Erstellt am: 12. 3. 2009 - 16:00 Uhr
Fußball digital
Ich gebs ja zu, ich bin ein Junkie. Wo immer ich dieses hellgrüne Rechteck sehe, reißts mich: ein Fußballspiel, im Fernsehn. Und schon verpasse ich die Straßenbahn, weil ich beim Wettbüro neben der Haltestelle durchs Schaufenster starren muss.
Letztens bin ich wieder im Vorbeigehen an so einem hellgrünen Rechteck hängen geblieben. Und ich hab aus der Entfernung ein paar Sekunden gebraucht um zu bemerken, dass da gar kein echtes Fußballspiel läuft, sondern dass ein paar kleine Jungs vor einem Computerspiel sitzen.
Was die Konsole kann
Fifa09 / EA-Sports
Lange haben Computerspiele versucht, sich der Realität anzunähern, vor allem was Grafik und Bewegungen angeht. Doch auch umgekehrt hat der moderne Fußball dem Computerspiel nicht wenig zu verdanken.
Zumindest was die Wahrnehmung des Tempos angeht, nähert sich der echte Fußball dem auf der Konsole. Spitzenspiele gelten als solche wenn sie schnell sind, wenn sie technische und taktische Fehlerlosigkeit mit hoher Geschwindigkeit kombinieren.
Früher wurde eine Mannschaft noch souverän genannt, wenn sie die Geschwindigkeit variieren konnte, inzwischen ist Tempo von der ersten bis zur letzten Minute gefragt. Und dazu wird der Mensch (wie beim Game die Figur) auf die Anforderungen des Spiels getrimmt, nicht umgekehrt. Nebenbei bemerkt die klassische Indikation für Doping, aber das soll hier nicht das Thema sein.
Die Wahrnehmung des Publikums ist nicht das einzige, was sich mit dem Aufkommen von Computerfußball geändert hat. Nicht zuletzt hat sich auch der Fußball auch durch die veränderten Wahrnehmungen der Spieler entwickelt.
APA/Herbert Pfarrhofer
Der Philosoph Klaus Theweleit legt in seinem Buch Tor zur Welt - Fußball als Realitätsmodell die Erkenntnisse Vilem Flussers auf den Fußball um. Er schreibt, dass sich bei Menschen, die von früh auf in Berührung mit den elektronischen Technologien aufwachsen … die Vorstellung einer linearen Zeit und eines perspektivischen Raums laut Flusser nicht mehr zwangsläufig ausbildet.
Sie entwickeln, schreibt Theweleit weiter, nicht mehr das, was wir das »historische Bewusstsein« nennen; sie entwickeln nicht die Idee von der hierarchischen »Tiefe des Raums« … weil an die Stelle der alten Raum-Zeitkategorien der digitale Code tritt, das heißt das Denken in Bildern und Formeln.
In diesem Sinne bezeichnet Theweleit Johan Cruyff und das Raumkonzept von Ajax Amsterdam in den 70erns als Vorläufer der digitalen Anlage des Fußballs.
Was heißt das im Klartext?
APA/Roland Schlager
Digitaler Fußball, aufgeführt von 22 echten Menschen: Spanien gegen Russland im EURO Halbfinale
Dass sich die sogenannten nationalen Eigenheiten im Fußball mit der Globalisierung vor allem der elektronischen Medien und Formate (beispielsweise in Form der Champions League) immer mehr marginalisieren, ist inzwischen eine Binsenweisheit. Dazu hat aber mit Sicherheit auch die Globalisierung der Wahrnehmung ihren Teil beigetragen.
Spitzenfußball ist heute vor allem perfektes Kurzpassspiel, wie es auch in der Spielkonsole zu sehen ist - weil dort lange Pässe meistens nicht ankommen. Spitzentrainer sind heute Trainer, die die Unterschiede in der Wahrnehmung zwischen ihnen und ihren Spielern verstehen, die das Spiel anders coachen können als sie selber gecoacht worden sind. Deswegen sind gute und erfolgreiche Fußballer heute nicht unbedingt erfolgreiche Trainer, und ein Trainer kann vom heutigen Spiel mehr verstehen als so manche ex-Prominenz, auch wenn er selber keine Erfahrung als Spitzenspieler gesammelt hat.
Was die Konsole nicht kann
Keine Überraschung, dass bei den letzten World Cyber Games beide Finalisten den FC Barcelona als ihren Verein wählten; die Barça-Spieler (und die im Game sind denen in der Realität ja nachgebildet) beherrschen nämlich genau das, was im Computerfußball zählt, am besten. Der FC Barcelona spielte auch unter Rijkaard einen fast perfekten digitalen Fußball. Kein Wunder, wenn man weiß, welchen Einfluss Johan Cruyff heute noch beim FC Barcelona genießt.
Fifa09 / EA-Sports
Umgekehrt versuchen die Hersteller von Fußballsimulatoren, der Realität immer noch ähnlicher zu werden. Inzwischen gibt's ja Tools, mit denen man sich die aktuelle Tagesverfassung von Mannschaften und Spielern herunter laden kann.
Was Konsolenfußball aber nicht kann, und dazu wird er auch noch eine Zeit lang brauchen, ist, die Geschichten zu erzählen, die ein reales Spiel zweier Mannschaften erzählt. Da geht's gar nicht so sehr um das Geplänkel davor und danach, da geht es vielmehr um die Dinge, die sich in 90 Minuten so abspielen können.
Es gibt nichts schöneres, als in einem Spiel die, wie Theweleit sagen würde, eingeschriebenen Erzählungen zu lesen. Guter Sportjournalismus kann dabei helfen. Auch wenn der meistens noch aus der analogen Zeit stammt.