Erstellt am: 16. 2. 2009 - 15:19 Uhr
Journal '09: 16.2.
Heute, auf dem Weg ins Funkhaus, beim Abgang zur U-Bahn kommen uns auf den Stiegen zwei Schwarze (so heißt es laut Zara korrekt) entgegen. Und allein ihre Präsenz sorgt dafür, dass mir sofort, in 100 Assoziationen, der Vorfall einfällt, von dem am Wochenende zu lesen war: Kripo glaubt Dealer in U-Bahn ausgeforscht zu haben, prügelt den Mann am Bahnsteig nieder, erkennt Irrtum erst nachdem er (Lehrer an der Int. School) mit Ausweis wachelt und Botschafts-Anrufung droht. Selbst noch im Spital hilft man die Sache runterzuspielen - der Arzt untersagt Aufnahmen.
An dieser Geschichte ist so vieles verkehrt, unstimmig und hochproblematisch, dass es wehtut, in allen Assoziationen.
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Jeder Mensch, der in Wien U-Bahn fährt und die Augen offenhält, kann Dealer und User erkennen. Nicht weil sie stören, randalieren oder Terror machen würden, sondern an der geschäftigen Unauffälligkeit mit der sie ihrem zugleich traurigen und widerwärtigen Job nachgehen bzw. ihrer Sucht nachgeben. Man verabredet sich mit Blicken und leisen Worten, benützt einschlägige Codes, auch optische Erkennungsmerkmale. Dabei spielt die Hautfarbe eine nebensächliche Rolle: es gibt zwar U-Bahn oder Tram-Linien, die von einzelnen Gangs (und damit auch immer von Landsleuten) dominiert werden, so etwas wie eine Mono-Kultur lässt sich aber nicht feststellen.
Eigentlich trau ich einem "normalen" Streifenpolizist zu, dass man da unterscheiden kann.
Als Krimineser, noch dazu als offensichtlich drauf spezialisierter, also als Experte, muss man derlei aber wissen. Und ein einzelner Afroamerikaner, egal ob im Anzug oder in Sportswear (Michael B. ist Lehrer für Turnen und Englisch) ist schon allein deshalb unverdächtig, weil die Dealerschaft immer zu zweit loszieht.
Wie ja auch Schwarzkappler oder Kriminalpolizisten.
Wenn die Ermittler also schon bei den simpelsten Grundlagen so daneben liegen - wie wollen sie jemals wirklich schwierige Fälle jenseits des sonntäglichen Zeitungsdiebstahls lösen?
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Selbst wenn es stimmen sollte, dass die Kripo da einen dicken Fisch auf der Wanted-Liste hatte und Michael B. wegen seiner totalen Ähnlichkeit verwechselt hat (was wegen der zwar inoffiziellen aber erschreckenden und zutiefst rassistischen Schaun-eh-alle-gleich-aus-Standards der Exekutive nicht sehr wahrscheinlich ist): wieso wird bei und vor allem NACH erfolgter Verhaftung getreten, geprügelt, krankenhausreif geschlagen?
Ich will nicht den populistische Dreck, dass nur der zur Polizei gehen würde, der Spaß an Prügeln hat, bemühen - ich denke, es ist viel simpler: weil es innerhalb der Exekutive keinerlei Schuldbewusstsein an den einschlägigen Todesfällen der letzten Jahre gibt, als Polizei-Gewalt Menschenleben forderte. Die Verantwortlichen machen die Mauer, und zwar eine undurchdringliche, die Beamten, die auf Cheibani W. herumstanden und ihn so zu Tode befördert haben, werden intern geschützt.
Natürlich nützt eine Hatz auf Einzelpersonen, die ja auch nur innerhalb eines Systems agieren, und die Grauslichkeiten, die dort Usus sind, verbreiten und ausüben, gar nichts. Was wirklich nützen würde, wäre eine klare Änderung der Grundhaltung, der Philososphie. Dass es nicht darum geht, eine Gruppe von Menschen vor anderen Gruppen von Menschen zu schützen (das ist ein Prinzip, mit dem diktatorische Systeme arbeiten, Feindbilder aufbauen, die Gewaltspirale in Gang setzen etc.), sondern, dass alle Menschen wie solche behandelt werden müssen.
Das vermittelt niemand in diesem Land. Und die Polizei setzt diese Unkultur um: mit automatisierten Prügelorgien, sobald eins der Feindbilder aufblitzt.
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Da dockt dann das nächste Problem an: wenn was passiert - runterspielen, wegdrücken, auch automatisiert.
Nehmen wir an, die Kripo-Beamten "irren" sich nicht, und erwischen den echten Dealer, trickern ihn, bis er spitalsreif ist und sperren ihn dann weg - kommt dieser Fall jemals an die Öffentlichkeit? Erfahren wir was davon - außer eine minimale Teil-Öffentlichkeit via Mundpropaganda von jenen, die's am Bahnsteig gesehen haben?
Oder: die Kripo erwischt den Falschen, aber er ist kein US-Lehrer mit hohem Selbstwert was demokratische Grundrechte betrifft, sondern ein seit Lebzeiten eingeschüchterter Asylwerber aus Afrika, der dort ähnliche und schlimmere Polizei-Erfahrungen gemacht hat - erfahren wir es dann?
Und: interessiert es uns überhaupt?
Oder ist es ein weiterer, von den wenigen, die sich drum kümmern, utebockmäßig, erwähnter Fall, der medial untergeht? Weil er einerseits keine Lobby hat, oder weil einem andererseits die überhitzten, meist in den falschen Worten formulierten Anklagen auch schon am Arsch vorbeigehen?
Wäre die US-Botschaft nicht hellhörig, weil sie sich zuletzt mit den niederträchtigen und rassistischen Aussagen des Pensionärs Klaus Emmerich beschäftigen mussten - hätte der Fall des Turnlehrers dann die Unterstützung die er braucht?
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Natürlich insinuieren dumme Hollywood-Filme, mittlerweile offen zu Verbrechen anstiftende Reihen wie "24" oder auch kreuzdoofe deutsche "TV-Movies", dass es lässig und auch ganz normal ist, die "Bösen" nicht als Menschen, sondern als Fußabtreter zu behandeln und Gewalt als legitimes Mittel einzusetzen - auch und vor allem in der Rolle der Exekutive.
Niemals in diesen einflussreichen Zuschreibungen wird ein White-Collar-Typ körperlich attackiert - da nimmt man Rücksicht auf Macht/Einfluss etc. Sobald man es aber mit Blue-Collar oder sozial noch tiefer georteten Individuen zu tun hat - "eine in die Goschn"; als Automatismus.
Das ist auch bei Dealern nicht anders.
Groß-Dealer, die zentralen Verkäufer, die in besseren Puffs oder gar gesellschaftlich anerkannten Weißwäsche-Firmen sitzen sind unangreifbar - die Würschtl auf der Straße hingegen Freiwild für Dresche. Und somit das Opfer von all dem Frust, der sich in einer unbeliebten, schlecht ausgestatteten, schlecht ausgebildeten und auch schlecht organisierten Exekutive so aufstaut. Noch dazu wird das auch (intern) als zulässiges Ventil akzeptiert.
Auf die Untersten eintreten - passt schon.
An sowas wie eine kollektive Traumatisierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe denken - geh bitte...
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Um hier nicht eine falsche (und auch ein bissl widerliche) Sozialromantik auszulösen: diese Untersten sind dort nicht durch ein unentrinnbares Schicksal gelandet. Niemand wird gezwungen diesen moralischen Tiefststand einzunehmen.
Es hat sich da ein unhinterfragter Argumentations-Automatismus eingeschlichen, der nicht stimmt. Dass nämlich der Asylwerber, der wegen moralisch falscher und bürokratisch durchaus widerlicher Behandlung nicht anerkannt oder auf den langen Instanzenweg geschickt wird, da - um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten - quasi dazu gezwungen wird, illegale Geschäfte zu machen.
Das ist kurz gedacht.
Und es ist eine gemeine Faustwatschn für alle schwarzafrikanischen Asylwerber, die nicht dealen, und sich und womöglich eine Familie, irgendwie durchbringen. Das ist eine falsch verstandene und saublöde Gangsta-Mystifizierung, und es ist durch die Primitivität der Gleichung auch wieder ein zutiefst rassistisches Stereotyp: als wäre die klassische schwarze Drogendealer-Karriere etwas Unentrinnbares.
Auch wenn viele da ganz unschuldig einem doppelseitigem Druck ausgesetzt sind: dem der sie per se abschätzig behandelnden Behörden und dem der eigenen "Communities", die sie ab- und einfangen und in die verbotenen Zonen locken.
Ehrlich: ich halte von einem Menschen, der in Österreich Asyl beantragt und in der Wartezeit dazu beiträgt andere Menschen mit dem Vertrieb von Gift zu töten, genau gar nichts. Das ist letztklassig - und verspottet alle diejenigen, die es schaffen das zu vermeiden, die es schaffen ihre Moral hochzuhalten, auch genau WEIL sie dem Unrecht, der Unterdrückung entflohen sind.
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Letztlich ist es aber komplett egal, ob es sich um einen moralisch versauten Menschen, um einen von unfassbaren Umständen in die Scheiße Gezwungenen (denn das gibt es ntürlich auch) oder um jemanden handelt, der einfach in ein in das Fußabtreter-Schema der Exekutive passt (und das geht schnell: "schwarz, jung, männlich" reicht da oft).
Wer - aufgrund welcher Fehler auch immer, der des Individuums oder der des Systems - etwas demokratiepolitisch so Zentrales wie eine Amtshandlung durch den Einsatz von Gewalt derart herabwürdigt, stellt sich jenseits des Rechtsstaats. Und der gilt für alle.
Ein Fall wie dieser, einer ohne wirklich verheerende Auswirkung (obwohl ich mir denken kann, dass weder der Lehrer noch seine engere Umgebung in den nächsten Monaten U-Bahn-Fahren können, ohne dabei ein grausliches Gefühl zu haben) ist im übrigen einer, anhand dessen man sich die Politik von Exekutive und Innenministerium gut anschauen kann. Wenn man hier wieder nur abwiegelt, verschleiert und beschönigt, dann ist die Lernunfähigkeit und auch die Beratungsresistenz erwiesen. Wenn man diesen Fall hernimmt, um draus zu lernen, und damit (und den Folgen, an die der einzelnen Beamte vielleicht nicht denkt) durch die Kommissariate tingelt, dann besteht vielleicht noch Hoffnung.