Erstellt am: 19. 2. 2009 - 17:17 Uhr
Kaufen Sie nicht die CD. Kaufen Sie die ganze Band!
Pop und Zukunft
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So lange es das Internet gibt, so lange gibt es vorauseilende Begeisterungsstürme über das demokratische Potenzial von praktisch allem, was dort stattfindet. Neuheiten im Netz werden in der Mainstreampresse gewohnheitsmäßig mit den Worten "Bald kann jeder ganz einfach ..." eingeführt. Und für die Geschäftsmodelle hoffnungsvoller Internet-Startups ist es essenziell, auf möglichst breite Beteiligungsstrukturen zu setzen.
So läuft das auch bei Musik im Netz. Neuester Schmäh hier ist die User-Beteiligung an einer CD-Produktion, zum Beispiel über Aktienmodelle, die von Netzlabels wie Sellaband, Bandstocks oder ForMyBand abgewickelt werden. Jetzt kann jeder ganz einfach eine Platte machen, ohne Label, ohne Kontakte, ohne das enervierende und manchmal demütigende Klinkenputzen in den A&R Abteilungen diverser Musikkonzerne respektive Indies.
Gered Mankowitz
Das Prinzip ist recht einfach: Als Band kann man sich registrieren lassen, ein paar Songs uploaden und ein Profil anlegen. Dann kann jeder, der möchte, Anteile an der(zukünftigen) CD-Produktion kaufen. Sobald eine Grenze erreicht ist (bei Sellaband zum Beispiel 50 000 oder 100 000 $), gehts ins Studio - Sellaband hat die Kontakte und empfiehlt Studio und Produzenten - klassische Labelarbeit also.
Von den Aufnahmen wird eine limited edition CD gepresst, die alle Investoren (Sellaband nennt sie kitschigerweise Believers) bekommen, außerdem werden sie in diversen Downloadshos angeboten. Die Einnahmen gehen zu je 50% an den Musiker/die Band und an die Investoren.
Und was haben die davon?
Sellaband behält von den 50 000 $ je 20% für das eigene Geldbörsel und für ein Promotionbudget ein (das wiederum der Künstler bekommt). Und mit den oben genannten Einnahmen, die zu je 50% an den Artist und den Investor gehen, sind Nettoeinnahmen gemeint, also abzüglich der Kosten - was bedeutet, dass für Investor und Musiker, je rund 20% des Verkaufspreises bleiben.
Die Rechte an den Aufnahmen gehören der Band, man muss sie allerdings dem Netzlabel für fünf Jahre zur Vermarktung zur Verfügung stellen. Und es zwackt sich vor der Produktion und beim CD-Verkauf etwas ab.
Insgesamt also nicht viel anders als ein klassisches Label. Der einzige Unterschied: die Netzlabels haben keine klassische A&R, also auch keine Labelpolitik oder -linie. Genommen wird, was Erfolg verspricht. Und für das Erfolgsversprechen gehen sie auf Nummer sicher: wer viele Believers hat, so die Rechnung, bekommt viele Käufer. Was sich anhört wie Demokratisierung ist in Wahrheit natürlich pure Marktgläubigkeit.
Kein Wunder, wenn man sich anschaut, wer hinter den Netzlabels steht: Sellaband wird unter anderem von zwei ehemaligen Sony-Menschen betrieben, und hinter Bandstocks steht das Management von Primal Scream und den Kaiser Chiefs. Allesamt Musikindustrie-geeichte Erfolgsmenschen also.
Und was haben wir davon?
Im Vergleich zum klassischen (Major)Label gibt es sicher ein paar Vorteile: die Bedingungen sind klar und für alle gleich, du musst keinen A&R-Heini von der Qualität deines Werks überzeugen, und glaubt man den FAQs, dann machen einem die Netzlabels auch wesentlich weniger Vorschriften, was Vermarktung, Produzentenauswahl etc. angeht. Klar, sie haben ja auch kein finanzielles Risiko.
Natürlich können Netzlabels und Investoren das nerdige Begeisterung meets Fachwissen eines Indielabels nur schwer ersetzen. Und vor allem eines geht verloren: die Marke eines (Indie)Labels, ist oft ein Qualitätssiegel; zumindest weiß man bei einer Band, die auf, sagen wir mal, K-records erscheint, wie der Hase läuft. Das öffnet Türen, oder zumindest Ohren.
Jenny Fey
Selbst ist der Künstler
Kein Wunder aber auch, dass Bands wie Radiohead oder auch Angelika Express, die bei ihren Fans bereits etabliert genug sind, das Ganze lieber selber in die Hand nehmen. Im Falle von Radiohead (oder auch Nine Inch Nails), indem sie die Studiokohle einfach selber vorschießen, und im Falle von Angelika Express, indem sie die Abwicklung mit der Aktie gleich selber in die Hand nehmen.
Das, so meint Angelika-Express-Mastermind Robert Drakogiannakis, erlaubt ihm, die Kontrolle über den künstlerischen Teil komplett zu behalten. Außerdem ist die Hörer-Band-Bindung auch eine ganz besondere.
Demokratie oder Marktwirtschaft?
Was die Musikanteile von echten Aktien unterscheidet ist, dass mit ihnen nicht gehandelt werden darf. Das verhindert Spekulation und macht das Musikbeteiligungsmodell tatsächlich vergleichsweise demokratisch. Aber natürlich hat der Aktionär auch keinen direkten Einfluss auf den Künstler und sein Werk, und natürlich ist Massentauglichkeit auch hier die beste Voraussetzung, um mit Musik Geld zu verdienen.
Wenn Musikindustrie und Internet zusammengehen, dann reduziert sich das Demokratieversprechen also schnell auf ein Geschäftsmodell für den Mainstream. Sobald zwischen der Band und ihren Fans jemand sitzt, der mit anderer Leute Musik Geld verdienen will, ist der Traum vom freien Musikerleben mit Vorsicht zu träumen.