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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

27. 2. 2009 - 18:31

Journal '09: 27.2.

Im Grundton des Vorwurfs.

Eigentlich sollte dieser Satz schon ins gestrige Journal rein; hat dann aber nicht gepasst, weil es letztlich um etwas ganz anderes ging. Und nur weil ich ihn halt von Daniel Kehlmann gehört habe, möchte ich ihn da nicht an den Schluss/Rand pressen.

Irgendwo bei Kernbeckman im deutschen Gästeredengscheit-TV saß der das altösterreichisch-altkluge, nur unmerklich überhebliche Element im deutschsprachigen Ausland so auf den Punkt genau vertretende Kehlmann und sprach (die ihn langweilende Frage, die banal nur auf seine Person bezogen war, überlegt abstrahierend) über die aktuelle Rolle der öffentlichen Person. Nicht nur der des Prominenten (im Kernbeck'schen Sinn), sondern die der öffentlichen Person in vielfältger Hinsicht.

Kehlmann merkte an, dass sich die kollektive Tonalität unserer Gesellschaft gewandelt hatte: es werde "im Grundton des Vorwurfs" gesprochen, und zwar über alle öffentlichen Personen. Das habe nicht etwa mit den entsprechenden Alt-Faktoren (wie Neid, ideologischem Hass oder Projektion) zu tun, es habe da eine Art psychologischer Paradigmenwechsel stattgefunden.
Die Prominenz, die öffentliche Person, die Repräsentanten der einzelnen Interessens-Cluster haben zu ihren bisherigen Aufgaben eine zusätzliche Dimension aufgehalst bekommen, nämlich die mediale Aufgabe eine Art Opfer-Rolle für Ressentiments zu erfüllen.

Interesse wird automatisch mit Verachtung (manchmal leiser, manchmal deutlicher) gekoppelt. Sagt Kehlmann und bleibt unwidersprochen, auch die im Studio anwesenden Alt-Politiker (vergessen wer, hochwertig, wenn auch eine Klasse unter Helmut Schmidt) nicken.

Interesse = Verachtung

Man kann das positiv betrachten: aktuelle Gesellschaften sind (zumindest in ihrer Kollektivität, in ihrem medialen Verhalten) nicht im klassischen Sinn über ihre Naivität gefährdet, sind aslo weniger bauernfängereianfällig, verfallen weniger deutlich hysterisiertem naivem Fantum.

Natürlich gibt es all diese Phänomene auch weiter - bloß: sie werden nach dem Motto "in dubio contra" behandelt. Im Zweifel dagegen. Und zwar gegen die Role-Models - nicht nur die der anderen, auch die eigenen.

Das hat mit zwei hier kürzlich angesprochenen Phänomenen zu tun.

Zum einen mit der gesellschaftlich drastisch aufgewerteten Skandal-Kommunikation: ein an sich durchaus aufgeklärtes (und teilweise die Strukturen künstlicher Ablenkungs-Erregung verstehendes) Publikum legt sich absichtsvoll ein archaisches Verhalten zu, weil es so etwas Wichtiges durchführt - seine Werte-Debatte.

Zum anderen mit der Verlagerung der alten Gut-vs-Böse-Weltsicht in ein Böse-Böse-System, das nur hoffnungslose Optimisten wie der Nobelpreisträger Muhammad Yunus als Gut-Gut-System anerkennen.
Diese Anleitungs- und Handlungs-Logik besagt, dass sich so gut wie alles über geringere Übel definiert. Welche Partei man wählt, welchen Verein man unterstützt, welche Mittagswahl man in der Kantine trifft ...

Bleiben wie um den Kehlmann-Satz durchzudenken kurz bei Yunus, diesem Genie, dem Erfinder des Mikro-Kredits, der es schaffte Sinnhaftigkeit, Hoffnung und Vision in gleich zwei bislang für unbetretbar erachtete Gegenden der Verheerung einzuschleusen. Nämlich einerseits in einer durch Kolonialismus verseuchten geopolitischen Armuts-Untiefe und andererseits im moralischen Kerker eines von seiner Gier zerfressenen Weltwirtschaftssystems.

Böse-Böse/Gut-Gut

Yunus ist nicht nur fast ein Guter im Sinne von Mutter Teresa oder Albert Schweitzer, sondern auch noch integer und sympathisch; und dazu imstande trübe Blickwinkel regenbogenfärbig zu öffnen.

Trotzdem ist die öffentliche Rezeption von jemandem wie Yunus genau so wie Kehlmann es sagt: selbst bei interessiertem Gerede über ihn schwingt Verachtung mit, und der Grundton des Vorwurfs besteht auch hier. Denn: der macht das schon auch um daran was zu verdienen. Der ist ja Millionär, oder? Banker sogar, man kann sich schon vorstellen, wie das gelaufen ist.

Da ist jemand, der sich was Geniales überlegt hat um seine Umgebung, sein Land, letztlich aber auch "die Welt" weiterzubringen - und trotzdem ist der Unterton eine abschätziger. Das hat nichts mit Yunus oder den Menschen, die über ihn reden zu tun - das ist ein Automatismus.

Die naive Verblendung, die (im Westen) noch vor 50, vielleicht sogar 30 Jahren die meisten Beziehungen von Star/öffentlicher Person/Held und Bewunderer, definiert hat, ist abgelöst durch eine Kultur des Mäkelns.
Ja sogar in Weltgegenden, die die Globalisierung erst jüngst ans 21. Jahrhundert angedockt hat, wo diese komplett unkritische Verehrung von Führer/Gott/Held die Basis einer Religions/Staats-Philosphie darstellt, gewinnt die Vorwurfs-Kultur an Boden (und wird auch dort bald ausgleichen).

Selbst die Tokyo Hotels dieser Welt wirken wie weggeblasen. Stars wie Paris, Britney oder Lindsay werden nicht bedingungslos geliebt, sondern via Vorwurf geschätzt; Schauspieler und andere an sich leere Projektionsflächen bekommen ihre Props zu einem Gutteil über Verachtung.

Paris vs Barack

Das alles hat auch eine zutiefst reinigende Wirkung. Indem wir Bono Heuchelei vorwerfen, befreien wir uns von vergleichbaren Problemen, indem wir über Amy Winehouse' Sucht palavern, kaschieren wir die eigene. Und indem wir Opfern Täterschaft unterstellen, sprechen wir uns von den gesellschaftlichen Problemen, die dahin geführt haben, frei.

Der einzige, der sich diesem Phänomen bislang global entziehen konnte, ist Barack Obama, die Ausnahme dieser Regel - einfach weil hier ein Zuviel an Hoffnung abgeladen wurde. Ihn wird der Backlash des Vorwurfs, der Verachtung aufgrund der Tatsache, dass er eine öffentliche Person ist, aber auch noch einholen. Und zwar (wie in fast allen anderen Fällen auch) völlig egal, ob zurecht oder unschuldig.
Darauf hat die Triebfeder des ganzen, das Ressentiment, noch nie Rücksicht genommen.