Erstellt am: 6. 3. 2009 - 23:10 Uhr
Wunderkinder für immer
"Museal" sagt Westbam, mein ewiger Held der Elektroniktanzmucke mehrfach im Interview, als das Thema auf die Live-Qualitäten von Kraftwerk kommt. Bunt und bombastisch sei das alles, wie aus einem Guss, aber in letzter Konsequenz doch nicht mehr als die lebendige Ausstellung eines musikhistorischen Schaustücks.

myspace.com / Chris Davison
Am selben Festival, auf dem Kraftwerk und Westbam vor ein paar Jahren ihre Bühnenshows zelebriert hatten, habe ich auch The Prodigy das erste Mal live erlebt. Dass dieses Debüt viel zu spät sein, ein unbefriedigendes Zerrbild meiner bisherigen Begleitung der electronic punks aus der britschen Kleinstadt Braintree, Essex auslösen würde, war von vornherein klar. Durch musste ich trotzdem.
Schon damals war die Show eine Ansammlung von Notwendigkeiten, die sich die Band rund um Hauptkontrollhirn Liam Howlett im letzten Jahrzehnt selbst eingebrockt hatte: Irgendwann musste plötzlich zu jeder Zeit alles laut, rastlos, knallend, am Limit sein. Die Bühnendarbietung bei jenem Konzert war zweifellos eine vor Energie strotzende, aber auch viel zu zwingende Performance von Mittdreißigern, die unentwegt mit wechselweise ausgelassener oder grimmiger Mimik und konfrontativen Posen auf und ab laufen mussten.
"The writings on the wall, they won't go away"
Howlett hat offenbar das Menetekel übersehen, das irgendwann Ende der 1990er Jahre in seinem immer größer werdenden Studio mehrfach zu sehen sein musste: Dass hier bald alles einfriert, wenn er dabei bleibt, zu anmaßend, cocky, zu sein und bloß mit dicker Lippe die ollen Vibes der Vergangenheit beschwört. Doch der Schalter war damals schon umgelegt, vielleicht sogar, weil es keine Alternative gab.
Liam Howlett fiel in ein kreatives Loch und spürte den immer stärker werdenden Druck, der davon ausging. Erst acht Jahre nach dem vorläufigen Höhepunkt "The Fat of The Land" (inklusive "Firestarter" und "Breathe") konnte ein neues Album zusammengezimmert werden, das handwerklich zufriedenstellend, aber zunehmend planlos daher kam. Die Luft war draußen, seither wird der Status Quo aus 1997 bis zur Perfektion aufpoliert, sodass sein Glanz bis in die stickigsten Wohnzimmer des Mainstreams hinein strahlt.

theprodigy.com
Die Entwicklung von The Prodigy ist ein gutes Beispiel dafür, dass elektronische Tanzmusik im Umgang mit der eigenen Geschichte noch so ihre Probleme hat. Das Eingeständnis, dass der Second Summer of Love nun über 20 Jahre zurück liegt und damit ohne jeden Zweifel historisch ist, liegt nach wie vor schwer im Magen.
Das zeigt sich unter anderem daran, dass nicht die nachkommende Generation, also die damals Geborenen, sich auf Acid-Sounds und schrille Rave-Arpeggios beruft (das tut sie nur bedingt), sondern die Gründerväter selbst ihre eigene Legende beschwören. Das ist aus einer künstlerischen Perspektive fatal und beschert nun auch Elektronik-Acts wie den Chemical Brothers oder eben Prodigy das Schicksal jener Rock-Altmänner, die sich alle paar Jahre zur grauhaarschwingenden Reunion in diversen Stadthallen treffen.
"Come with me to the dancefloor"

Universal
"Invaders Must Die" ist trotzdem kein Album, das man deshalb nicht hören sollte - schon gar nicht, wenn der historische Ballast wegen einer späten Geburt oder einem weniger grübelnden Zugang heraus leichter wiegt. Ist das nicht der Fall, muss man sich eben erst geduldig der eigenen Meckerei aussetzen.
Da sind beispielsweise die Beats, die immer nur drauflos peitschen, die Arrangements, deren fehlende Magie auch geschickten Homeproducern nach ein paar Wochen Studioaufenthalt aus der Feder respektive der Maus fließen könnte und das Ausbleiben jeglicher Subtilität, die etwa den mit Flöten, düsteren Streichern und entstellten Vocal-Samples gespickten Geniestreich "Music For The Jilted Generation" (1994) wie das Werk einer völlig anderen Band erscheinen lässt.

theprodigy.com
Ausgemeckert? Gut. Denn "Invaders Must Die" ist nicht ohne Grund ein Charts-Liebling: Die Songs sind simpel, aber aufputschend, uninspiriert, aber in ihrer Bündigkeit doch überzeugend. Die vielen Hooks und Samples bleiben im Ohr wie ein gut gemachter Klingelton oder Videospiel-Titeltrack. Und damit wären Liam Howlett und seine Burschen dann doch irgendwie in der Gegenwart angekommen.
Anspieltipps: "Warrior's Dance", "Run With The Wolves" (Dave Grohl an den Drums), "Stand Up"
Verlosung!
Wir verlosen 2x2 Tickets für das Konzert von The Prodigy am 8. März im Wiener Gasometer unter all jenen, die uns folgende Frage beantworten können:
Wie heißt das britische Magazin, auf dessen Cover sich 1992 Prodigy-Mastermind Liam Howlett eine Pistole an den Kopf hält?
Der Einsendeschluss ist vorbei, die GewinnerInnen wurden benachrichtigt. Die richtige Antwort: "mixmag".