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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

19. 2. 2009 - 16:00

Ein bisschen schweben

Bereits im Kino: "Man On Wire", die wahnwitzige Geschichte des Hochseilartisten Philippe Petit.

Gegen Anfang sieht man in diesem Film unangenehm vertraute Bilder einer ganz bestimmten New Yorker Baustelle. Sind das Aufräumarbeiten am Ground Zero? Nein, stellt sich bald heraus, ganz im Gegenteil. Wir befinden uns in den späten sechziger Jahren, das World Trade Center wird gerade erst errichtet.

In Frankreich liest damals ein junger Bursche beim Zahnarzt von den Twin Towers und hat eine Vision: Eines Tages, wenn diese Türme fertig sind, will er sie bezwingen.

Philippe Petit verliert sein absurdes Ziel tatsächlich nie aus den Augen. Er stellt sich vor, ein Seil zwischen den beiden Türmen des World Trade Centers zu spannen und in 417 Metern Höhe darauf herumzubalancieren. Eine wahnwitzige Aktion, in jeder Hinsicht.

Die Jahre vergehen, in Manhattan wird eifrig gebaut, aus dem jungen Mann wird ein außergewöhnlicher Akrobat, der die Grenzen der Schwerkraft konsequent ignoriert. Philippe Petit spaziert auf einem Seil zwischen den Kirchtürmen der Nôtre Dame entlang, er balanciert auf einer Brücke in Sydney, wo er mit seiner Performance einen Stau auslöst. Gleichzeitig versammelt Petit eine Gang um sich, eine Clique von Künstlern, Spinnern, Kollaborateuren. Bald träumen sie gemeinsam vom World Trade Center.

"Man On Wire"

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9/11 wird niemals erwähnt in "Man On Wire", dieser Film handelt nicht von Destruktion und Hass. Monsieur Petit und seine Freunde arbeiten zwar mit einer durchaus kriminellen Energie an ihrem Vorhaben, sie hecken einen minutiösen Plan aus, der die Polizei und das Wachpersonal austrickst.

Aber am Ende des ganzen Coups steht kein gemeiner Anschlag, sondern ein Tribut an die euphorische, wundersame Seite des Menschseins.

Aus dem Traum wird am Morgen des 7. August 1974 Realität. Über den Dächern von New York, on top of the world, schreitet ein lächelnder Franzose über ein zuvor mühsam gespanntes Drahtseil. Philippe Petit schreibt Geschichte, bevor er von fassungslosen Polizisten abgeführt wird. Die Stadtverwaltung lässt gegen den Mann, der das World Trade Center auf friedliche Weise bezwungen hat, bald alle Anklagepunkte fallen.

Unparteiische, trockene und schlichte Dokumentationen sehen wohl anders aus. Regisseur James Marsh montiert aus unzähligen Originalaufnahmen, Interviews und neu gedrehten Szenen einen knalligen Thriller rund um Petit und seine Gang.

Letztlich ist "Man On Wire" aber vor allem ein Manifest an die Fantasie, den Mut und die Willenskraft. Zumindest für zwei Stunden wirkt die Energie des Philippe Petit so ansteckend, dass man auch als Kinobesucher über dem Boden schwebt. Ein bisschen zumindest.

"Man On Wire"

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