Erstellt am: 1. 3. 2009 - 15:38 Uhr
Body & Soul
Let's get physical. Darren Aronofsky zählt wohl zu den wichtigsten Vertretern eines Kinos, das vom erschütterten, erregten, bedrohten Körper erzählt und dabei auch vom Zuschauer physische Erfahrungen einfordert.
Auf einen banalen Punkt gebracht: Wie die Filme von etwa Cronenberg, Ferrara, Fincher, Tsukamoto, Zulawski, Carax oder auch Miike drehen sich auch Aronofskys Arbeiten um überaus schmerzhafte Situationen. Und du da draußen im dunklen Kinosaal, du sollst die seelischen und körperlichen Verwundungen der Figuren spüren.
Du sollst betäubt, malträtiert, vielleicht sogar komplett erschlagen ans Tageslicht taumeln.
Um das zu erreichen, ist Aronofsky jedes formale Mittel recht. In dem (Anti-) Drogenstreifen "Requiem For A Dream" (2000) beispielsweise wird die Geschichte von vier Menschen, die sich mit Hilfe illegaler Substanzen aus ihren tristen New Yorker Existenzen katapultieren wollen, als Amoklauf gegen den Körper der Figuren und des Betrachters erzählt.
Dialoge sind nebensächlich, die Story nur ein Gerüst, Aronofsky saugt den Betrachter mit stylischen Videoclip-Methoden ins Geschehen hinein. Aber der schicke und slicke Stil ist nur ein Trick, und wer erstmal in der Falle sitzt, dem schnürt "Requiem For A Dream" die Luft ab.
Artisan
Damals, um die Zeit von "Requiem For A Dream", scheinen den Visionär Darren Aronofsky bescheidenere Zugänge ebenso wenig zu interessieren wie banale Themen. Bereits in seinem faszinierenden Low-Budget-Debüt "Pi" (1998) will ein besessener Mathematiker den Schlüssel zum Verständnis des ganzen Universums finden.
Mit "The Fountain" (2006) verzettelt sich Aronofsky dann in seinen extremen Ambitionen. Über sechs Jahre arbeitet er an dem Streifen, geplante Hauptdarsteller kündigen ihm als die Solidarität, die Produzenten kürzen die veranschlagten Unsummen auf ein moderates Budget herunter. Inhaltlich geht es diesmal um nichts weniger als den Sinn des Lebens.
Aronofsky verliert den Faden. "The Fountain" erweist sich als metaphysisches Science-Fiction-Epos, vollgepfropft mit hypnotischen und oftmals auch überkandidelten Momenten. Die Kritiker verlassen kopfschüttelnd und buhrufend die Premiere beim Filmfestival von Venedig. Der Meister des stockdüsteren und formal verstörenden Indie-Kinos überschreitet plötzlich die Grenze zum esoterischen Kitsch.
Man muss schon, wie der Schreiber dieser Zeilen, zu den ganz treuen Fans des Regisseurs zählen, um sich "The Fountain" ohne Zynismus und hämische Grinser nähern zu können. Und es schadet nicht zu wissen, dass Aronofsky viele Freunde in jungen Jahren sterben sah.
Dieser Film ist seine ganz persönliche, maßlose, und formal tatsächlich oft peinliche Annäherung an die letzten Dinge.
Warner Bros
Die Erfahrungen, die Aronofsky mit der negativen Rezeption von "The Fountain" machte, beeinflussten jedenfalls unübersehbar seine weitere Arbeit. Der Spezialist für bewusste Überhöhung und Stilisierung ist am Boden der Realität gelandet.
Aufblende für "The Wrestler", einen Film, in dem Darren Aronofsky mit all seinen bisherigen formalen Manierismen bricht. Denn die Zeit von "Requiem For A Dream", als viele Kameramänner der Ästhetik von MTV hinter herhechelten, ist einfach vorbei, auch der einstige Musikvideokanal ist ja nur mehr ein Schatten seiner selbst.
Die Gegenwart schreit nach roheren Bildern, nach authentischeren Alternativen zum allgegenwärtigen visuellen Bombardement. Aronofsky weiß das und findet in der Selbstbeschränkung zu einer neuen, atemberaubenden Form.
Trotz oder gerade wegen der Abwesenheit bestimmter Überwältigungsstrategien ist "The Wrestler" pures Body Cinema.
Im Zentrum steht der alte, kaputte, geschundene Körper von Mickey Rourke, an ihm, an seinen Narben und Verwundungen, klebt das Objektiv hautnah. Rourke ist Randy "The Ram", eine einstige Wrestling-Legende, die sich nur mehr mühsam durch einen tristen Alltag schleppt, von den brutalen Fights aber nicht lassen will.
"The Wrestler" ist, wie die besten Filme, so vieles gleichzeitig. Ein mitreißendes, persönliches Drama und gleichzeitig eine Sozialstudie, die auf sehr genaue Weise vom Unterschichtsleben im modernen Amerika erzählt. Eine Meditation über verblassten Ruhm und die fatale Anziehungskraft des Rampenlichts.
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Vor allem dreht sich die Erzählung aber um eine Generation, jener der berüchtigten Achtzigerjahre, die als erste massiv mit dem Einbruch des Artifiziellen umgehen musste und sogar bewusst einen Kult darum inszenierte: Denken wir an die unzähligen Popmaskierungen dieses Jahrzehnts, an die Haarteile, Färbungen, Applikationen, an Larger-Than-Life-Bombast und Trockeneisschwaden.
Denken wir in diesem Zusammenhang an Bands wie Mötley Crüe, Poison oder Guns'N'Roses, die ewigen Favoriten von Randy "The Ram", zu deren Klängen er noch immer in den Ring steigt. Der aktuelle Axl Rose, mit seinem Alien-Antlitz und den Dreadlocks, er könnte ein Brother-in-Botox des Wrestlers sein.
Und da ist natürlich der kongenial besetzte Mickey Rourke als einstiger Leinwandhero und ikonografisches Symbol der Dekade, an die sich alle Schlüsselprotagonisten nicht mehr erinnern können. Nicht minder umwerfend schlüpft die fantastische Marisa Tomei in die Rolle einer Stripperin, die als weibliches Pendant zum Wrestler Randy fungiert.
Schlussendlich geht es in "The Wrestler" um die Unwürde des Alterns, um solariumverbranntes, faltiges, mühsam trainiertes Fleisch, um die Auseinandersetzung zwischen Künstlichkeit und Authentizität.
Dass Darren Aronofsky diesen Kampf nicht nur unerhört physisch in Szene setzt, sondern auch als schlichte Countryballade in Filmform, macht ihn endgültig zu einem Ausnahmeregisseur.
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