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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

13. 2. 2009 - 16:34

Journal '09: 13.2.

Über das Wesen der Jury an sich.

Unlängst gab es auf ARTE eine Doku über eine unfassbare Gerichtsverhandlung in Jacksonville, USA, zu sehen. Eine Touristin war bei einem Raub erschossen worden, ihr leicht verwirrter ältlicher Mann wusste nur noch, dass es sich um einen jungen Schwarzen gehandelt hatte, weshalb er den erstbesten Burschen, der ihm von der Polizei vorgeführt wurde, auch identifizierte (schaun ja eh alle gleich aus, nicht wahr?).

Tatort Jacksonville, USA

Der danach schnell Angeklagte war ein braver hochaufgeschossener 15jähriger aus einer biederen Mittelstands-Familie, der in der Nähe auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch hoppgenommen wurde. Die drei amtshandelnden Detectives (zwei Weiße, der übelste von ihnen ein Schwarzer, allesamt schmierige Figuren) pressten und schlugen die Unterschrift zu einem Geständnis raus.

Der Prozess, den ein Pflichtverteidiger führte, stand mehrmals an der Kippe, weil es keine eindeutigen Beweise für die Dresche oder etwa auch ein Alibi gab. Erst als der Verteidiger es schaffte, die schlechte Qualität des Frameups der Polizisten herauszuarbeiten, drehte sich die Angelegenheit, und die Jury sprach den Burschen (reasonable doubt) frei. Ein paar Monate später konnte (nicht wegen guter Polizeiarbeit, sondern weil der Counselor weitergeforscht hatte) der wahre Täter überführt werden: Mehr als zehn Jahre älter, gänzlich andere Optik, anderer Style als der ungelenke 15jährige Teddy, den man da eintunken wollte, um (für die gute Quote) eine schnelle Aufklärung vorweisen zu können.

Die Jury schaut gebannt auf das, was auf der Bühne passiert

Radio FM4 / Ute Hölzl

Die Aufgabe der Jury

im US-Rechtssystem ist es, in Fällen, bei denen die Beweislage nicht eindeutig ist, zu urteilen. Es geht da um Indizien-Bewertung, um Gefühligkeiten, um ein Abwägen innerhalb des Werte-Kanons.
So scheiße die US-Gesellschaft und die US-Justiz in der Praxis auch funktionieren mögen - diese Einrichtung ist in Fällen einer heiklen Bewertung die grundsätzlich Richtigste. Sie ist besser als die des Einzelrichters (der sich ja irren kann, und ohne Korrektiv dasteht) und wohl auch deutlich gehaltvoller als der Lynchmob.

Dass dieses System im Wesentlichen funktioniert, hängt auch damit zusammen, dass das (auf allzu vielen Ebenen ebenso kritisierenswerte) US-Bildungs-System einen starken Focus auf Selbst-Präsentation und die Fähigkeit, sich und seine Meinung auszudrücken (und zwar deutlich, direkt und kurz, nach dem KISS-Prinzip), legt.

Uns mögen die kurzen und prägnanten Ansagen der Amis überheblich und von grotesker Selbstsicherheit getrieben vorkommen - sie sind aber Ausdruck einer konkreten Erziehung auf der Basis einer jahrhundertealten demokratischen Tradition.
Und unser naserümpfender Blick darauf erzählt in Wahrheit nur eine einzige Geschichte: die des Neides.

Die Neid-Geschichte

Denn das ist etwas, was dem gelernten Österreicher (auch dem in mir, keine Sorge) übel aufstößt: dass die anderen ("der Ami", aber auch "der Piefke") einfach ums xfache eloquenter daherkommen, innerhalb einer Minute eine tolle Geschichte erzählen können, wo sich unsereiner erst mit der Vorrede abplagt oder - noch schlimmer - noch in der Vorhölle der verbalen Ornamentik befindet, die (seit Kaisers Zeiten im hiesigen Untertanengeist fest verankerte) nur sinnlose Zierleisten-Codes und Demuts- oder andere Gesten beeinhaltet, die dem eigentlichen Text-Kern vorausgeschickt werden.

Das ist ein tiefsitzendes kulturelles Problem.

Und deshalb hat der gelernte Österreicher auch ein Problem mit der Jury-Funktion.
Die braucht es überall dort, wo sich die Wertigkeit nicht via Zahlen und Daten feststellen läßt, sondern, wo es um eine Beurteilung einer Arbeit geht - es muss nicht einmal künstlerische Arbeit sein; auch ein Projekt wie Departure benötigt eine wertende Jury.
Und dafür braucht es Menschen, die sich eine Meinung zutrauen und die womöglich auch noch zu formulieren verstehen. Und das fällt hierzulande (wenn man ein Niveau-Level jenseits des populistischen Lynchmobs ansetzt) eben verdammt schwer.

Die österreichische Jury-Version

ist eine verschliffene Variante. Am liebsten setzen sich heimische Jurys "zusammen" und "diskutieren das aus".
Das hat zwei Vor/Nachteile: Erstens kann sich das einzelne Jury-Mitglied dann hinter eine Kollektiv-Entscheidung verstecken (Ich hätte eh anders gevotet, bin aber überstimmt worden!) und zweitens kann man sich in diesen Diskussionsrunden auch brav hinter den Alpha-Tieren verstecken, die die Debatte an sich reißen. Ich kenne einige Leute, die in Jurys sitzen, dort aber noch nie etwas Substanzielles beigetragen haben. Und Österreich wäre nicht Österreich, wenn die Jurys in diesem Land immer wieder gerne diese Mitläufer einladen würden (weil man sich eben sicher sein kann, dass die schafsköpfig alles abnicken).

Die ehrlichste Form der Jury-Bewerung ist die offengelegte Einzelbewertung - mit kurzer Begründung. Im Optimalfall sollte danach auch so etwas wie Feedback möglich sein - im direkten Aufeinandertreffen von Akteuren und Juroren.

...und die Angst-Kultur

Davor haben, und das sollte man nicht unterschätzen, sehr viele Menschen sehr viel Angst. Zurecht, weil die allermeisten in einer Konsens-Kultur des verbalen Girlandenschwingens großgezogen wurden, die sich noch dazu mit einer Unkultur der Meinungslosigkeit und der Unfähigkeit zum Ausdruck paart.
Aber auch die, die das könnten, wägen ab: Ist es eine offene Bewertung, eine kantige Profilierung, ist es das klare Wort wert, sich einer Welle der Entsetzensreaktionen der an Schwammigkeit, vagem Blabla und im Mehrheits-Trend der direkten Umgebung mitzuschwimmen Gewohnten auszusetzen? Einer durch das niemalige Aussprechen von Ansichten (auch innerhalb von Familie oder Peer-Group) extrem wehleidig und weinerlich gewordenen, feedbackresistenten Gruppe gegenüber, die Gegenwind nicht mit Gegenargumenten, sondern mit den Symboliken des Lynchmobs ("Schwule Sau!" rufen etwa ist scheinbar irre angesagt...) kommt?

Die meisten entscheiden sich dann für das Nein, erzählen ihre wahre (und manchmal auch interessante) Meinung im kleinen Kreis und lächeln denen, die sie scheiße finden, weiterhin fröhlich ins Gesicht - das Gegenüber weiß es ja nicht.

Das sind Lektionen, die in der Untertanenmonarchie gelernt, im faschistoiden Ständestaat und Nazi-Terror verschärft und denen in der windelweichen 2. Republik nicht genügend entgegnet wurde - und denen sich eine weitere Generation gerade genüsslich hingibt. Auch weil hier wieder die Minderwertigkeitsgefühle denen, die das können, mit dem Sich-Ausdrücken, mitschwingen können (dieselben Ressentiments, mit denen die Rechtspopulisten allem entgegentreten, was ihre simplen Reflexe argumentativ beeinssprucht).

Die andere Hälfte der Jury: Martin Blumenau, Mieze Medusa und Peter Paul Skrepek

Radio FM4 / Ute Hölzl

Tatort Protestsong-Contest

Die PSC-Jury ist über die Jahre gewachsen, und weil der Rabenhof ein gutes Händchen für genau die Menschen hat, die Meinung äußern können, ohne sich präsumtiv anzuscheißen, ist ihre Zusammensetzung auch kein Zufall.
Eine Birgit Denk, eine Doris Knecht, eine Mieze Medusa haben keine Angst davor, etwas anzusehen, anzuhören, wirken zu lassen, innerhalb eines Werte-Kanons abzuklopfen und nicht eindeutig (weil künstlerisch) Bewertbares aufgrund der zur Verfügung stehenden Indizien zu reihen. Ein Peter Paul Skrepek und ein Didi Bruckmayr haben kein Problem damit, zu ihrer individuellen Subjektivität zu stehen und den Teil ihrer selbst, der sich an etwas Unerreichbares wie Objektivität herantastet, auch zu hören.
Selbst wenn ich, als ein Sechstel, nichts geschnallt hätte und der größte Dillo sein sollte - diese Gruppe fängt auch einen Ausreißer auf und wird ein Resultat finalisieren, wie beim Eiskunstlauf, beim Synchronschwimmen oder in Jacksonville. Nach bestem Wissen und Gewissen.

Wer danach glaubt, seine Verschwörungs-Theorien schwingen zu müssen, der schwinge (weil ihm eh nicht zu helfen ist); wer danach glaubt, dass der Teilnehmer, der ihm am Herzen lag, ungerecht behandelt wurde, der jammere (denke aber an die anderen, die das wohl alle anders sehen, und versuche sich vorzustellen, dass so gesehen auch erst 10 dieser Sichtweisen ein objektives Bild ergeben würden); wer danach glaubt, einen von ihm verfassten, deshalb objektiven Kriterien-Katalog oder einen anderen Einzelrichter zwischenschalten zu müssen, der soll das glauben; wer danach glaubt, das Publikum, also die jeweils eigene hysterisierte Claque, als Richter einsetzen zu müssen, der möge sich in seine Western-Fantasien flüchten.

Wer die Mängel, die es in Österreich (und das nicht nur im Kultursektor oder gar im Pimperl-Sektor der Alternativ-Kultur) in der Kommunikations- und Debattenkultur gibt, ernsthaft an einem der minimalen Beispiele festmacht, in dem etwas offen an- und ausgesprochen wird, in dem die "Entscheider" auch persönlich gestellt/befragt werden können (anstatt sich wie sonst flächendeckend hinter Systemen zu verstecken), festmacht - der hat sich selber besser entlarvt als es jeder Counselor schaffen könnte.

Und auch wenn diese (notwendigen) Dialoge gestern dann in zunehmend trunkener Atmosphäre stattgefunden haben - ich behaupte, dass sie wertvoller sind und waren als zwanzig Stunden Schultergeklopfe durch Haberer.