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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

20. 2. 2009 - 20:43

Journal '09: 20.2.

Angst vor Samstag - Angst vor "wos".

Daniel Glattauer habe sich, so hieß es in der Ankündigung des Blatts, ein Jahr Auszeit genommen - sein zweites Erfolgs-Buch ist Anfang des Jahres erschienen und der Autor/Kolumnist wollte sich da für Promo/Lesetouren etc. freispielen. Also musste die lachsrosa Zeitung ihn, den regelmäßigen Einserkastl-Autor ersetzen.

Denn Glattauer (alias "dag") war es, der abwechselnd mit Hans Rauscher dort die glossenartige Kolumne auf Seite 1 (anderswo nennt man das ein Ohrwaschl) schrieb.

Die Nachfolge wurde aufgeteilt: Rauscher macht unter der Woche mehr, am Montag schreibt die Wirtschaftschefin und andere und am Samstag, dem wichtigsten Aushänge-Tag der Zeitung schreibt ein anonym bleiben wollender Autor namens "wos".

Das Samstags-Einserkastl

Die heutige "wos"-Kolumne auf der 1er-Seite des Standard

DerStandard

Dass ein Kolumnist anonym ist, kommt sonst nicht so recht vor (zumal im geltungsdrängelnden Österreich) - war ein wenig seltsam. Ich habe nach der Ankündigung erwartet, dass die Anonymität einen echten Insider (Politiker?), der wilde Szenen aus dem Herzen der Republik schildert, schützen soll.

Bloß: die erste "wos"-Kolumne war so unpolitisch und familiär, dass ich umgeschwenkt bin: "wos", so dachte ich aufgrund der ein wenig lieblichen Haltung dieses eigentlich medienpolitisch brisanten Instruments der vielgelesenen Glosse, ist wahrscheinlich tatsächlich ein Insider, aber vielleicht ein ehemaliger, der sich noch nicht so recht traut und erst warmlaufen muss.
Vielleicht ein Ex-Politiker/Banker (Taus, Androsch?), in jedem Fall jemand, der aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen davon ausgeht, dass es sich auch als anonymer Autor lohnt in "Meine Frau sagt..." oder "Ich bin ja gewohnt, dass..."-Kategorien zu publizieren. Das sprach für ehemalige Macht, die sich später in Gönnerhaftigkeiten ergießt. Ich konnte falscher nicht liegen.

Ich hatte "wos", dessen wiederkehrende Samstags-Kolumnen sich nicht aus der ein wenig bieder anmutenden Privatheit lösen wollten, im Laufe der Wochen schon wieder fast vergessen, als mir der schandmaulige Branchen-Klatsch seine wahre Identität zutrug.
Meine Reaktion war ganz banal: Nein! Das gibt's doch nicht!
Und es bedurfte sofort einer völlig neuen Bewertung - die Beschäftigung mit "wos" war plötzlich wieder ganz unglaublich interessant.

Das Formel1-Bubenbuch

Meine unmittelbarste Assoziation war eine Erinnerung an eine halbe Stunde im Thalia-Geschäft, als ich, nach dem Stöbern im Zeitungsbereich an einem anderen vorbeikam und an einem Buch hängenblieb, das mit der Formel 1 zu tun hatte, einem Sport, der mich seit mehr als 30 Jahren genau Null interessiert, für den ich aber als Bub (Jochen Rindt, Jackie Stewart, Jacky Ickx, der junge Lauda...) aus anderen, eher lebensstiltechnischen Gründen geschwärmt hatte.

Irgendwie hab ich aufgrund des Klappentextes instinktiv eine diesbezügliche Seelenverwandtschaft vermutet. Und tatsächlich schaffte der Autor es seinen (und damit auch meinen) kleinen Bubentraum von den F1-Helden zu transponieren, in ironischer Weiterführung.
Ich hab mich dann hingesetzt und das Buch fast komplett durchgelesen (was ich sonst so gut wie nie tue). Anhand dieses so schön plastischen Beispiels hat sich mir in dieser halben Stunde (wieder einmal) die Schönheit des Unterschiedes zwischen Journalismus und Fiction offenbart. Weil nämlich der Autor aus sich und seinem kindlichen Zugang schöpft, und den tatsächlich in Literatur übersetzt.

Ich habe ein paar Tage später an selber Stelle die berühmten und großartigen Detektiv-Romane des Autors gekauft, als Weihnachtsgeschenk für meine Eltern - nicht aus schlechtem Gewissen wegen des Lese-Diebstahls, sondern wegen des erlebten guten Gefühls der Richtigkeit seines Ansatzes. Eine gelungene Wahl - vor allem für meinen schwarzhumorig sehr begabten Papa.

Man kann also sagen, dass ich "wos" in dieser seiner anderen Rolle mehr als schätze.
Dazu kommt das, was eine gute Bekannte von mir, die ihn auch gut kennt, immer sagt. Ihr würdet euch gut verstehen. Das sagt sie, und meint damit eher Kategorien wie "worüber lacht oder sudert man so", ironische Einschätzungen und private Zugänge, z.B. eh auch zu Sport. Aha, sag ich dann und denk mir, dass ich mir das eh gut vorstellen kann.

Der begossene Pudel

Und all das, dieses Wissen und diese Gefühle sind wie ein Kübel Wasser auf mich runtergeprasselt, als ich erfahren habe, dass "wos" "wos" ist.

Ich hab daraufhin ein paar der älteren Samstags-Kolumnen rausgesucht und keinen Hinweis auf etwas, was ich mit den bisherigen Assoziationen verknüpfen könnte, gefunden. Höhepunkt war dann der letzte Samstag.
"wos" nahm den Valentinstag her und beendete ein nettigliche "Ich muß meiner Frau Blumen schenken" mit einem mich in seiner Stimmungslage irgendwie an Kronen-.Zeitungs-Bilderrätsel erinnernden Gag der Verwechslung von Tulpen und Rosen.

Ich wurde bleich, und habe dieses Einserkastl sicher fünfmal gelesen, weil ich es nicht glauben wollte.

Wie man an der aktuellen Länge dieses Textes merkt: ich kann das alles noch viel weniger, in ein paar Dutzend Zeilen auf den Punkt kommen, ein halbwegs aktuelles Thema auf den Punkt bringen, vielleicht auch noch mit einem Gag. Deswegen trau ich mich auch sicher nicht über sowas drüber.

Von "wos" weiß man, dass er eine erfolgreiche Vergangenheit in der kurzen und knappen Form hat - deswegen stehen ihm da auch alle Versuche zu.
Und es wird sicher Gründe haben, warum jemand, der eine schreiberische Trademark hat, sie nicht in dieser speziellen Glossenform rauslassen möchte - oder eben was anderes probieren mag.
Wie das dann mit der Anonymität zusammengeht und wieviel Sinn diese Kombination macht - das ist die Frage, die sich mir stellt. Morgen wieder.

Angst vor Samstag

Morgen ist wieder ein Samstag, es kommt also wieder ein "wos"-Einserkastl auf mich zu. Und ich habe, seit ich mehr weiß, als mir zusteht, Angst davor.
Angst, dass es mich wieder ratlos zurücklässt und enttäuscht.
Manchmal sollte man bei schandmäuligem Szene-Tratsch rechtzeitig die Ohren verschließen - weil ich mich seither an die 5%-Hoffnung einer modernen 'urban legend' aufgesessen zu sein festklammern muss.