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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

26. 2. 2009 - 19:14

Journal '09: 26.2.

Die Kulturtechnik und die Literatur, am Beispiel von Daniel Kehlmann und anderen.

Unlängst hab ich hier beschrieben, wie mich einst ein Buch eine gute halbe Stunde auf die Lese-Couch einer großen Buchhandel-Kette gezogen hat. Das kommt nicht oft vor - weil ich meistens weiß, was ich mitnehmen will (klassisch fades Männer-Kaufverhalten - was bestimmtes wollen, reingehen, suchen, finden, kaufen, rausgehn). Die einzige andere halbwegs aktuelle Erinnerung an ein Niedersetzen und Durchblättern/Anlesen betrifft das Neue von Daniel Kehlmann.

Und zwar weil ich mir nicht sicher war, ob Ruhm jetzt sein muß, für mich.
Ich hab' Kehlmanns Vermessung der Welt nicht gelesen - im Gegensatz zum Rest der deutschsprachigen Welt, auch weil ich Romane in historischem Setting weggeblendet habe. Denn: alles geht sowieso nicht und da die Jetzt-Zeit die doch deutlich interessanteste ist, konzentrier ich mich eher darauf.

Ruhm hat allen gefallen, ist allerorten toll angekommen, braucht also nicht auch noch mich zur Bespiegelung. Aber: Ruhm ist ganz schön Jetzt. Und deswegen vielleicht interessant. Ich hab dann nur ein paar Minuten Querlesen gebraucht um mich für ein "du kommst mit" zu entscheiden.

Daniel Kehlmann - Ruhm

rowohlt

Das Spiel mit der Kulturtechnik

Ruhm spielt mit und rund um alte/n und aktuelle/n Kulturtechniken, die für einen Großteil der Menschen und den womöglich noch viel größeren teil der klassischen Buchkäufer neu, womöglich sogar ein wenig furcht-einflößend sind.
Das beginnt schon beim Klappentext-Schreiber, der etwa Kehlmanns Figur "mollwitt", den Power-User, für einen Internet-Blogger hält. Ihm oder dem von seinem Handy verwirrten Elbling stellt Kehlmann dann literarisch-klassische Figuren wie den Autor und die von ihm erfundene Figur oder einen Akteur, der langsam aus der Wahrnehmung der restlichen Welt gleitet, entgegen. Und schon hat Ruhm eine Mixtur beisammen, die die ausklingenden Nuller-Jahre sehr feinfühlig auf den Punkt bringt.

Ganz ohne sich brachial auf etwas Offensichtliches draufzusetzen.
Wie es der unlängst erwähnte Daniel Glattauer tut. Dessen aktuelles Buch (Alle sieben Wellen) ist (ebenso wie sein Vorgänger, der erste Teil derselben Geschichte) ein Briefroman auf "neu". Also "auf mail".
Den Power-Lesern Österreichs ist das Mail an und in sich noch ebenso neu/fremd (und auch durchaus noch furchteinflößend) wie die vorher erwähnten anderen Entwicklungen (etwa die in den Figuren des Heavy Posters oder des Handy-Süchtlers) und deren Kulturtechniken.
(Und die aktuelle Beschäftigung mit selbigen bringt mich jetzt drauf - das nur zur Erklärung, warum hier heute das Thema ist).

Das Austellung der Kulturtechnik

Wo Kehlmann diese sublimen, von der Technik besorgten, Veränderungen des Alltags dezent in eine Geschichte einbaut, die (in ihrer Gesamtphilosophie gesehen) etwas ganz anderes behandelt (nämlich die Frage nach der Fiktionalität der Realität), stellt Glattauer die Kulturtechnik selber so in den Vordergrund, dass sie die Geschichte dahinter erschlägt.

Mittlerweile stellen virtuelle Beziehungen keine Novelty mehr da (tat es auch anläßlich der Veröffentlichung des 1. Teils "Gut gegen Nordwind" nicht, aber das sehen wir - ob des klassisch österreichischen Delay-Effekts einmal nach) - insofern ist die stark formalistische und fast ausschließlich die Besonderheiten dieser "neuen" Kulturtechnik vorstellende Annäherung an ein altes Subjekt ein Weckruf für sehr Schwerhörige. Also jene, die sich erst via seiner übergenauen Darstellung des (mittlerweile völlig unspektakulären) Akts des Mailens überhaupt trauen sich daran anzunähern.

Super und superer

Das ist wichtige Aufklärungs-Arbeit. Glattauer bringt digitale Analphabeten dazu sich mit einer Form, einer Technik, die sie die nächsten Jahre brauchen werden, um nicht zur Großeltern-Generation der Ausgeschlossenen zu gehören, zu beschäftigen.
Das ist durchaus super, aufklärerisch und kundennah.

Kehlmann ist es egal, ob die digitalen Nullerln, die er mit seinen Büchern sicher auch zu tausenden erreicht, seine raffinierte und selbstverständliche Verwendung (das 7. Kapitel ist sprachlich auf dem Punkt - so kommuniziert der mollwitt-Typus wohl auch in echt, also in virtuell, aber in echt...) verstehen oder nicht. Er bietet die Möglichkeit an, ganz ohne sehr offensichtlich ins Bild gerückte Hinweise.
Das ist noch superer.
Das ist dann Literatur.