Erstellt am: 5. 3. 2009 - 12:29 Uhr
Somebody's watching me
Du liebe Güte, die "Watchmen", wo soll ich da anfangen? Dieses Meisterwerk, dieser Monolith, riss mich Anfang der Neunziger aus einer Lethargie in Sachen kleiner bunter Bilderheftchen. Meine kindliche Comicmanie war damals endgültig versickert und hatte sich in eine tiefe Skepsis verwandelt.
Dann bekam ich zunächst "Batman - The Dark Knight Returns" in die Hände, das bahnbrechende Epos des Frank Miller. Ausgerechnet der renommierte DC-Verlag erlaubte dem Autor und Zeichner 1986, mit dem klassischen Saubermann-Image der Superhelden zu brechen. Der dunkle Ritter kämpft sich altersmüde und von schweren Neurosen gebeutelt durch die sarkastische Story. Ich war wieder angefixt.
DC Comics
"The cold, suffocating dark goes on forever and we are alone. Live our lives, lacking anything better to do. Devise reason later. Born from oblivion; bear children, hell-bound as ourselves, go into oblivion. There is nothing else." (Rorschach)
Der echte Frontalangriff auf das Klischee von den tapferen und edlen Verbrecherjägern erfolgte dann durch den Autor Alan Moore. Der intellektuelle Querkopf erschuf zusammen mit dem Zeichner Dave Gibbons ein Comic, das die Comicgeschichte veränderte. Und auch meine Wenigkeit in einem Ausmaß prägte, das mir erst unlängst beim erneuten Lesen wieder bewusst wurde.
Ich rede vom düsteren Paralleluniversum der "Watchmen". Mit dieser Truppe von Comichelden, denen wenig Heroisches anhaftet, ist das Medium plötzlich erwachsen geworden. Die "Watchmen" beginnen, wo andere Superheldengeschichten aufhören: bei den privaten Krisen der kostümierten Rächer, bei ihren seelischen Defekten, sexuellen Problemen und politischen Wahnideen.
Warner Bros/DC Comics
Wer zum Teufel, folgert Alan Moore in 12 Heften, die bald als gebundene Graphic Novel erscheinen, ist schon so eitel, getrieben, narzisstisch und gewaltbereit zugleich, um nachts in einem lächerlichen Aufzug über die Dächer zu flitzen und Ganoven zu verprügeln?
Alleine die Psychogramme von Figuren wie Night Owl, Ozymandias, Silk Spectre oder The Comedian würden schon genug hergeben. Aber Mr. Moore packt seine extrem spannende Geschichte zusätzlich bis zum Bersten voll mit Ideen und Referenzen.
"A live body and a dead body contain the same number of particles. Structurally, there's no discernible difference. Life and death are unquantifiable abstracts. Why should I be concerned?" (Doctor Manhattan)
Da geht es um heikle Grundsatzdiskussionen, um den Konflikt von Links und Rechts und wie die Ideologien immer mehr verschwimmen. Gleich mehrere kostümierte Vigilanten stehen für die stockdunkle menschliche Seite, von psychotischer Rachsucht über brutalen Egoismus bis hin zu blankem Faschismus reicht das Spektrum.
Alan Moore gibt keine leichten Antworten auf schwierige Fragen. Wie in unserer wirklichen Welt verstricken sich auch die wenigen "Guten" in "Watchmen" in böse Geschäfte. Am Ende der komplexen Story wird die Menschheit zwar vielleicht dem drohenden nuklearen Holocaust entgehen. Doch der Preis ist hoch.
Eine wirklich ernsthafte Lektüre der "Watchmen" kann Lebenseinstellungen ändern, Denkweisen zerstören, reaktionären Geistern einen Spiegel vorhalten und Hobbymarxisten desillusionieren, so radikal und klug seziert Alan Moore die Mechanismen der Politik.
UIP
Aber die "Watchmen" gehen noch weiter. Alan Moore diskutiert die Grundlagen der westlichen Zivilisation in seinem packenden Comicthriller. Er bringt die griechische Antike ins Spiel und Friedrich Nietzsche, zitiert Bob Dylan und die Quantenphysik, reflektiert über Religion, Vergänglichkeit, Zeit und Sein.
Und wenn ich jetzt an meine Erstlektüre zurückdenke, dann haben die "Watchmen" für einen zornigen jungen Mann wie mich damals vor allem noch eines zu bieten: den grimmigen Rorschach, der wie ein ausgebrannter Seelenverwandter des Travis Bickle aus Martin Scorseses "Taxi Driver" durch die Großstadtwüste hetzt. Ich glaube, es war die Schlüsselmonologe dieser Figur, irgendwo zwischen Albert Camus'scher Hoffnungslosigkeit und Film-Noir-Irrsinn, die ein ganzes Album meiner damaligen Band inspirierten.
DC Comics
"This rudderless world is not shaped by vague metaphysical forces. It is not God who kills the children. Not fate that butchers them or destiny that feeds them to the dogs. It’s us. Only us." (Rorschach)
Womit ich mich wohl in mehrere Generationen von Autoren, Musikern und Filmemachern einreihe, die dieser Graphic Novel viel verdanken. Auch ein gewisser Regisseur namens Zack Snyder zählt zu den Fans der ersten Stunde, wie er stets in Interviews betont.
Seit Dekaden schwirrt die Idee einer "Watchmen"-Verfilmung in Hollywood herum, Namen wie Terry Gilliam, Darren Aronofsky oder Paul Greengrass wurden als Regisseure gehandelt, vor der Kamera sollten Tom Cruise, Jude Law, Daniel Craig oder Sigourney Weaver agieren.
Aber erst mit dem ungeheuren Erfolg der Frank-Miller-Adapation "300" bekam das aufwändige Projekt grünes Licht. Der Ex-Werbefilmer Zack Snyder, Mastermind hinter dem digitalen Antike-Schlachtfest, nahm auf dem kontroversen Regiesessel für die "Watchmen" Platz.
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Als ich letzte Woche morgens die Pressevorführung betrete, fühle ich mich so seltsam wie wohl etliche Moore-Anhänger rund um den Planeten.
Wie kann ein zweieinhalbstündiges Blockbuster-Spektakel dem Reichtum dieser ganz speziellen, bewusst unverfilmbar angelegten Vorlage auch nur halbwegs gerecht werden? Vor allem, wenn der "Watchmen"-Streifen, um seine enormen Kosten einzuspielen, die Multiplex-Massen mit ihren klebrigen Nachos, blinkenden Handydisplays und verschwindend geringen Aufmerksamkeitsspannen ebenfalls befriedigen muss?
Ich klinge jetzt überheblich? Da solltet ihr mal Alan Moore himself hören, der freiwillig auf unzählige Millionen Dollar verzichtet, nur damit sein Name nicht in den Credits auftaucht.
Dieser Vorspann, in dem der Name des Schöpfers tatsächlich fehlt, darf übrigens als außerordentlich gelungen bezeichnet werden. In eingefrorenen Tableaus und zu den Klängen von Bob Dylans "The Times They Are A-Changin'" rollt die Historie der Superhelden des 20. Jahrhunderts ab. Schon nach wenigen Minuten wissen wir: Diese Frauen und Männer, von den "Minutemen" der vierziger Jahre bis zu den "Watchmen", sind ein Haufen desperater, dysfunktionaler Clowns in grellen Kostümen.
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"There is no future. There is no past. Do you see? Time is simultaneous, an intricately structured jewel that humans insist on viewing one edge at a time, when the whole design is visible in every facet." (Dr. Manhattan)
Was auch bald klar ist: Zack Snyder beschränkt die visuellen Spielereien nicht auf die Titelsequenz. Beinahe jede der 163 Minuten nützt die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters bis zur Erschöpfung aus. Alles rast, saust, zuckelt, sogar die Maske von Rorschach bewegt sich. Wer wie ich diesen Zeitlupen-Effekt aus "Matrix" längst nicht mehr sehen kann, bekommt ihn in jeder dritten Einstellung vorgeführt.
UIP
Das Ergebnis all des animierten Overkills ist eine große Distanz zu dem Geschehen auf der Leinwand. Dabei bemühe ich mich sehnlichst, diese Hürde zu überwinden, denn schließlich sind da ja alte Freunde zu sehen.
Die Besetzung ist eine der positivsten Überraschungen des Films. Glücklicherweise verzichtete man komplett auf Stars, stattdessen schlüpfen großartige und unverbrauchte Charakterdarsteller in die Masken von Night Owl, Rorschach & Konsorten.
Billy Crudup gelingt es dabei, sogar im Ganzkörper-CGI-Gewand den übermenschlichen Dr. Manhattan, den Superhelden, der über gottähnliche Fähigkeiten verfügt und sich immer mehr von den Menschen entfremdet, auf den Punkt zu bringen. Überhaupt gehören die Passagen rund um diese traurige und gefährliche Figur zu den geglücktesten des Films.
Um es abzukürzen: Die Kino-"Watchmen" scheitern an der überstilisierten Machart, aber auch ausgerechnet an der pingeligen Ambition Zack Snyders, das Comic Panel für Panel wiederzugeben. Aber es ist ein schönes, sehenswertes Scheitern. Wenn sich Night Owl und Silk Spectre langsam annähern, flackern Emotionen auf, von denen ich gerne viel mehr verspürt hätte. Wenn die Vernetzungen des rabiaten Comedian mit der US-Politik ins Bild rücken, ist ein Hauch von Subversion spürbar.
Nite-Owl: "Rorschach, wait! Where are you going? This is too big to be hard-assed about! We have to compromise!"
Rorschach: "No. Not even in the face of Armageddon. Never compromise."
Vielleicht enthalten die zukünftigen Fassungen dieses Films - geplant ist auch ein ultimativer Edit, der an die Vierstundengrenze geht und ganze weggekappte Stränge inkludiert - mehr solcher Momente. An dem andauernden Style-Overkill wird sich aber nichts ändern. Zack Snyder ist kein Christopher Nolan, "Watchmen" kein neuer "The Dark Knight".
Fest steht, dass am Comic selbst kein Weg vorbeiführt. Uneingeweihte sind zu beneiden, denn ein unglaubliches Abenteuer liegt noch vor ihnen.
UIP