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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

21. 2. 2009 - 22:24

Journal '09: 21.2.

Provinz Europa.

Man ist, nein, ich, ich geb's zu, ich bin ja schnell versucht die Bemühungen, mit denen Kontinental-Europa trachtet seine schwache Tradition der Popular-Musik mit Angeberei zu übertünchen, als peinlich und provinziell abzutun.
Dass dabei der Zugang des größten europäischen Pop-Markts durch die verbissene Ernsthaftigkeit der deutschen Mainstream-Kultur-Anbieter noch krampfiger wirkt, macht die entsprechenden Veranstaltungen dann noch elender.

Der Musikpreis Echo etwa war in den vergangenen Jahren ein zuverlässiger Hort der biedersamen Verspießerung einer Branche, die zunehmend verzweifelter versucht ein potemkinsches Dorf aufzubauen, wo man sich systematisch dem Untergang entgegensteuert.

Das war die Ausgangs-Position.
Dann aber ließ das Zentrum aus: der diesjährige Grammy bestach durch eine ungewohnte, insgesamt miserable Performance, durch langweilige Präsentation, schlechte Dramaturgie und gar miesen Sound. Und machte dadurch die musikalische Dürftigkeit der führenden Popmusik-Nation umso deutlicher: Außer gräßlichem Mainstream-R&B und einer mittigen Abart von Country, die genauso klingt, außer einem lächerlich drapiertem Rap-Restl (mit HipHop hat das nämlich nix mehr zu tun) der an der Leine mitgeführt wird, regiert ein Rock-Bild der 80er.
Einzig die anwesenden Briten machten ein wenig Hoffnung.

USA -> UK -> Deutschland

Dann, diese Woche, die nächste Enttäuschung: die Brit-Awards, auch schlapp und unwitzig, mit zunehmend auch immer schwächer werdenden Gewinnern, die sich zunehmend an den Ami-Kategorien orientieren. Und auch wenn die UK-Artists immer noch angenehm ungesund (und nicht aufgepumpt, ausgepimpt oder auf Droge wie viele der US-Kollegen) aussehen (bleich, wie ausgekotzt) oder angenehm an Vicky vom Fish&Chips-Stand erinnern - inhaltlich war das zu schwach. Preise für Weller oder Maiden, das ist lieb, aber ein ähnlich katastrophales Signal wie die bei den Grammys für Plant.

Natürlich sind das alles Nachwehen der Dauer-Krise der Musikindustrie, der Dezentralisierung, dem Ende von inoffiziellen Nachwuchs-Zentren, deren Biotope aus rein ökonomischen Gründen nicht mehr funktionieren können. Klar. Aber Ausrede für die lustlose Performance aller Beteiligten ist das nicht.

Und dann: der Echo. Und die Vorzeichen lassen Schlimmes befürchten. Auch weil man sich nicht entblödet den Anfang der Grammy-Show zu kopieren: Da wie dort spielen U2 ihr neues Stück.

Der Echo

Aber just dort, wo man eigentlich nur abstinken kann, machen die Deutschen den ersten Punkt: Ihr U2-Auftritt ist nicht nur besser abgefilmt, klingt auch um Eckhäuser besser und ist zudem clever in die Hallen-Struktur eingebunden. Denn das muss man dem Ausrichter (und der ARD) lassen: Die Show macht zumindest einen urbanen, modernen Eindruck und lässt den Mehrzweckhallen-Charme der Vorgängerjahre (und auch der heutigen Grammys) hinter sich.

Die Oberfläche - an sich das Wichtigste im Pop-Bereich -passt also. Dass darunter genauso wenig stimmt wie bei den anderen Preis-Shows, versteht sich.
Manches ist sogar noch schlimmer.
Der Auftritt eines prominenten Landespolitikers etwa. Nicht Wowereit, den nimmt man schon nicht mehr als Politiker, sondern als Profi-Party-Gast, als gern gesehenen Schnorrer auf Veranstaltungen, wo er versucht seiner Stadt Glanz und Geld zu verschaffen, wahr. Nein, es handelt sich um Christian Wulff, MP von Niedersachsen. Das wäre so wie wenn Erwin Pröll oder Gaby Burgstaller beim Amadeus, Alex Salmond bei den Brit-Awards und Sarah Palin und Rod Blagojevich bei den Grammys einen Auftritt kriegen würden. Unmöglich und höchst seltsam.

Allerdings ist eine Branche, die ihren Blick ins Ausland auf einen Pseudo-Pop-Geiger, einen Surfer, einen Opernamateur, den alte Lenny und den halbtoten Kid Rock beschränkt, wahrscheinlich auch nicht zu mehr fähig.

Zudem nähert man sich den deutlich sichtbaren Ami-Kriterien der kompletten Vermittung von früher eigenständig entwickelten Stilen an: scheinbare Klassik, Pseudo-Choräle, angeblicher Jazz, vorgeblicher Soul, Schlager-Rap, die unvermeidliche volkstümliche Musik und Casting-Pop. Die Industrie versucht also alles, was im alten Werte-Kanon einmal wichtig war, per Aufguss in die totale Mitte zu ziehen, wo die Mainstream-Event-Kultur dann so tut, als hätten diese Xerox-Kopien noch einen Deut der Relevanz ihrer Ausgangs-Punkte. Klar, bei den Doofen klappt das (wie immer und alles bei den Doofen klappt) - aber mehr als eine hübsche Befriedung in der Gegenwart ist das nicht.

Die Hoffnungslosigkeit

mit der sich die Pop-Industrie aus dem Mainstream-Event-Kultur-Komplex dem nicht mehr kontrollierbaren Umsatz-Bereich "Musik" annähert, umfasst eben nur noch die absolute Gegenwart. Mittel- und langfristige Pop-Strategien, die das Wesen von Pop ausmachen (vor allem, wenn sie es schaffen zwischen Massen-Appeal und kulturellem Impact osziliieren) kann es deshalb gar nicht geben. Da sind die Engländer und auch die Amis natürlich noch Eckhäuser weiter vorne. Da schafft es der Echo nur noch zu deutscher Musik, die sich in der öden Kunst der Musealisierung versucht.

Die grausig-provinziellen Bezüge auf wenig relevantes TV-Massengut, der auch hier grassierende Pocherismus und ein Laudatoren-Niveau nahe am Level der letztjährigen Amadeus-Gala - das ist alles sekundär schandbar, wenn eine Branche ihre mittlerweile komplette Unwichtigkeit durch die ausschließliche Ausstellung von komplett uninteressanter Musik feiert.
Okay, Depeche Mode kommen noch. Und Katy Perry zeigt den Gastgebern allein mit einer akustischen, wie lässig es sein könnte, wenn man Substanz hätte.
Ja, und Peter Fox kriegt den Kritiker-Preis, nachdem er den inoffiziellen Zuschauerpreis eines kürzlich erfolgten Contests gewonnen hat - was für ein Risiko, liebe deutsche Musik-Kritik, wow... Das fügt sich nahtlos in die Leere, die durch die toll anzusehende Arena fegt, ein.

PS: Ich bin schon auf den heurigen Amadeus (diesmal im Herbst) gespannt.