Erstellt am: 13. 2. 2009 - 15:29 Uhr
Glaubensfrage
Wenn man in Österreich den Holocaust leugnet oder die Existenz der Gaskammern in den KZs in Frage stellt, kann man mit einer Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren wegen Wiederbetätigung rechnen. Das ist bei uns schon lange kein Kavaliersdelikt mehr, spätestens seit den Urteilen im Zuge des Prozesses gegen den Neonazi Gottfried Küssel Anfang der 1990er Jahre. Dass der englische Bischof Richard Williamson in aller Ruhe seine Äußerungen bezüglich der Nichtexistenz von Gaskammern via Medien über die Welt verstreut, ist an sich ein Skandal. Wie der Vatikan darauf reagiert hat, bleibt völlig unverständlich und die österreichische Variante ist auch nicht besser: Salzburg Weihbischof Andreas Laun räumt im Zusammenhang mit Williamsons Teilrehabilitierung einen "allzu menschlichen Fehler" des Vatikans ein; und schreibt im ultrakonservativen Internetforum kath.net: "Wer den Holocaust leugne, sei nicht ganz dicht oder/ und höchstwahrscheinlich ein Antisemit."
Erkenntnisse
Welch' präzise Auseinandersetzung mit der Geschichte! Ebenso fundiert wie die Aussage des Vorarlberger Bischofs Elmar Fischer, der in einem Interview diese Woche Homosexualität mit psychischen Erkrankungen wie Alkoholismus gleichsetzte, und sich tags darauf für diese Äußerung entschuldigte : "Ich bin offenkundig nicht mehr auf dem letzten Stand der wissenschaftlichen Literatur", kommentierte der Bischof und Psychotherapeut Fischer.

kamshot (flickr.com)
Auch die konservative Weltsicht des designierten Linzer Weihbischofs Gerhard Maria Wagner scheint nicht mehr vom jetzigen Stand der Dinge auszugehen. Hat die katholische Kirche jeden Bezug zur Realität außerhalb der Kirchenmauern verloren? Oder ignorieren die Kirchenoberen in auffallender Arroganz die gesellschaftlichen Verschiebungen? Keine neue Erkenntnis, in dieser Ballung allerdings auffallend.
Und die wichtigste Frage: Muss man sich überhaupt noch mit diesen Aussagen und ihren jeweiligen Protagonisten auseinandersetzen? Hat die katholische Kirche ihren Einfluss auf das gesellschaftliche Leben und Zusammenleben nicht längst verloren? Geistert bloß noch als ein Relikt aus alten Zeiten, gleichsam wie eine alte Angewohnheit, im Leben so mancher ÖsterreicherInnen herum?

Divine in the Daily (flickr.com)
Ich stelle diese Frage, weil ich als nicht getauftes Kind ohne Religionsunterricht und Beterfahrung aufgewachsen bin. Aber ich, wie alle anderen in meiner Umgebung, auch in einem Land der gehemmten Verstocktheit aufgewachsen bin, in dem klare Argumente gerne mit moralischen Keulen vom Tisch gefegt werden. Da glaube ich oft die Angst des Kindes vor dem Pfarrer zu riechen, der mit ungebremster Grausamkeit eine einzige Alternative zu seiner eigenen Weltanschauung anbietet: die Hölle. Und auch, wenn das Kind zu Hause die Kopfhörer aufsetzt und die Zeilen des Protestsongcontestsiegers auswendig mitsingt, steckt ihm die Vorstellung von der Hölle tief in den Knochen.
Wie viele meiner Freunde, die in der Zwischenzeit Eltern geworden sind, geraten unter unwahrscheinlichen familiären Druck, wenn sie ihre Kinder nicht taufen lassen wollen. Und wie viele fügen sich schließlich kleinlaut. Dem Kindlein die Scheinheiligkeit bereits in die Wiege gelegt.
Radiotipp
Heute Abend (Freitag, 13. Februar) diskutiere ich im FM4 Jugendzimmer ab 19 Uhr mit einem Seelsorger, einer Katholikin aus der Jugendkirche und einer Vertreterin der Katholischen Jugend über den Spagat zwischen Glauben und Doktrin.