Erstellt am: 3. 3. 2009 - 13:11 Uhr
Stark auf Steroiden
Im Wrestling bestimmen die Promoter den Ausgang des Kampfes. Die Kontrahenten vereinbaren eine Choreographie, wie das Ergebnis herbeigeführt wird.
Wrestling und Film haben für gewöhnlich eines gemeinsam: die Darsteller spielen. Warum Wrestling genau dafür belächelt wird, Film aber geschätzt, wird für mich ein ungelöstes Rätsel bleiben. Ich liebe Wrestling, ich liebe die glitzernden Leggings und die endgültige Klarheit über Gut und Böse.
Am Wochenende habe ich mir "The Wrestler" im Votivkino angeschaut. Im Vorprogramm sind Hungry Lion, Humungus und Blizard von der Wiener Wrestlingliga WSA aufgetreten. Nach dem Film sind sie begeistert.
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Den geheimen Absprachenkatalog bezeichnet man als "Kayfabe". Immer wieder haben sich Wrestler dem Kayfabe widersetzt.
Maximum Respect
Der Film nähert sich der Faszination Wrestling, den sonnigen und den schattigen Seiten, zeigt die unendliche Leidenschaft, die die Athleten für ihre Berufung aufbringen, Medikamentenmissbrauch und die bitteren Tiefen im Leben eines Mannes, der einmal ganz oben war.
Keine Sorge: "The Wrestler" ist kein Wrestlingfilm. Ganze 12 Minuten lang dauert die Action im Ring. Doch von der Männerfreundschaft im Umkleideraum bis zu den deprimierend schlecht besuchten Autogrammstunden abgehalfterter Superstars ist die Szenerie detailgetreu nachgezeichnet: Auch wenn die Kämpfe abgesprochen sind, die körperliche Leistung der Stars und Sternchen im Business ist einfach nur atemberaubend. Maximalen Respekt von der Wiener Wrestling-Elite gibt es vor allem für Hauptdarsteller Mickey Rourke als Randy "The Ram" Robinson.
Der war zwar in seiner schauspielerischen Auszeit als Boxer unterwegs, wie er mit seinen 53 Jahren aber eine "Hurricanrana" springt (wo er dem Gegner artistisch beide Beine um den Kopf schlingt und ihn damit zu Boden reißt), lässt die österreichischen Profis mit der Zunge schnalzen. Schließlich hat Mickey Rourke auf Doubles und Stuntmen verzichtet.
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Indie Wrestling
Bei den großen Mainstreamligen WWE und TNA sind eigene Autoren engagiert, die die einzelnen Charaktere wie für eine Soap Opera entwickeln.
Die wrestlenden Nebenrollen sind allesamt mit Menschen aus dem Business besetzt. Die Dekoration von Ring und Halle ist den Shows der Indie-Wrestling-Ligen nachempfunden. Richtig gehört: Indie-Wrestling. Das sind Promotionen wie Ring Of Honor, wXw oder CZW, die sich im Schatten des Marktführers WWE um authentisches Wrestling kümmern.
Ähnlich wie bei Indie-Labels im Pop geht es hier nicht um die Masse, sondern um Klasse in special interest Nischen. Bei der Liga Combat Zone Wrestling (CZW) steht beispielsweise ultrabrutale Action im Vordergrund. Necro sorgt mit Drahtbürsten, Tackermaschinen und seinen berühmten beiden Metallstühlen mit Stacheldraht regelmäßig für verzückte Fans und beinhartes Hardcore-Wrestling.
Wenn in einer Rückblende "The Ram" Necro von einer Leiter auf die Stühle wirft, ist das eine Szene, die Abscheu und Gänsehaut generiert, wie es oft nicht einmal fett ausproduzierte Kriegsfilmschocker zu Wege bringen. Dass die gewaltigen Kräfte nicht allzu gespenstisch wirken, hat mit der speziellen Wrestlingatmosphäre zu tun, die der Film vermittelt. Ja, an der Ringside schreien die Fans tatsächlich "You're so dead! You're so dead!". Und ja, die zärtlichen Umarmungen verschwitzter Männer im Backstagebereich gehören auch dazu, wie mir die Insider versichern.
Das, was der Cineast wahrscheinlich ironische Brechung nennt, ist im Wrestling-Biz ganz normal. Darren Aronofsky musste die absurden Spielregeln des bizarren Spektakels einfach nur eins zu eins auf die Leinwand übernehmen. Ihm ist aber zu verdanken, dass "The Wrestler" wohl der erste Film über einen Wrestler ist, der auch Menschen außerhalb der überschaubaren Fanszene berührt.
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Normalerweise gibt es drei Möglichkeiten, ein Match zu gewinnen. Pinfall (die Schultern des Gegners drei Sekunden zu Boden drücken), Aufgabe oder Disqualifikation.
Parallelen zur echten (!) Wrestlingwelt
Das US-Wrestling schreibt Geschichten wie die von Randy "The Ram" wie von selbst. Die Storyline rund um die entfremdete Tochter von "The Ram" orientiert sich beispielsweise an der Lebensgeschichte von Jake "The Snake" Roberts.
In den Achtzigern und Neunzigern war The Snake eine Lichtgestalt der guten alten Wrestlingära. Er konnte wrestlen, schauspielern, hatte eine echte Tigerpython bei seinen Kämpfen mit dabei, und hat bei Wrestlemania III in einem Team mit Alice Cooper gekämpft. Nach seiner Glanzzeit kam der Absturz mit Alkohol- und Drogenexzessen. Schließlich hat ihn Regisseur Barry Blaustein für seine 1999er-Wrestling-Doku "Beyond The Mat" wieder mit seiner Tochter zusammen geführt, die er zuvor jahrelang nicht gesehen hatte.
Das Sports Entertainment verdankt The Snake die Erfindung des Manövers DDT. Bei diesem Move, der mittlerweile zu den wichtigsten Standards jedes Athleten zählt, wird der Gegner mit dem Kopf voraus auf die Matte geschleudert. Für den Film haben die Drehbuchautoren für Randy "The Ram" ebenfalls ein Manöver neu kreiert. Randy führt seinen finishing move, den sogenannten Ram Jam, vom obersten Seil in der Ringecke aus: dabei kombiniert er Elemente des japanischen Enzuigiri mit dem Diving Headbutt.
Für letzteres Manöver war im US-Pro-Wrestling vor allem Chris Benoit bekannt. Der "Canadian Crippler" erlangte im Juni 2007 traurige Berühmtheit, als er sich selbst und seine Familie ermordete. Bei der darauffolgenden Obduktion sind gleich zwei Dinge festgestellt worden, die den Wrestlingsport in ein schiefes Licht rückten: einerseits Gehirnschäden, die Benoit nicht zuletzt wegen seiner riskanten Diving Headbutt Aktionen davongetragen hat. Andererseits: jahrelanger Steroidmissbrauch.
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Die größte Popularität erreichte Pro Wrestling in den 1980ern mit Hulk Hogan in der damaligen WWF-Promotion ("Hulkamania").
Kaputte Körper
Der Kampf gegen Steroiddoping, das dabei hilft, schneller Muskelmasse aufzubauen, scheint im Wrestling aussichtslos. Während bei Wettkampfsportarten nationale und internationale Anti-Doping-Organsiationen allein schon aus Gründen der Wettbewerbsverzerrung tätig werden, stehen die Schaukämpfe hierbei auf verlorenem Posten. Die Promotionen sind allein sich selbst und den Drogenfahndern verpflichtet. Behördliche Kontrollen finden nicht statt. Den Preis dafür müssen die Athleten oft genug selbst bezahlen.
Allein in den letzten Jahren sind auffällig viele Profis jung an Herzversagen durch Medikamentenmissbrauch gestorben. Bam Bam Bigelow, Yokozuna, The British Bulldog, Eddie Guerrero oder Sensational Cherri: Viele Stars der Neunziger sind noch während ihrer aktiven Karriere oder kurz danach verstorben.
Dass Steroide und Kokain in Darren Aronofskys Film eine große Rolle spielen, schmeckt der führenden US-Promotion WWE gar nicht. Bei jeder Gelegenheit wird beteuert, dass die Realität des Wrestlings mittlerweile ganz anders aussieht. Und weil sogar ehemalige Wrestler wie Bret Hart immer noch am Werbekuchen des Marktführers mitnaschen, überwiegen bei den kommerziell erfolgreichen Stars des Genres die kritischen Stimmen.
Die Realität holt das Wrestling aber selbst auf dieser Front erbarmungslos ein. Der 33jährige Nebendarsteller Paul Fuchs (er tritt als Wrestler unter dem Namen "E. Normous" auf) starb kurz nach den Dreharbeiten. Und als wäre das nicht Ironie des Schicksals genug, wurde Bodybuilder und Schauspieler Scott Siegel, der im Film den Steroiddealer verkörpert, vorige Woche verhaftet. Wegen Handels mit Anabolika.
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BONUS
WWE Wrestlemania Revenge Tour (Smackdown-Roster):
18. April Salzburgarena Salzburg
19. April Stadthalle Wien
Durch den Film ist Wrestling also auch hierzulande Gesprächsthema. Zum Schluss noch ein paar nützliche Tipps, wie man in nun vermutlich häufiger auftretenden Wrestlinggesprächen als cooler Auskenner dastehen kann.
1. Auf abwertende Äußerungen wie "Wrestling ist doch nur Fake" reagiert man am besten gar nicht. Ja, der Kaperl in der Urania ist auch "nur Fake" und stell dir vor, Birgit Minichmayr stirbt in Macbeth gar nicht wirklich!
2. Werde nicht müde, sowohl Technik als auch Charisma der Athleten zu loben. Dir muss Tag und Nacht klar sein, dass Wrestling von beiden Typen lebt. Von den Rey Mysterios, die artistische Manöver fliegen können und von den Hulk Hogans, die die Menge begeistern.
3. Antiamerikanismus kommt immer gut. Auch wenn du keine Ahnung davon hast, schwärme von mexikanischem und japanischem Wrestling. Dort sind die Charaktere "viel glaubwürdiger", die Promotions "nicht so kommerziell" und der Sport "total in der Kultur verankert". Keine Ahnung, ob das stimmt? Ich auch nicht.
4. Streue in ein Gespräch beiläufig ein, dass "The Ayatollah", (seines Zeichens Endgegner von The Ram) bestimmt von der Figur des Iron Sheik der Achtzigerjahre beeinflusst ist. Mache deine Behauptung daran fest, dass der Ayatollah von "The Ram" in den Würgegriff "Camel Clutch" genommen wird, und sich dann beschwert "Hey! Das ist mein Trick!"
5. Sei "totaler Fan" von Mick Foley. Was St. Pauli im Fußball ist, ist Mick Foley (a.k.a. "Mankind" a.k.a. "Cactus Jack") fürs Wrestling: der Coole in einer uncoolen Welt. Er steckt die härtesten Bumps ein und lässt sich vermöbeln, ohne mit der Wimper zu zucken. Seine dreiteilige Autobiografie ist sogar für Nicht-Fans ein Muss, seine Kinderbücher sind extrem schräg, und auch den Aronofsky-Film hat er fürs Slate-Magazine besprochen.