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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

8. 3. 2009 - 11:36

Hardcore-Humanismus

Mit dem berührenden Rassismusdrama "Gran Torino" schreibt Clint Eastwood seine künstlerische Erfolgsserie fort.

Der Mann ist unglaublich. Welche andere vergleichbare Hollywood-Ikone ist seit 53 Jahren Schauspieler, führt seit 37 Jahren auch Regie, hat zwei Oscars kassiert und startet im hohen Alter erst so richtig durch? Clint Eastwood kennt keine Pause und schaut dabei zusätzlich auch fit und mean as hell aus.

In einigen Kinos läuft noch sein Kindesentführungsepos "Changeling", da kommt Eastwood auch schon mit einem neuen Streifen daher. Eigentlich habe er keine Lust mehr, auch vor der Kamera in Erscheinung zu treten, verlautbarte der 79-Jährige, aber dieser Rolle konnte er nicht widerstehen.

Die Rede ist von der Figur des Walt Kowalski in Gran Torino, einem Rentner, mit dem nicht gut Kirschen essen ist. Seit dem Tod seiner Frau hat der ehemalige Automobilindustrie-Arbeiter noch mehr mit der modernen Welt gebrochen. Seine Söhne verachtet er als verfressene Yuppies, die Enkel mit ihren Handies und Piercings sind ihm ein Gräuel, den jungen Pfarrer des Viertels vertreibt er von seiner Veranda.

Am meisten gehen Walt aber seine Nachbarn auf die Nerven, eine südostasiatische Familie, die zusammen mit anderen Migranten in den Stadtteil gezogen ist. "Chinks" und "Gooks" schimpft er sie.

Clint Eastwood in "Gran Torino"

Warner Bros

Wo andere Leute in hitzigen Situationen verhandeln oder einfach nur miteinander plaudern, blickt Walt grimmig drein und stößt ein dumpfes, bedrohliches Knurren aus. Wagt sich ein Fremder ohne Einladung auf seinen Rasen, zückt er die geladene Waffe. Als ein junger Einwanderer wegen einer Mutprobe Walts geliebtes Auto, seinen 1972er Gran Torino, zu stehlen versucht, brechen aus dem missmutigen Hackler sämtliche angestauten Ressentiments hervor.

Der schlecht gelaunte Walt ist mehr als ein durchschnittlicher alter Rassist. Es ist die Pensionistenversion sämtlicher Rollen, mit denen der Schauspieler Clint Eastwood berühmt wurde, all der wortkargen Revolverhelden und Polizisten, die mit zugekniffenen Augen ihren Weltekel verbergen.

Der Regisseur Eastwood macht in "Gran Torino" mit dieser rabiaten Figur etwas Wundersames: Er öffnet dem verbitterten Walt Kowalski Stück für Stück die Augen. Durch eine Kette von Zufällen beginnt er, seine asiatischen Nachbarn näher kennen und irgendwann tatsächlich schätzen zu lernen.

Clint Eastwood in "Gran Torino"

Warner Bros

Wie diese Annäherung vor sich geht, ganz langsam und voller Rückschläge, das hat nichts von einer gut gemeinten liberalen Parabel. "Gran Torino" verzichtet weitgehend auf Sozialromantik und gänzlich auf einen aufgeklärten Blickwinkel. Der reaktionäre Walt Kowalski wird in einen Strudel von Gewalt und Gang-Konflikten hineingezogen und muss sich den Humanismus sozusagen beinhart erarbeiten.

Genau das macht diesen Film so schmerzhaft ehrlich und berührend: Menschlichkeit ist nichts, was einem in die Wiege gelegt wird, was man einfach nur in der Schule lernen oder sich erlesen kann. Sie entsteht in der Konfrontation, im direkten Kontakt mit dem Nächsten, dem Anderen.

Menschlichkeit hat mit Reife und einem Lernprozess zu tun. Siehe auch den Regisseur und Akteur Clint Eastwood, ein ungewöhnlicher Konservativer, der sich im hohen Alter zu einem der scharfsinnigsten Kritiker der Schattenseiten des American Dream wandelte.

Ist "Gran Torino" zu klassisch angelegt, ist er konventionell erzählt? Durchaus. Aber es ist auch ein wichtiger, ein mutiger, ein schöner Film.

Clint Eastwood in "Gran Torino"

Warner Bros