Erstellt am: 28. 2. 2009 - 12:26 Uhr
Am Beispiel Salzburgwahl
Wahrscheinlich ist es auf ein verbreitetes Denkschema zurückzuführen, dass hierzulande auf "Genug gestritten" sinnentleerte Selbstaufgabe folgt. In Salzburg erleben wir das gerade hautnah. Aufs sprichwörtliche Streiten wird ebenso verzichtet wie auf öffentlich ausgetragenen Diskurs, und nicht einmal einzelne Sachthemen finden den Weg aus der Kuschelecke.
Am Friedhof der Kuscheltiere
Dieses Wochenende habe ich die JugendkandidatInnen für die Landtagswahl am Sonntag getroffen. Der erste Eindruck hat mich an die TV-Diskussion erinnert, wo sich im Salzburg heute Studio die fünf AnwärterInnen auf den Landeshauptsessel einander in punkto lahmer Anbiederung nichts geschenkt haben. Der FPÖ-Jungspund Bastian Grösslhuber zum Beispiel betont seine inhaltliche Übereinstimmung mit den Punkten des Grünen Kandidaten Jochen Nestler: In den Schulen wird bei den Podiumsdiskussionen sachlich und fair quer über alle Parteigrenzen diskutiert.
Hat der Kuschelkurs jetzt auch die sonst so berufsfrechen Jugendorganisationen erreicht? Nicht ganz. Hier finden Inhalte statt. Wie lassen sich leistbare Startwohnungen in der Stadt finanzieren? Welche Anreize kann es für Jungunternehmer geben? Ist Sicherheit ein Pfui-Thema?
In der Vergangenheit sind Parteijugenden vor allem durch mit der jeweiligen Parteispitze akkordiertes negative campaigning aufgefallen. Da verteilte die ÖVP-Jugend altbackene Benimmregeln zum Unterwandern von Internetdiskussionen in vermeintlich meinungsbildenden Medien - da ist der SPÖ keine Assoziation mit vergangenen Politmonstern zu hirnlos, um die Schwarzen anzupatzen. Die Jugendorganisationen waren platt ideologisiert und oft sogar ohne ihr Wissen instrumentalisiert.
Im aktuellen Landtagswahlkampf scheint das anders. JVP und Junge Rote führen ihre Wahlwerbung weitestgehend emanzipiert von den Mutterparteien durch. Walli Ebner, das Gesicht der Jungen Volkspartei in Salzburg, ist mit einem VW-Bus im Land unterwegs. Auf den Flyern, die sie landauf landab verteilt, kommen Wilfried Haslauer und die große ÖVP nur als Fußnote vor. Die Jungen Roten um Nicole Solarz vermeiden in ihren Aussendungen tunlichst den Ausdruck "SPÖ". Fast kryptisch werden die AdressatInnen von Facebookmessages oder SMS dazu angehalten, "rot" zu wählen.
Flickr/Erdnuckel_86
Die Folgen der Wahlaltersenkung
Die Jugendkandidatinnen der Bürgermeisterpartei ÖVP und der Landeshauptfraupartei SPÖ haben freie Hand. Einerseits weil die Parteispitzen ohnehin mit ihrem eigenen Kram mehr als genug zu tun haben, andererseits, weil sie ihre Arbeit auch gar nicht erledigen könnten. Während anderswo wild flatternd Handlungsunfähigkeit bewiesen wird, sieht man in Salzburg erste Nebeneffekte der Wahlaltersenkung. Die Parteien können es sich nicht mehr leisten, ihre Jugendorganisationen als Sammelbecken für altkluge Nachwuchs- und Hobbyideologen versumpfen zu lassen. Die Jungen sind jetzt nicht mehr nur der Partei, dem Trachtenball oder dem Marxismuslesezirkel verpflichtet, sondern müssen Wahlen bestreiten. Elitäre Veranstaltungen, wo einander die Gleichgesinnten auf die Schultern klopfen (die Jusos gibts neben den Jungen Roten eh noch weiterhin, keine Angst), sind nicht mehr Haupt- sondern Nebenschauplatz eines neuen Films namens Jugendpolitik.
Politik findet jetzt eben in der Schule statt. Beim täglichen Facebooksurfen, in der Blasmusik, im Pausenhof oder bei den Diskussionen, die die Salzburger Nachrichten flächendeckend an Berufs- und Höheren Schulen durchführen.
Ob die einzelnen Versuche zum tatsächlichen Kontakt mit dem unbekannten Objekt Jungwähler sehr erfolgreich sind, wird sich wohl erst nach einer learning by doing Phase herausstellen. Die gestelzten Versuche der hoch politischen Endzwanzigjährigen in Salzburg sind jedenfalls noch ausbaufähig. So bemüht sich die JVP mit der Kampagne "Das erste Mal ins Schwarze treffen" recht schlüpfrig um pubertäre Aufmerksamkeit. Auch die Jungen Roten setzen auf Spaß und verkaufen das Anliegen Sicherheit als Cowgirl und Cowboy verkleidet. Als Draufgabe gibts einen politischen Rap auf der Website.
Junge Rote, JVP Sbg, Die Grünen Sbg, RFJ Sbg
Die Schulsprecherisierung
Klares Ziel der Aktionen ist, möglichst nah an der jungen Wählerin und am jungen Wähler dran zu sein. Um bei Problemen helfen zu können, um zu wissen, was Thema ist, wie es Walli Ebner und Niki Solarz fast wortgleich ausdrücken. Genau da könnte aber der Fehler der Schulsprecherisierung des Landtagswahlkampfs liegen. Die Feuerwehr ruft man nur, wenns brennt. Sich fürsorglich und umsichtig um einzelne Anliegen zu kümmern, mag die kurzfristige Beliebtheit in die Höhe treiben. Langfristige Konzepte, Ideen und Visionen oder Ideologien (ganz schön verwegen!) lassen sich dadurch nicht ersetzen.
An diesem Punkt treten die Jungkandidaten von FPÖ und Grünen auf den Plan. Bastian Grösslhuber wird nicht müde, sein Mantra Sicherheit-Ausländer-Deutschkurse zu wiederholen. Und Jochen Nestler hat im Thema "regionales, ökologisch nachhaltiges Wirtschaften" sein Steckenpferd gefunden. Viel mehr beherrschen beide wohl nicht, aber allein mit diesen beiden Themen gelingt es ihnen, die zwei anderen vor sich herzutreiben. Bringt der RFJ-Obmann mit seinem fast militärisch anständig frisiertem Scheitel seine Ansicht zu Migrantinnen in die Berufsschuldiskussion ein, hat er es besetzt. Auch wenn die Schülerinnen und Schüler im Berzirk Tamsweg den Ausländer nur vom Hörensagen kennen, ist er damit Thema geworden.
Und wenn Jochen Nestler, der Junggrüne mit den langen Rastazöpfen, weit ausholt, Kommunikationstraining Kommunikationstraining sein lässt, um über erneuerbare Energien und die Zusammenhänge von globaler und regionaler Ökonomie zu philosophieren, dann weckt das Neugier und Interesse an etwas komplett Anderem. Wer agiert und wer reagiert lässt sich nicht ausschließlich auf die Rolle einer Jungpartei in Opposition oder in Regierung reduzieren. Irgendwie sind alle fünf in Opposition. JVP und Junge Rote fühlen sich wohl selbst ein wenig als eigene Partei. Dabei sollten sowohl Niki Solarz als auch Walli Ebner, geht man von ihrem Listenplatz aus, den Einzug in den Landtag schaffen.
Role Model Bürgermeister
Dort werden siedann einer ganz verwandten Spezies gegenüber sitzen: dem Typ Bürgermeister. Denn in ihrer Auslegung der Jungpolitikerinnenrolle stehen sie dem Idealbild eines Gemeindeoberhaupts um nichts nach. Und auch wenn uns die österreichische Realität Anderes lehrt, ist die Konstruktion des Bürgermeisters eine hervorragende. In einer kleinen bis mittelgroßen Gemeinde überschaut er das Geschehen, hat ein offenes Ohr für die Probleme seiner Bürger, kennt Hinz und Kunz persönlich, weiß über ihre Freundschaften und Animositäten und hat ein Gespür dafür, was sich wie machen lässt.
Dass die Impersonisierung des Ortskaisers ganz anders aussehen können, weiß gerade Salzburg ganz gut. Doch da gibt es in ganz Österreich genügend Puchs, genügend Kloses, die auch nicht alle ein schwarzes Parteibuch haben, die vielleicht nicht einmal selbst einen Elektroinstallationsbetrieb haben. In überschaubaren Kreisen gewinnt oft nicht die beste Idee, sondern der mit den meisten Freunden. Eine neue Kegelbahn hier, ein Sportplatzausbau da, ein neues Feuerwehrauto dort. Und schon gibts viele Freunde und Freundesfreunde, die am Stammtisch keine schlechte Nachrede dulden.
Der Jugendstammtisch mag vielleicht StudiVZ heißen, aber für verkrustete Machtstrukturen nach dem Muster eines Ortskaisers fehlt die gemeinsame Lebenswelt der Jugendlichen. Und: in der Jugendpolitik gilt ein natürliches Ablaufdatum. Wenn zur hemdsärmeligen Schulsprecherattitüde auch noch eine Strategie gedacht wird, die über aktuelle Befindlichkeiten zwischen Kuschelecke und Sommer des Zorns hinausgeht (was Bürgermeister im Normalfall nicht schaffen), könnte Jugendpolitik in Salzburg tatsächlich funktionieren.
Flickr / Pascal \o/
Wahl am 1. März
Die vier KandidatInnen in Salzburg machen ihre Sache gut. Mag schon sein, dass das seichte Wasser der Salzburger Provinzpolitik unappetitliche Untiefen von vornherein ausschließt. (Die FPÖ war schon einmal angriffiger als mit den aktuellen "Mut zur Heimat"-Plakaten.) Mag auch sein, dass in einer Fast-jeder-kennt-fast-jeden-Atmosphäre aktionistische Querdenkereien aus vorauseilendem Gehorsam fehlen. Niki, Walli, Bastian und Jochen zeigen jedenfalls, was sich aus Wählen mit 16 selbst unter ungünstigen Bedingungen machen lässt- wenn also selbst staats- und bildungspolitische Pflichtaufgaben wie das Fach "Politische Bildung" einfach nicht erfüllt werden. Lebendige Demokratie, interessante Themen und gegenseitiger Respekt sind in den meisten Diskussionen möglich. Und weil das nicht selbstverständlich ist für Österreich, würde es mich nicht wundern, würden wir dem einen oder der anderen noch einmal auf einem größeren politischen Parkett begegnen.