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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

1. 3. 2009 - 15:00

Glatte Hoden, lustige Namen, gutes Brot

Über Qualität und Benennung, geschrieben mit blutigen Händen. Bonusmaterial: Sexy Taubenfotos

Immer mehr Männer lassen sich den Hodensack wachsen.

Ich kann nur langsam schreiben, weil meine Hände einbandagiert sind. Sie können aber gerne in einer Ihnen angenehmen Geschwindigkeit lesen. Meine verbundenen Pranken sind deshalb hautlose Fleischklumpen, weil ich sie eben noch zu euphorisch gerieben habe, so groß war meine Freude über die Doppeldeutigkeit des obigen Satzes.

Dann bemerkte ich aber, dass es wohl kaum Männer gibt, die sich ihren Befruchtungsbeutel enthaaren lassen, außer vielleicht vom jeweiligen Geschlechtspartner, der die blanken Eier womöglich sogar wünscht. Gibt es Fachkräfte für diese bittere Prozedur? Der Arzt ist ja wohl eher ein unpassender Adressat für dieses Begehr. "Meine Milz macht mich Heulen, und außerdem sollte mein Hoden mal wieder gewachst werden." Nein, das sagt keiner.

Auch sonst sehr gefasste Coiffeure wären wohl im ersten Moment dezent frappiert, wenn sich der Kunde untenrum frei machen würde. Allerdings machen Friseure mittlerweile so ziemlich alles. Wer nicht zusätzlich zum modischen Haupthaarschnitt auch noch der Kopfhaut durch Massagen ihren Dienst versüßt, Nägel gestaltet und individuelle Horoskope erstellt, scheint am Markt chancenlos.
Erst kürzlich war ich auf der Suche nach einem Frisiersalon. Ich war durchaus bereit, in eine prächtige Frisur zu investieren, weil mein finanziell sehr lohnender Besuch bei einem türkischen Babier eine Tolle zur Folge hatte, deren Anblick die Vermeidung der hässlichen Vokalbel 'Prolodisco' erschwerte.
Ich wollte aber auch jene Friseure vermeiden, in denen 14jährige zugepiercte Hüfthosenbiester mir etwas trendiges auf mein so gar nicht trendiges Gesicht zaubern würden.

Also betrat ich einen Salon, in dem die Mitarbeiterinnen gerade damit beschäftigt waren, sich gegenseitig zu föhnen und verließ ihn vierzig Minuten später wieder guter Dinge, mit tadelloser Matte und der Erkenntnis, dass ich nicht wüsste, wo man in Wien "so richtig gut fortgehen" könne. Meine Wahl fiel unter anderem deshalb darauf, weil er sich nicht mit einem 'originellen Namen' schmückte.

Aus der Sammlung 'Tote Tauben in fremden Städten': Berlin

© Marc Carnal

Aus der Sammlung 'Tote Tauben in fremden Städten': Berlin

Es ist bemerkenswert, dass sich hauptsächlich Friseure und Bordelle mit mäßigen Wortwitzen benennen. Sammlungen dieses ganzen Haarley- und HairGott-Irrsinns gibt es zuhauf, ich pflege nicht wiederzukäuen.
Allerdings bin ich seit Wochen von der Idee beseelt, dass sich auch in der Apotheker-Zunft der KreHaartiv-Benennungs-Wahnwitz um sich greifen könnte.
"Darling, meine Milz quält mich schon wieder, sei so gut und hol mir Arneien. Gleich um's Eck ist das Pill-Gate's. Doch huch! Es ist Sonntag! Dann musst du vielleicht bis zum Heißen Pflaster oder gar zur Spritzenklasse gehen. Tut mir echt sorry, Baby."

Wahrscheinlich ist es auch besser, dass wir weiterhin im Blauen Engel unsere Wachsstreifen bestellen. Qualität erkennt man oft an äußerer Schlichtheit. Was gut ist, muss sich sprachlich nicht dekorieren.
Das beste Brot bekommt man in einer schlichten, klassischen Bäckerei, nicht bei verwöhnenden Männern.

Ich bin ein kleiner Täuberich
und nach dem Scheißen säuber ich
Fassaden, denn ich glaube
an's Gute in der Taube

Bäckerei

Unter einem Bäcker sind schummrige zwölf Quadratmeter zu verstehen, in denen ein garstiges, von Weizenmehl und Valium aufgedunsenes Weib seit der Morgendämmerung vegetiert und am Vormittag bereits die herzhaft duftenden, von einer Brotwürdigen, massiven Rinde umhüllten Laibe an den Mann gebracht und deshalb nur noch ein Sortiment hat, das ganz klar das worst of der letzten Stunden darstellt.
Vor dieser kargen Auswahl unschlüssig stehend, bekommt der Backwaren-Interessent bereits nach Sekundenbruchteilen die verständnislose Ungeduld der Verkaufskraft in Form von glasig-penetranten Blicken zu spüren, was innerhalb kürzester Zeit zu einem einengenden Stressgefühl führt, das zwangsläufig in einem unüberlegten Kauf mündet, den die Bäckerin ohne Murren, aber auch ohne spürbare Euphorie hinnimmt und verrechnet. Unbefriedigt, weil man von so viel menschlicher Kälte überrumpelt einfach irgendwas mit Rosinen (in Wahrheit: tote Fliegen) drinnen erstanden hat, aber dafür mit vorbildhaft zubereitetem Backwerk unter den Achseln, verlässt man das Geschäft und hat das nicht zu unterschätzende Gefühl, in einer richtigen Bäckerei gewesen zu sein. Und ob man richtig ist, erkennt man nicht nur in Backstuben an der Unfreundlichkeit.

Denn durchgehende Philanthropie kann nicht wahrhaftig sein, ein professionelles Lächeln ist unschön und –echt. Wo Arbeitnehmer zur kontinuierlichen Gesichts-Eintracht angehalten werden, muss etwas im Busch sein, zumindest, dass Außenwirkung und Atmosphäre über das Verkaufte gestellt werden, was letzterem nur schaden kann, da Teilenergien in ansprechende Stimmmelodien und unauthentisch positionierte Mundwinkel investiert werden und zum Beispiel nicht in Brot. Dieses Kriterium ist nicht nur für führende Fast Food – Ketten gültig, sondern in allen anderen Bereichen auch.

Aus der Sammlung 'Tote Tauben in fremden Städten': Odessa, Ukraine

© Marc Carnal

Aus der Sammlung 'Tote Tauben in fremden Städten': Odessa, Urkaine

Außerdem nehme ich von Back-Ketten Abstand, weil sie Teil des ausufernden Produkt-Neubenennungs-Wahns sind, der nach amerikanischen Kaffee-Fließband-Ausschenkungs-Stätten nun auch die Welt von Laugenstange und Topfenkuchen infiziert hat.
Ein „Weckerl“ mit Aufstrich und geraspeltem Gemüse ist ein Fest, allerdings auch nicht mehr als ein Brötchen, veredelt mit Gesundheitsunterstützenden Substanzen. Abgesehen davon, dass in klassischen Bäckereien nur das Fundament namens Brot ohne verlockende Ergänzungen angeboten wird, darf man die im Mainstream-Brot-Segment seuchengleich um sich greifende Benennungskreativität nicht gedankenlos hinnehmen, will sie doch nur blenden und Simples edler erscheinen lassen will, als es eigentlich ist. Die Bestellung eines Aborigines-Ecks, Vital-Hörnchens und Mozart-Plunders mag eine Wohltat für das Ohr sein, muss deshalb aber keinen größeren Kitzel für den Gaumen bedeuten.

Ich will Pistolengleich Produktnamen runterrattern, aber nicht in der ohnehin schon recht dynamischen Warteschlangen-Abfertigung tranige Begriffe den sehr bemüht angeordneten Kreationen in der Vitrine zuordnen müssen, die obendrein noch mit Preisen wie 2,43 versehen sind, die suggerieren sollen, dass hier nicht die übliche Rundungs-Willkür herrscht, sondern auf den Cent genau verrechnet wird, was ich aber aus reinem Trotz nicht glauben will.

Das alles ist schon genug an Gegenargumentation, als Bonus hat auch noch jeder eine persönliche Bekanntschaft parat, die den Nachbarn eines Cousins kennt, der in einer vergleichbaren Branche werkt und von dem man über neun Ecken und Kanten ziemlich verlässlich weiß, dass die dem Kunden ins Gesicht grinsenden, innerlich aber von Gram zerfressenen Mitarbeiter in den Pausen heimlich mit den Semmeln die Fliesen putzen und mit den Marmeladehörnchen ihre Hoden wachsen.

Sie dürfen übrigens gerne an meiner Tauben-Sammlung mitarbeiten!