Erstellt am: 8. 3. 2009 - 11:25 Uhr
Unterwegs in der Utopie
Was gibt es in Zeiten der unentwegt beschworenen "Krise" Besseres, als die Rückbesinnung auf altbekannte und langerprobte Werte? Wir hören und lesen, dass wir uns wieder auf das Wesentliche besinnen würden, die einfachen Dinge des Lebens schätzen lernen und überhaupt gerne mal länger drinnen bleiben. Und weil das Geld die kommenden Monate schon aus rein moralischen Gründen für keine dekadente Anschaffungen, etwa aus dem Bereich der Unterhaltungs-Elektronik, reichen soll, freuen wir uns über Computerspiele, die bescheidene technische Anforderungen stellen.
monochrom
Kommunistischer Krimi
Als ob die Games-Industrie die Rezession vorausgesehen hätte, ist die Spielegattung des Adventure, der interaktiven Geschichte, vor einigen Jahren zurückgekehrt. Zur Jahrtausendwende wurde das Genre zuversichtlich als tot erklärt, doch die Nische ist geblieben und hat sowohl mit kommerziellen Projekten (z.B. "Sam & Max"-Serie) als auch Hobby-Entwicklungen (etwa "Zak McKracken 2") nun wieder vollen Fahrtwind.
"Sowjet-Unterzögersdorf", das Spiel, befindet sich also in guter Gesellschaft. Nach dem kurzen ersten Part wollte es monochrom beim soeben erschienenen zweiten Teil nun genau wissen und hat eine bizarre Sowjet-Oper vom Stapel gelassen, die sowohl in Sachen Erzählung als auch spielerisch in die Vollen geht.
monochrom
Zwischen Staatsdichtern und Völksverrätern
monochrom
"Sowjet-Unterzögersdorf, Sektor II" ist als Freeware für PC, Linux und Windows sowie Mac OSX erschienen und steht auf der offiziellen Seite zum Download bereit.
Ein weiteres Mal steuern wir Kommissar Chrusov durch die rurale Schönheit von "Mütterchen Unterzögersdorf": Schlichte, aber höchst funktionelle Bauernhäuser, endlose "Agrarsteppen" und fortschrittliche Technologie, auf die man sich seit 1966 verlassen kann. Die grüne Grenze zum ausbeuterischen Westen ist vorschriftsmäßig vermint, der Griff zu den ABC-Waffen jederzeit möglich, da der Feind ohnehin keinerlei Niederträchtigkeiten in Sachen Angriff und Bloßstellung des stolzen sowjetischen Ministaates scheuen wird. Verkappte Pazifisten, die im Krisenfall die Sicherheit gefährden könnten, haben da natürlich keinen Platz.
Wie schon im ersten Teil ist auch "Sektor II" komplett in russischer Sprachausgabe gehalten, die wahlweise mit deutschen oder englischen Texten eingeblendet wird. Gesteuert wird Chrusov mittels der tradtionellen "Schau", "Benutze", "Sprich" und "Geh"-Befehle. Weit über 200 Schauplätze sind diesmal zu besichtigen. Staatsdichter, BefehlshaberInnen und Botschafter wollen angesprochen und aus der Close-Up Perspektive bewundert werden.
monochrom
A schene Leich'
Obwohl der geschäftige Kommissar langsam und gewissenhaft durch die Landschaft latscht, mangelt es nicht an Möglichkeiten, in letale Fallen zu tappen. Wo in vielen aktuellen Games Sterben verboten ist, zelebriert monochrom programmatisch zu den staubigen Sowjet-Inhalten althergekommene Computerspiel-Traditionen und tischt ein boshaft-amüsantes Fest der Todesarten auf. Weil aber von Anfang an fleißig gestorben wird und man sich rasch mit der Speicherfunktion anfreundet, trübt das die Spielfreude nicht.
Schlauer Klamauk, gehaltvolle Philosophie, politische Bildung und unorthdoxer Blödsinn treffen beim zweiten Teil der Unterzögersdorfer Abenteuer-Trilogie auf die Mauseingaben der Spielerin und bilden eine glanzvolle Fusion, die vom konzentrierten Eintauchen in die postsowjetische Utopie (manche von Kommissar Chrusov lapiar dahingesagten Sätze und Zitate fordern längere Nachdenkpausen ein) in ein spannendes Spieleabenteuer gleitet. Durch die Arbeit am ersten Teil und das Feedback dazu haben die Damen und Herren von monochrom viel Erfahrung sammeln und sowohl Umfang als auch Anspruch nach oben schrauben können.
monochrom
Wer "Sektor I" als zu einfach empfunden hat, "wird sich jetzt die Zähne ausbeißen", lässt der Kommissar in informellen Gesprächen wissen. Eine zu schnelle Ausreise aus Sowjet-Unterzögersdorf wäre ohnehin eine Enttäuschung, würde man sich so auch nicht in den großartigen Soundtrack verlieben, der ein weiteres Mal von talentierten Musikern und Bands aus dem weitläufigen monochrom-Umfeld produziert wurde. Also, GenossInnen, sofort auf die Festplatte gespeichert und mit Elan an die Steuergeräte!