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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

7. 3. 2009 - 17:09

Journal '09: 7.3.

Anja Plaschg. Ist beide Teile von Soap&Skin.

Bei einem Auftritt im Wiener Theater Brut präsentierte Soap&Skin das Erstlings-Album und startete auch eine Tournee. Hier die Daten für Österreich-Deutschland-Schweiz.

Es war wieder ein wenig unheimlich: die Zuschauer lauschten gebannt, und unerbittlich warteten sie auf kleinste Zeichen der Kommunikation. So wie ein Formel 1-Fahrer auch am besten mit seinen Schlenkern und Ausritten zum Publikum spricht, sie damit zum Huchen und Hachen bringt. Wenn der Formel 1-Pilot den Vorderfahrer elegant ausbremst oder umspeedet, dann gibt es Applaus für das zu Erwartende, euphorischen womöglich, aber eben nur Applaus, also das, was sie alle bekommen, die bühnenhohen Stars unserer Projektionen.
Die Ausritte der Live-Situation jedoch, die absoluten Unvorhersehbarkeiten der Direkt-Kommunikation zwischen Attraktion und Audience, erst die führen zu einer Art Erregung, die den normalen, tausendmal erlebten künstlerischen Auftritt (und sei er noch so erhaben) dann erst zur Messe macht.
Zu einer Messe, in der dann - allzu theaterdamisch - voreiligst schon vor dem Auftritt ge-sch!-t wurde, publikumsseits.

Soap&Skin

Daniel Eberharter / www.danieleberharter.com

Soap&Skin, Freitag abend, live, Theater Brut. Alle Fotos: Daniel Eberharter

Die Kommunikation von Soap&Skin vs. the audience beschränkte sich am gestrigen Abend auf zwei Läufe quer über die Bühne, drei Fluchten, eine frontal gesungene Nummer, eine fast schon unerwartete Rückkehr und ein hörbares "Dankeschön!", dem viele viele unhörbare vorausgegangen waren. Das klingt nach nicht viel - wenn man aber die faden eingelernten Posen oder die lässigen Geschwätzigkeiten manch musikalischer Schausteller als Vergleichsbasis heranzieht, liegt darin wohl um ein Deutliches mehr Substanz.
Da die Zuschauerschar an sich ein Mob, ein Monster ist, aber - wie alle Monster - auch Gefühle hat, kann es das instinktiv begreifen.

Anja Plaschg fallen Posen und Geschwätzigkeiten schwer.

Wohl nicht, weil sie so leidet unter der Musik, dem Leben oder wasauchimmer (das ist die Zuschreibung, das vom leidenswilligen Zuschauer/hörer dazugebastelte Narrativ), sondern weil sie eine genaue, solipsistische Arbeiterin ist, die etwas nur dann nach außen lassen mag, wenn es ihren Vorstellungen und Erwartungen entspricht.

Wer sich Anja Plaschgs Gästezimmer (kommt morgen Sonntag, irgendwann zwischen 13 und 17 Uhr auf FM4) anhört, wird vielleicht auch ohne Wissen um Komposition/Arrangement/Produktion von Musik verstehen können, wie sie das angeht: Mit einer genauer Vorstellung des Endprodukts.

Soap&Skin

Daniel Eberharter / www.danieleberharter.com

In das dann auch alles reingepackt wird, was geht. Ins Gästezimmer z.B. zwei extra von ihr gebastardete Zusammenlegungsstücke; und Begleittexte, die manchmal nicht übers "Danke schön!" hinausgehen, manchmal aber auch eine Lebensgeschichte besser erzählen, als ein ganzes Theaterstück.

Dieses punktgenaue und präzise Arbeiten, diese perfekte Präparation kann im Heim-Studio, als recording artist, eins-zu-eins umgesetzt werden. Es klappt auch dann, wenn man (wie in diesem Fall) in ein fremdes Studio kommt und dort etwas daheim genau Vorbereitetes zusammensetzt. Verwundbar wird man erst dann, wenn es sich nicht um ein sicheres Studio, sondern unsicheres Außen-Terrain handelt, und wenn die zusammenzuschraubenden Teile in einem Durchlauf passen müssen. Live, das heißt: Ein Durchlauf.

Das ist es, was Soap&Skin noch seufzen macht, hin und wieder. Für jemanden, der ihren fünften Auftritt gesehen hat, ist dieses leise Ächzen über die Nicht-Erreichbarkeit der angestrebten Richtigkeit kaum noch hörbar, weil es im Vergleich zum ersten schon so unwichtig ist - für Debutanten ist es schon noch ganz schön laut.

Ostermayer und Geier

An dieser Stelle ist mir dann jemand eingefallen, dem es ähnlich ging. Auch weil der mir auch vorher eingefallen ist, beim mitgehörten Einlesen des Gästezimmers.
Da, nämlich vorm Radio-Mikrofon, ist die freistehende Stimme so bloß, nackt und fleischig wie sonst nie - sonst, da liegen Umweltgeräusche, Distanzfilter und anderer Zwischenlärm herum; direkt am Mikro kann jeder Millimeter Abweichung eine andere Stimmung evozieren.

Soap&Skin

Daniel Eberharter / www.danieleberharter.com

Und da war diese Anja Plaschg-Stimme und wußte mit der schwierigen Gratwanderung zwischen so gemeinter Echtheit und der künstlerischen Vermittlung des Authentischen umzugehen. Und weil diese Stimme so zuhörenmachen kann wie kaum eine andere dieser Tage, so automatisch (wie auch auf dem Tonträger, wie auch im Konzert) kam mir ein anderer in den Sinn, der das ebenso gut vermochte (und anderes, von dem noch zu sprechen sein wird, nicht so gut): der große Werner Geier, mittlerweile verstorbene Musicbox-Legende, FM4-Mitbegründer.

Dessen Arbeitsweise ist der von Soap&Skin sehr ähnlich gewesen: Endloses Tüfteln im Vorfeld, ob es etwas wert sei, aus- und angesprochen zu werden; zehrendes Abwägen der Zugangsmöglichkeiten; und vor allem zeitintensives Ausprobieren von Details in Mixtur und vor allem auch Stimme.
Aufgrund dieser Arbeitsweise hatte Werner, der große Kommunikator im Radio, auch keinen Zugang zu "live" - die Tatsache, sich da unkontrollierbaren Faktoren auszuliefern, machte ihn halb wahnsinnig. Werner Geier konnte eine Viertelstunde vor Sendung mit den Zutaten für einen simplen Live-Mix verschwinden ("Weißt, ich nehms doch noch vor auf!") und eine Sekunde vor Start mit dem fertigen Tape kommen. Wenn da dann ein Edit-Fehler, ein doppelter Atmer oder eine hatscherte Betonung drin war, konnte er sich stundenlang ärgern - aber es war ihm alles lieber als das Live-Risiko der Unabwägbarkeit. Ein ewiger Konflikt mit sich selbst.

Die Zuhörmacher

Und ich wette, Anja Plaschg würde, wenn es möglich wäre, zumindest damit spekulieren ihre Konzerte auch so abliefern: Immer eine Viertelstunde zeitversetzt, um sicher zu sein.

Soap&Skin

Daniel Eberharter / www.danieleberharter.com

Dass sie es dann doch nicht tut, hat mit zwei Dingen zu tun.

Zum einen, dass ihr Lehrer eben nicht der Mann auf der Suche nach dem perfekten Ausdruck war, sondern dessen Konterpart Fritz Ostermayer, der Mann mit der Fähigkeit sich im Hier&Jetzt auch fallen zu lassen.
Und zum anderen damit, dass sich die Zeiten seit den Tagen von Werner Geier geändert haben: Dass es heute eben nicht mehr reicht, recording artist zu sein, sich hinter der Produktion oder einem Delay zu verstecken.
Nicht nur weil es die Live-Schiene ist, von der die Musikbranche lebt und nicht mehr der omnipräsente und entwertete Tonträger - das wäre der jungen Frau Plaschg eher wurscht - sondern weil es ein Selbstverständnis der Zeit ist, sich im Hier&Jetzt auseinanderzusetzen, anstatt sich zu entziehen (selbst ein bildloser Peter Licht tritt bekanntlich live auf).

Werner, dem großen Zuhörenmacher, stand seine Weigerung, sich in diese riskante Position der Verletzlichkeit zu begeben, immer im Weg. Erst sehr spät, als halbwegs angreifbarer DJ, kommunizierte er direkt, nicht, ohne diese Tätigkeit dann selber automatisch runterzumachen; und nicht, ohne sich gegen dieses Fremde abzugrenzen, indem er es (in seiner späten, leider bitteren Phase) dann, ein wenig reich-ranickimäßig, pauschal verdammte.

Soap&Skin

Daniel Eberharter / www.danieleberharter.com

Anja, die große Zuhörenmacherin, hat dieses Problem durch die Gnade der veränderten Umwelt-Bedinungen nicht mehr. Sie setzt sich aus. Sie hat die Möglichkeit, diese scheinbare Schwäche umzuformen, ihre Position der Verwundbarkeit umzudeuten. Ich meine damit nicht die Offensiv-Variante, mit der einen Tori Amos oder die frühe Kate Bush niederbluten, auch nicht die immer irgendwie ängstliche Defensiv-Variante, mit der einen Nico oder Doherty live mitzittern ließen. Ich weiß nicht, was es ist, weil es etwas anderes, etwas Neuartiges sein wird, auch etwas, was all die bisher existenten Pop-Mythen des Weiblichen transzendieren oder gar wegkippen wird.
Weil sie keine Rolle mehr spielen.

Anja Plaschg ist beide Teile von Soap&Skin

Vielleicht ist diese Trennung in Innenwelt und Außendarstellung eine gute Idee. Ich halte es aber nicht für notwendig. Ich glaube nicht, dass der am Telefon verzweifelnde Spex-Redakteur oder der in der Hotelhalle verzagende Profil-Autor all das durch zuviel Ver-sch!-ung mitzelebrieren müssen. Anstatt der, die sich in so kurzer Zeit so sehr bewegt hat, die im U20-Spielalter Entwicklungen, an denen alte Scheisser wie wir noch immer knabbern, bereits verinnerlicht hat, mit dem anbetenden Blick des Wallfahrers zu begegnen, sollten wir sie, auf Augenhöhe, angrinsen und "Dankeschön!" sagen.

Soap&Skin

Daniel Eberharter / www.danieleberharter.com

Alle Fotos: Daniel Eberharter