein bisschen dicker, ganz aus dem Gleichgewicht und pleite, als ob ich gerade aus einem Traum aufgewacht wäre." (Emily)
Clara Trischler
Die Zeit nach dem Leben woanders ist oft die schwerste. Kurzfristig wieder bei den Eltern einziehen. Das Nach- und Abholen von Arztterminen und bürokratischen Stempeln. Annäherungsversuche mit Menschen, die froh sind, dass man zurück ist, während man sich selbst zuweilen noch zurück wünscht. Die anfängliche Unzugehörigkeit bei den Gesprächen über die letzten Marathonfilmnächte, Liebeleien und Projekte und das neue Ertasten und Befühlen, was man aneinander so schätzt.
"It's harder to leave than to be left behind"
Clara Trischler
Geld ist nicht die Hürde
Zeitweises Leben außerhalb Österreichs ist übrigens nicht unbedingt Luxus. Neben Stipendien gibt es bezahlte Freiwilligen- oder Zivildienstaufenthalte wie den Europäischen Freiwilligendienst, Gedenkdienst oder Aupair. Mehr dazu
"Das gelebte und das ungelebte Leben für sich selbst zu einem Ganzen formen und damit zufrieden zu sein." (Rosmarie Welter-Enderlin)
Was bleibt ist der Moment im Flugzeug, in dem man weiß, was hinter einem, aber nicht, welche Menschen, Momente und Möglichkeiten vor einem liegen. Die ersten unbekannten Straßen, die man runtergeht, die später Schauplätze, die ersten Gesichter, die später ProtagonistInnen werden.
Während ich über das Zuhausegefühl in der Fremde nachdenke, bin ich vor dem wohnzimmergedimmten Suppenladen "Hamarakia" stehengeblieben, weil gerade jemand Klavier spielt. Beim Betreten des aus Holz und zusammengesammelten Möbeln bestehenden Lokals erkenne ich ein, zwei Menschen und während der Koch später bittersüß sentimentale Musik auflegt, serviert er mir eine chinesische Maissuppe, die genau so schmeckt, wie die Suppe meiner Großmutter.