Erstellt am: 24. 2. 2009 - 15:13 Uhr
Journal '09: 24.2.
Gestern, etwa 20 Uhr 30. Werbepause bei den Simpsons, zappeliges Drüberschweifen, kurzes Hängenbleiben bei der Millionenshow, Erstaunen, Erstarren, leises Entsetzen.

blumenau
Die gerade gestellte Frage war:
Einen öffentlich ausgetragenen Meinungsstreit bezeichnet man als ...
a) Demagogie, b) Lamentation, c) Polemik, d) Empathie.
Abgesehen davon, dass es den Begriff der Lamentation (gemeint: Wehklage) im Deutschen nicht so recht gibt, fehlt die richtige Anwort (Kontroverse) gleich einmal völlig.
Nicht, dass es das offizielle Österreich (oder gar der, die allermeisten Dinge das erstemal streifende arme Assinger) ist, das die Begrifflichkeiten bei der Millionenshow vorgibt - es handelt sich dabei aber um einen in sich sehr genau überprüften Stand des kollektiven Wissens, oder besser: dem Gefühl des Wissens, noch besser: seiner Zuschreibung.
Und dann sind neben der Wehklage und der Einfühlsamkeit nur noch zwei potentielle Antworten übrig: die Demagogie (also die propagandistische Verhetzung) und die Polemik (die unsachliche Auseinandersetzung, ursprünglich Fehde).

blumenau
Nun ist von all diesen vier (falschen) Begriffen der der Polemik noch der am ehesten zutreffende. Richtig wäre die Antwort bei der Fragestellung "Einen unsachlich und scharf ausgetragenen Meinungsstreit ...".
Weil diese inhaltlichen Begriffe wegfallen, wenn es um den Vorgang an sich geht (und das tut es hier ja) ist die Antwort falsch.
Das Zauberwort, das die Millionenshow-Fragesteller so verwirrt hat, ist der (in Fragen der Definition völlig überflüssige) Begriff der "Öffentlichkeit".
Sich herumstreiten, stammtischlabern und Angeber-Sprüche im Mund führen ist im privaten Kreis kein größeres Problem, sondern Alltag, als Skandal-Kommunikation getarnte Werte-Debatte akzeptiert.
Sobald das aber jemand - gottbewahr'! - öffentlich durchführt, kann er nur ein Teufel oder eine Führernatur sein.
Erst die Öffentlichkeit macht aus dem, was jeder Österreicher für sich, im kleinen Kreis, in der Community, selber gern und oft tut, zur "argen" Sache, zur Unerhörtheit, die sich gegen die Konventionen richtet, und somit "uns alle" angreift.

blumenau
Und weil diese Kleingärtner-Haltung (die auch bei Großgrundbesitzern weit verbreitet ist ...) sich so tief ins österreichische Bewusstsein eingefräst hat, findet dann niemand etwas dabei, wenn der Begriff des "Meinungsstreits" nicht als neutral-sachliche "Kontroverse", sondern als bewusst in ein emotionales, negativ punziertes Eck gedrängte "Polemik" übersetzt wird, falsch übersetzt wird. Wichtiger als das, was richtig ist, ist das, was für eine tendenziell sprachlose Mehrheit der Hausmeister rechtens erscheint.
Weil das schlimme Wort der "Öffentlichkeit", in der man sich hierzulande gefälligst nicht mit Meinung zu beteiligen hat, dabei ist.
Und weil "Streit" sowieso ein öffentliches Unding ist, eine Unerhörtheit, die selbstverständlich negativ besetzt sein muss, im konsenssüchtigem Land der Oberflächenhöflichkeit und des Kuschens.
Diese Haltung passiert also alle Instanzen: Fragen-Finder, Redakteur, Live-Regie, den armen Assinger und Kandidaten - niemand beeinsprucht diesen aufgelegten blanken Unsinn.

blumenau
Wie auch?
Alle sind bereits entsprechend sozialisiert, und von einer weltweit akzpetierten Diskurs-Kultur bereits dermaßen abgekoppelt, dass der nächste Schritt in die komplette Verweigerung von Debatte nur ein ganz kleiner (und auch deutlich vorprogrammierter) ist.
Ein anschaulicheres Beispiel für die Inexistenz einer Kultur der Kontroverse kann es nicht geben - auch und gerade weil sie im kuscheligen Glück der Millionenshow stattfindet, also einem Konsens-Programm, das man nicht in Frage zu stellen hat, wenn man nicht jemand sein will, der sich (und das womöglich gar öffentlich! huch!) gegen eine kollektive Bewertung stellt, da womöglich eine kontroverse Haltung dazu hat, also ein Polemiker, vielleicht noch schlimmer, ein Demagoge ist! Ein Gegen-den-Strom-Schwimmer, ein Genau-Nehmer, ein Schwieriger, der sich internationale Standards wünscht, anstatt in der von den wichtigen gesellschaftlichen Kräften gepflogenen Nabelschau zu versumpern.

blumenau
Die Kraft der Zuschreibung (diese nach außen getragene Innensicht) overrult alles, auch die tatsächlichen Begrifflichkeiten.
Die Macht der Zuschreibung und ihres TV-Event-gerecht dauergrinsenden Cousins, der Bedeutungs-Umkehr, ist bereits wesentlich größer als die der Sachebene.
Die Wucht der Zuschreibung, mittels der man sich die gesamte Welt immer so herrichten kann, dass einfache Lösungen in ein simples Glück führen, hat Österreich bereits überwuchert wie die Körperfresser.
Gestern in der 3sat-Kulturzeit hat der Politikwissenschaftler Uwe Backes auf die Tatsache, dass die aktuelle Krise (die in einem Summer of Rage münden wird) neue faschistische Systeme (nicht nur in Osteuropa) befördern könnte, angesprochen gemeint, dass da vor allem Gesellschaften, die traditionell obrigkeitshörig sozialisiert wären, sich über die Abwertung anderer/Minderheiten definieren und zur massiven Nabelschau neigen, also parochial strukturiert (dh: Desinteresse an Überlokalem) sind, gefährdet wären.

blumenau
Weil dort der alte (und ebenso falsche) Glaube an die Überlegenheiten von Führernaturen in Krisenzeiten, eine Art populistische Variante des alten italienischen Faschismus, leicht einpflanzbar ist.
Wer könnte damit wohl gemeint sein?