Erstellt am: 19. 2. 2009 - 14:16 Uhr
Artefakte & Interfaces
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Popmusik befindet sich üblicherweise in einem Zeitparadoxon. Ihre Schöpfer/innen haben oft nicht weniger als die Ewigkeit im Sinn und wollen "zeitlose" Songs schaffen. Demgegenüber steht aber der Anspruch, sich kreativ zumindest in der Gegenwart, wenn nicht gar schon etwas weiter vorne zu befinden. Das gemeine Musikvideo tut sich hingegen sehr schwer, so etwas wie Zeitlosigkeit auch nur vorzutäuschen. Denn nicht nur Kleidung und Haarmoden ändern sich von Saison zu Saison, sondern auch die technischen Möglichkeiten und Beschränkungen.
Damit kann man sich arrangieren, indem man die Ästhetik einer vergangenen Ära möglichst gut nachstellt, was nur in den seltensten Fällen ganz überzeugend gelingt. Oder man fängt offensiv das Hier & Jetzt ein, mit der Gewissheit, dass der geschaffene Musikkurzfilm in wenigen Monaten überholt sein wird. Kommende Generationen werden zum Beispiel über die bewusst eingesetzten Videokompressionsfehler (aka Artefakte) im aktuellen Clip von Kanye West und Kid Cudi nur noch staunend den Kopf schütteln - einfach, weil sie die miese Qualität von frühen Netzvideo-Diensten nicht mehr mitbekommen haben.
Kanye meint in seinem Blog übrigens, dass der Song "Welcome To Heartbreak" eigentlich erst als übernächste Single geplant war. Weil er aber von einem ähnlichen Video gehört hatte, musste es jetzt sofort online gehen. Vorne dabei zu sein ist halt ein hartes Geschäft.
Tanya Morgan, ein Rap-Trio mit Wurzeln in Cincinnati, das jetzt in Brooklyn residiert, muss ungerechterweise als Beispiel für die kurze Halbwertszeit von Videos herhalten. "We Be", eines ihrer ersten Lebenszeichen ist jetzt laut Upload-Datum bald drei Jahre alt. Das soziale Netzwerk, dessen grafisches "Konzept" hier den optischen Rahmen für die Rap-Action abgibt, würde heute wohl keine Band mehr so prominent in ihrem Video huldigen. Nicht nur, weil die Seite jetzt Rupert Murdoch gehört und manche Leute schon auf weitere Netzwerke umgestiegen sind. Sondern weil das, was damals vielleicht einigermaßen spannend und neu schien, für viele Bewohner/innen der ersten Welt so alltäglich wie das E-Mailprogramm oder die Suchmaschine. Trotzdem noch immer lustig, wenn da alle acht Top-Friends (damals ging glaube ich noch garnicht mehr) den Refrain mitrappen.
Wenn man so die Timeline des Maturanten-Rap nach hinten geht, wird man früher oder später natürlich auch bei A Tribe Called Quest landen. 1992 war bei "Scenario" das Jahr, das man anhand von Mode und Frisuren schon ungefähr erraten hätte können. Welches frühe grafische Multitaskingbetriebssystem hier visuell nachgestellt wird, traue ich mich nicht 100% zu sagen - die Schriftart deutet auf Apple hin. Damals wirkten viele der gezeigten Features für die Macher wohl total futuristisch, heute wäre manches davon sicher machbar. Immerhin können Computer heutzutage schon menschlichen Sing Sang automatisch auf der Alleinunterhalterorgel begleiten (noch so eine Video-Idee mit eindeutigem Zeitstempel Früh-2009).
(Bonus Beats: Enge Tänze, Bilderrahmen oder Karaoke mit dem Tribe)