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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

4. 3. 2009 - 08:02

Die Sache mit der Kultur

Computerspiele erfahren mehr denn je die Weihen der kulturellen Wertschätzung. Doch macht das die öffentliche Auseinandersetzung besser?

Es scheint fast so, als ob das Ziel erreicht wäre. All jene, die bereits seit geraumer Zeit Computerspiele als die zentrale Kunstform des 21. Jahrhunderts beschreiben und mit vielen Beispielen aufzeigen, dass Videospiele auch abseits schnell konsumierbarer Wegwerf-Produkte relevant sind, dürften sich in den letzten Monaten bestätigt fühlen. Die USA als auch die EU üben sich in offiziellen Projekten zur Archivierung von digitalen (Spiele-)Welten und die deutsche Regierung verleiht 2009 erstmals den mit 600.000 Euro dotierten Deutschen Computerspielepreis.

Videospiel-Kultur statt "Killerspiele"

Dieser absehbare, aber sich verblüffend schnell durchgesetzte Trend lenkt wohltuend von der mühseligen und vielfach unprofessionell geführten Gewaltdebatte der letzten Jahre ab und entlässt Games in das mitunter strenge, aber gerechte Feld der Kulturkritik. Komplett kann man sich als Qualitätsmedium mittlerweile - egal, ob gedruckt oder elektronisch - um die Wahrnehmung von Computer- und Videospielen nicht mehr drücken, ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, öffentlich zurecht als borniert oder ignorant abgestempelt zu werden.

Also machen sich Literaturwissenschafter, Feuilletonisten und Rezensionsschreiberinnen nun eifrig daran, in die neue Spur zu wechseln und ihren Teil dazu beizutragen. Das ist grundsätzlich eine gute Sache, nur bringt der Paradigmenwechsel auch Menschen mit gefährlichem Halbwissen mit sich, die dem neuen Medium flugs ihre eigene Sicht der (anderen) Dinge überstülpen. Meist sind es schlaue Intellektuelle, die um ihren Marktwert Bescheid wissen und diesen durch das Veröffentlichen von Büchern oder dem Annehmen von Beratertätigkeiten stärken. Da kommt die frisch in der Öffentlichkeit erwachte Spielkultur gerade recht.

Kenne deine Wurzeln

Problematisch wird es auch, wenn sich herausstellt, dass die Beschäftigung mit der Kernkompetenz des Mediums fehlt - das Bekenntnis zum Fundament. Wer Computer- und Videospiele mit ihren eigenständigen Gesetzen nicht zunächst mal anatomisch prüft und erst danach den assoziativen Gedanken freien Lauf lässt und über kulturelle Einbettung nachdenkt, neigt später dazu, viele wichtige Aspekte außen vor zu lassen.

Wie etwa der Autor und Journalist Andreas Rosenfelder ("Digitale Paradiese, Von der schrecklichen Schönheit der Computerspiele"), der in Interviews die technische Entwicklung von Games mit bildender Kunst vergleicht und in ihren Inhalten die fortschreitende Tradierung des bisher geschaffenen Wissens in einem neuen Medium sieht. Das ist ein gut beobachtetes Herausarbeiten jener Leistungen, die Games unbewusst und über ihre Kernkompetenz der spielerischen Zerstreuung hinaus erbringen.

Über vermeintliche Banalitäten wie Regelwerk, Gameplay oder grundlegende technische Aspekte schweigt Rosenfelder bei der Zelebrierung seiner Videospiel-Kulturkritik aber konsequent. Und das sicher nicht ohne Zufall, stehen seiner Rezeption doch die "Fundamentalkritiker der Spiele, die oft gar nicht wissen, wovon die Rede ist" gegenüber. Stimmt schon, Games sind viel zu lange mit Scheuklappen am "Stiftung Warentest"-Tisch seziert worden und dabei nur selten als Gesamtwerk betrachtet sondern vielmehr phanatasielos in Einzelteile zerpflückt worden. Dass die Kulturkritik nun mit ihrem neuen Analyseobjekt ihr Glück zähnefletschend im anderen Extrem sucht, ist zwar einerseits verständlich, wird der Komplexität des Themas aber schon wieder nicht gerecht.

Mut zum Gesamtpaket

Das öffentliche Bekenntnis zum Kulturgut digitale Spiele kann auf lange Sicht nur dann glaubhaft vollzogen werden, wenn auch abseits der herkömmlichen Testberichterstattung der Gamer-Alltag nicht ausgespart, die Realität nicht ausgeblendet wird. Wer über Spielkultur sinniert, sollte sich nicht scheuen, auch mal unschöne Wörter wie "Engine" oder "Endgegner" zu verwenden und zu leidenschaftlich ins Headset brüllenden Teenagern bei stundenlangen "Halo"-Partien, in abgedunkelten Räumen spielenden "Final Fantasy"-Pärchen und professionell organisierten "WoW"-Raids Ja zu sagen. Statt süffisant grinsen und auf die Freak-Ecke verweisen - denn sonst haben wir bei der kulturkritischen Auseinandersetzung mit Games die selbe unpassende Abgehobenheit wie bei vielen anderen popkulturellen Artefakten davor.