Erstellt am: 18. 2. 2009 - 11:13 Uhr
Ein Baumhaus in Brooklyn
"Es muss sich anfühlen wie in einem Baumhaus". Gemeint ist ein Ort, den Zach Condon braucht, um zu schreiben, um sich zurückzuziehen, um Ruhe zu finden. Gemeint ist der Musikkeller in der neuen Bleibe in Brooklyn. Condons Baumhaus liegt einige Meter unter der Erde.

Radio FM4 / Christian Lehner
Der blasse Singer/Songwriter, den wir als Weltenbummler zwischen Balkan-Sound, französischen Hafenkneipen und neuer Folk-Schule kennen gelernt haben, er ist sesshaft geworden. Drei Jahre war Condon mit Beirut auf Achse. Dann der Zusammenbruch während der letzten Europatour und die Erinnerung an ein Baumhaus in Albuquerque/New Mexico, in das sich Zach als Kind zurückgezogen hat. Im kleinen Redbrick mit Holzdach am östlichen Rand der Hipster-Enklave Williamsburg wohnt er erst seit wenigen Wochen.
Auf der Veranda stapeln sich Säcke voll Bierdosen von der Einweihungsfeier. Der Gartenzwerg stammt noch vom Vorgänger.

Radio FM4 / Christian Lehner
"Wir haben eine Anzeige im Web gelesen und sind sofort mit unseren Rädern hierher gefahren". In Zeiten der Finanz- und Immobilienkrise hat sich diese Suche nach einem Ort der Ruhe im ohnehin engen housing market New York schwieriger gestaltet, als das junge Ehepaar Condon zunächst dachte - nicht etwa wegen der berüchtigt starken Nachfrage. Die hat aufgrund vieler Zwangsversteigerungen und Privatkonkursen merklich nachgelassen. Vielmehr sind den Condons während der Finanzierung die Kreditgeber abhanden gekommen - so wie vielen US-Amerikanern zur Zeit. "Gleich zwei Banken gingen pleite, während wir mit ihnen verhandelt haben", so Zach, "in den Weihnachtsfeiertagen konnten wir schließlich einziehen".
Der Probekeller
Ein Computer, ein kleines Fenster durch das kaum Licht dringt und Dutzende Instrumente. Dann diese seltsame Staubsaugeranlage, die Zach kichernd vorführt. Es ist ein Rohrsystem ähnlich einer Zentralheizung. Über einzelne Hubs kann man in allen Zimmern des Hauses mit dem Saugschlauch andocken. Was auf den ersten Blick praktisch wirkt, ist in der Handhabung furchtbar umständlich und klingt obendrein im Saugmodus, als ob das Häuschen an Verdauungsstörungen leiden würde. Was für ein monströses Instrument!

Radio FM4 / Christian Lehner
Am Teppich die obligatorische Beirut-Ukulele. Daneben ein Kinderpiano, ein Akkordeon und eine Art Xylophon aus Indonesien - ein Geschenk der Plattenfirma Ba Da Bing Records. Zach probiert etwas an der Quetsche herum. Er hat schon länger nicht mehr darauf gespielt. Dann die Ukulele und einige Takte des vielleicht schönsten Beirut-Songs überhaupt, 'Postcards From Italy', aus dem Debütalbum Gulag Orkestar.

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Zachs Stimme müht sich durch eine hartnäckige Verkühlung. Angekommen wo sie hingehört, ist sie ganz bei sich. Der (wohl auch wegen unserer Invasion) etwas deprimierte Heim-Troubadour wirkt erstmals gelöst an diesem Nachmittag. Es ist ein Schlüsselmoment. Wenn man diesem 23jährigen Burschen mit dieser gequält schönen Stimme zuhört, wie er entschwebt, muss man nicht so viel darum geben, über was er gerade singt, oder welchem Kulturkreis die darunter liegende Musik zuzuschreiben ist.
"In den Medien werde ich als eine Art Weltreisender in Sachen Sound-Ethnologie beschrieben. Doch das bin ich gar nicht", fühlt sich Zach missverstanden. "Was mich interessiert, sind bestimmte Stimmungen in der Musik; Stimmungen, die universell sind. Das Drama und die Schönheit eines Trauermarsches zum Beispiel. Das findest du am Balkan ebenso wie in Mexiko."

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Ba Da Bing Records
Die zweite Hälfte der "March Of The Zapotec" Doppel-EP hat Zach Condon teilweise Jahre vor der Gründung von Beirut komponiert. Im Stile eines Bedroom Producer (Vorbilder The Aphex Twin aber auch der Österreicher Fennesz) produzierte Condon unter dem Pseudonym "Realpeople" zahllose Elektro-Miniaturen, von denen es nun einige auf 'Zapotec' geschafft haben.
Für die Aufnahmen der ersten Hälfte seiner neuen EP
"March Of The Zapotec" (Pompeii Records im Vertrieb von Hoanzl) ist Zach in die mexikanische Provinz Oaxaca gereist. Über die Mutter eines Freundes ist er auf die Band Jimenez gestoßen. Das 19-köpfige, von der Kirche gesponsterte, Orchester spielt hauptsächlich auf Hochzeiten und Begräbnissen. "Ein befreundeter Übersetzer hat uns beim Aufbau des Kontaktes geholfen. Sein letzter Job war es, Ex-Präsident Jimmy Carter die Kulturschätze der indigenen Zapotec zu zeigen".
Wie bei allen bisheringen Veröffentlichungen ist die künstlerische Annäherung Condons auch in Mexiko eine in erster Linie pragmatische.
Condon blieb nicht länger als zwei Wochen. Er hat aber im Weberdorf Teotitlan del Valle nicht nur die ersten sechs Songs seiner Doppel-EP aufgenommen, sondern auch die CD des dort ansässigen Jimenez-Orchesters produziert. Das war der Deal zwisch ihm - dem Gringo - und der Funeral-Band. Zunächst sind die Sessions jedoch etwas holprig verlaufen.
"Ich bin mit fertigen Demos nach Mexiko gekommen. Doch die Musiker konnten zunächst gar nichts mit dem Material anfangen. In ihren Ohren klangen die Songs einfach falsch. Die Dynamik, die Arrangements - das alles war ihnen fremd. Es war frustrierend. Dann bin ich eines Abends auf eine Fiesta eingeladen worden. Das ganze Dorf hat gefeiert und eine Band nach der anderen ist die Straße runter gezogen. Die Stücke wurden in einem sehr hohen Tempo gespielt und plötzlich habe ich die Dynamik dieser Musik verstanden. Ich habe dann die Songs dementsprechend umgeschrieben und ab dann hat alles wunderbar funktioniert. Wir waren auf einer Wellenlänge."

Radio FM4 / Christian Lehner
Condon muss lachen, als er von den Aufnahmen mit Jimenez erzählt. "Da wird mir stets vorgeworfen, ich sei ein oberflächlicher Kulturtourist, der Musik und Sounds sammelt wie Souvenirs. Und im Fall des Mexiko-Projekts habe ich es eigentlich genau so gemacht! Seltsam"
Doch die sechs Stücke offenbaren auch eine andere Wahrheit. In fast allen Songs lässt der Gringo der Musik des Mietorchesters genügend Raum zur Entfaltung. Erst tief in der Mitte erhebt Condon seine Stimme oder schweigt zur Gänze. Besonders ergreifend und dramatisch sind "'The Akara" und "La Llorca" geworden, in dessen Mittelteil plötzlich ein Trauerzug durch den Song marschiert wie über einen Dorfplatz in aller Welt.

Radio FM4 / Christian Lehner
Was immer Zach Condon in Mexiko gesucht hat, - sich, seine Stimmung, eine universelle Harmonie – er hat gefunden, was man auf allen Beirut-Platten findet. Den ästhetischen Reiz der Melancholie, die sich auch im Gesicht dieses jungen Singer/Songwriters spiegelt. Die Grausamkeit der Depression, die dahinter vermutet werden kann. Das Fest des Lebens, das jeden Augenblick an die Vergänglichkeit erinnert.
Vielleicht aber ist die Sehnsucht die wahre Heimat des Zach Condon: "Als Kid in New Mexico war ich Platzanweiser und Popcorn-Verkäufer in einem Programmkino. Dort haben sie ausländische Filme gezeigt. Nouvelle Vague, Movies aus Ex-Jugoslawien, Nordafrika oder Deutschland. Jede Vorstellung war wie eine Reise in die weite Welt. In diesem Vorführsaal verbrachte ich einige der schönsten Momente meiner frühen Jugend". Das Kino, ein unterirdisches Baumhaus in Brooklyn.