Erstellt am: 10. 3. 2009 - 11:20 Uhr
20 Jahre World Wide Web
Silvio Tanaka
Er hat's erfunden! In der Schweiz. Ein echter Sir und Held.
Vor rund 20 Jahren erblickte das World Wide Web das Licht der Welt. Es tat dies standesgemäß virtuell, als unschuldiges Konzept nämlich, ersonnen vom britischen Forscher Tim Berners-Lee, der damals am CERN den feuchten Traum eines jeden Physikers leben und dabei zusehen durfte, wie unvorstellbar kleine Teilchen unvorstellbar schnell aufeinanderprallten. Um nun diese große Freude mit der weltweiten Kollegenschaft möglichst effizient teilen zu können, entwickelte er einige Standards für Erstellung und Austausch beliebiger Inhalte, versah sie mit knackigen Abkürzungen wie HTTP oder HTML und hoffte auf das Beste.
Ich war zu diesem Zeitpunkt schon bedeutend weiter. Lange noch bevor Spammails und Popups der vernetzten Allgemeinheit zusetzten, hatte ich mein Umfeld bereits monatelang mit verlässlich unregelmäßigen Schreiattacken terrorisiert. Zwar war mein Wirken beschränkt, durch unerreichbare Türschnallen und besorgte Bezugspersonen und doch war mir in dieser ersten Zeit unseres gemeinsamen Daseins wohl mehr Aufmerksamkeit beschieden, als jenen visionären Ideen, die in den Händen der Genfer Entscheidungsträger ihrem Schicksal harrten. Vorerst.
Entwicklung
Thomas Stiren
In den folgenden Jahren gaben wir uns denkbar unabhängig voneinander der Muße hin, uns zu entwickeln. Während ich mühsam Laufen lernte, wurden erste HTTP-Server installiert und langsam aber sicher mit Inhalten befüllt, die sich, im krassen Gegensatz zu heute, vornehmlich aus der Arbeit von Wissenschaftern und Studenten speisten. Überhaupt muss in jenen frühen Tagen des Webs eine romantische Stimmung des Aufbruchs geherrscht haben, unvergleichbar mit der mittlerweile schulterzuckenden Hinnahme der absoluten Durchdringung unseres Alltags von Facebook, Google und Konsorten. Während der moderne User sich in Torrent Netzwerken und Blogosphären bewegt, wie James Bond in einer russischen Militärbasis und an Content nicht genug bekommen kann, gab es zu Beginn der 90er noch das verbreitete Prinzip, für jede konsumierte Information eine möglichst gleichwertige selbst zur Verfügung zu stellen.
Eine Sichtweise der ich, meiner natürlichen Entwicklung als egozentrisches Kleinkind geschuldet, mit fünf Jahren an Lebenserfahrung wenig bis gar nichts abgewinnen konnte. Brüderliches Teilen stand nicht auf meiner Agenda. Entsprechend moralisch vertretbar geriet ich zusehends ins Hintertreffen.
www.opte.org
Das Internet. 2005.
Während ich also die klassisch trübselige Karriere eines von den Mühen des Alltags und der konsequenten Feindseligkeit der Klassenkameraden geplagten Volksschülers beschritt, griff das Internet, befeuert durch die einfache Verwendung und freie Verfügbarkeit der neuen WWW-Standards, wie rasend um sich. Immer mehr private Haushalte gingen online, vom Trend kalt erwischte Geschäftsführer ließen sich von selbsternannten Webdesignern dilettantisch zusammengestöpselte HTML-Konstrukte teuer verkaufen und letztlich geschah, was unvermeidlich war:
Der erste Kontakt
NASA/JPL
Wir schrieben 1997. Mein Vater hatte einen verheißungsvoll blinkenden grauen Kasten mit nach Hause gebracht, von dem ich abgesehen davon, dass er es mit 28.8 k in der Sekunde konnte, nicht genau wusste was er tat und Zentimeter vor meinen Augen bauten sich zeilenweise(!) Bilder auf, welche die Marssonde Pathfinder gerade einmal Minuten zuvor auf einem fremden Planten, weit weit von der Erde entfernt, geschossen hatte. Ich war in jeder Hinsicht euphorisiert ob der sensationellen technischen Errungenschaft und wähnte mich am Puls von Welt und Zeit. Obwohl rückblickend festzustellen ist, dass die Mondlandung 1969 bereits live im Fernsehen übertragen wurde, und man damals zwischen zwei Bildern weder Zeit für ein gemütliches Frühstück noch zwei Partien Schach fand.
In weiterer Folge entwickelte sich unsere Beziehung langsam, aber stetig. Zwar verschwand das Modem nach einiger Zeit aus unserem Haushalt, ich war aber hartnäckig genug, meinen Vater an Wochenenden zur Arbeitsstätte zu begleiten, um mich dort nach Möglichkeit zu vernetzen. Mein erster e-Mail Account blieb mangels virtueller Freundschaften weitestgehend ungenützt und in Chats war ich lange der Meinung, "cu" wäre sehr spezieller Geheimcode unter Eingeweihten, aber immerhin konnte ich meine geliebte PC Player nun auch online lesen und auf debatte.orf.at oberflächlich über heimische Songcontest Teilnehmer lästern.
Pubertät
http://www.flickr.com/photos/royalport/
Wirklich ernst wurde es nach der Jahrtausendwende. "The Matrix" war gerade auf DVD erschienen und der blasse, Kung Fu begabte Hacker Neo zum personifizierten Bubentraum einer ganzen Generation pubertierender Möchtegern-Nerds geworden. Einer meiner Klassenkollegen hatte neben einem äußerst spielefähigen Rechner einen Breitbandanschluss und kein romantisches Abenteuer der Welt hätte mich dazu bringen können, die Einladung, bei ihm zu übernachten, auszuschlagen. Nachdem wir die obligatorische Visite auf rotten.com hinter uns gebracht, und uns auf krone.at - wo das Prinzip der "täglichen Nackerten" konsequent fortgeführt wurde - durch ein paar entblößte Körper geklickt hatten, gings ans Eingemachte. An den auf "Ballerspiele" äußerst allergisch reagierenden Augen meiner fürsorglichen Eltern vorbei hatte ich die Unreal Tournament "Game of the Year Edition" erstanden und nach einer kurzen Installationsroutine wurden meine hohen Erwartungen nicht im Geringsten enttäuscht. Die schlichte Freude, nach Jahrtausenden an Evolution endlich wildfremde Menschen unterschiedlichster Nationalität, beliebigen Alters und Geschlechts mit Railguns, Pistolen und Raketenwerfern ins virtuelle Nichts zu ballern, war eine nicht zu ermessende.
http://laughinsquid.com
Ze Frank, populärer Videoblogger, hielt 2004 bei der TED einen ebenso gehaltvollen wie unterhaltsamen Vortrag. Thema: "What's so funny about the Web?"
Es kommen vor: Skrupellose eMail-Halsabschneider und Ego Googling. Unbedingt anschaun!
Partnerschaft
Je höher die Schule, desto zweckmäßiger gestaltete sich unsere Beziehung. Spätetestens in meinem zweiten Jahr als HTLer ersetzte ich jede bis dahin noch rudimentär geführte Mitschrift durch panisch flehentliche Rundmails, in denen ich einige Tage vor wichtigen Prüfungen herzerweichend um ein entsprechendes Skript bettelte. Referate waren themenunabhängig ein Best of Wikipedia und wenn zwei Stunden vor der per Mail zu erfolgenden Abgabe drei unterschiedliche Versionen einer Hausübung in angewandter Datentechnik kursierten, so reichte das locker für eine ganze Klasse. In dieser Zeit blickte ich oft ein wenig mitleidig auf die Generation unserer Eltern zurück, deren Weg hin zur befreienden Matura gepflastert war, von stundenlangem Abschreiben aus Büchern und dem Lernen mit schwer entzifferbaren, handschriftlichen Skripten.
Heute zweifle ich ernsthaft an meiner Überlebensfähigkeit in einer analogen Welt. Meine studentischen Nebeneinkünfte erarbeiten sich ausschließlich am heimischen Rechner oder unterwegs am Notebook. Der Konsum tagesaktueller Zeitungen erscheint mir ob der Fülle und Qualität der auf den entsprechenden Webpräsenzen gebotenen Informationen immer obsoleter und so wie ich bei meinen seltenen Besuchen in Fußballstadien nach Torszenen immer instinktiv auf eine Wiederholung warte, fehlt mir bei der Lektüre eines tatsächlichen Blattes die Möglichkeit, mir anhand der dazugehörigen Postings ein Bild der öffentlichen Meinung zu machen. Will ich möglichst effizient von A nach B gelangen, hilft mir unabhängig vom Fortbewegungsmittel maps.google.at, für alle anderen Sorgen gibts die zugehörige Suchmaschine. Steuererklärung - online, Studium - online, Beziehungen - online, Geldsorgen online, Nachrichten - online, Radio - online, Zeitverschwendung - online, ich - online.
PS
Für Klugscheißer, und da es an sich unhöflich ist, Geburtstagskinder mit falschem Vornamen anzureden: World Wide Web verhält sich zu Internet in etwa so, wie Salzwasser zu Ozean. eMails wären dann zum Beispiel Fische. Näheres weiß wie immer die Wikipedia.