Erstellt am: 13. 2. 2009 - 05:30 Uhr
Lasst uns froh und lästig sein
* Das muss man nicht zwingend als historische Ignoranz werten: Wer den Protestsongcontest ausschließlich als entspannte Abendunterhaltung konsumieren möchte, kommt dem Wesen des Projektes vielleicht näher als jene, die den reflektierten, aber auch oberflächlichen Charakter der Veranstaltung substanzieller sehen möchten als er in Wahrheit ist.
Im sechsten Jahr des so wunderbar widersprüchlichen Dissidenzwettbewerbs Protestsongcontest wird der Kontext endlich klarer. Für jene zumindest, die sich um den politischen Hintergrund der Tatsache, dass die Veranstaltung stets am 12. Februar stattfindet, bisher wenig gekümmert haben*. Denn es gibt diesmal ein Jubiläum zu "feiern", wenn sich dieses Jahr der Bürgerkrieg in Österreich, der kurz danach zu Ständestaat und Faschismus geführt hat, zum 75. mal jährt.
Der Wiener ArbeiterInnen Sängerbund ist nämlich dieses Mal bereits zwei Stunden vor Beginn der launigen Protestveranstaltung im Rabenhof, bei der von der SPÖ im kalten Freien organisierten, hochkarätig besetzten Gedenkveranstaltung "Niemals vergessen!". Um "historisches Kinetengraben" (Originalton des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl) und Verklären von bewaffneter Revolution ginge es dabei nicht, vielmehr um das Stärken des kritischen Bewusstseins für demokratiefeindliche Anfänge - im wunderlichen Tagesgeschehen von Holocaust-Leugnung und T-Shirts mit einschlägigen Aufdrucken leider aktueller denn je.
Radio FM4 / Robert Glashüttner
Um 20 Uhr freilich sind die Damen und Herren mit den roten Schals wieder im warmen Theatersaal des Rabenhofs versammelt, wie sie es seit 2004 am 12. Februar immer sind. Der Protestsongcontest funktioniert in seiner "Ewig-grüßt-das-Murmeltier"-Wiederkehrung erstaunlich gut, Modus und Ablauf haben sich bewährt, so dass beim Erklingen der Arbeiterlieder, dem Beleuchten der beiden Jury-Flanken und dem Einschreiten des FM4-eigenen Silberrückens Stermann schnell eine wohlig familiäre und gleichzeitig aufregende Stimmung aufschwelt.
Radio FM4 / Ute Hölzl
Packen wir's also wieder an und genießen wir, was die zehn finalen Formationen dieses Jahr an Pomp und Protest zu bieten haben. Dieses Mal sorgen Martin Blumenau, Didi Bruckmayr, Birgit Denk, Doris Knecht, Mieze Medusa und Peter Paul Skrepek für die Punktevergabe.
Langeweile ich dich?
Oh weh, die Startnummer 1 hat naturgemäß einen strategischen Nachteil, gerade bei einer Veranstaltung, die von Agitation des Publikums und einer performativen und musikalischen Zuspitzung lebt. Ausgerechnet Squishy Squid beginnen zu lassen, erscheint mir diesbezüglich besonders unerklärlich, ist ihr energisch und zorniger, gleichzeitig aber auch wunderbar pointierter und poetischer Song "Langweile" doch viel zu unmittelbar für einen Einstieg. Als ob das nicht schon Schwierigkeit genug wäre, verkompliziert die Band es sich auch noch selbst mit einer durchwachsenen Performance, die zu viel Bühnenshow und Ideen mit einem zu kurzen Song koppeln und dabei auch noch den absurden Fehler begehen, die markante Bass-Linie des Elektropunk-Stückes einfach wegzulassen. Die erste vertane Chance. So wirkt es zumindest im Moment.
Radio FM4 / Ute Hölzl
Wos i in meine vier Wänd' tua
Die sechs Söhne der Liebe aus Kärnten haben musikalisch und von der Instrumentierung her einen der wertvollsten Songs des diesjährigen Contest abgeliefert. Vor allem die Tonfolge des Refrains begeistert mich jedes Mal aufs Neue und lenkt fast ein bisschen vom essenziellen Textinhalt ab. Zugegeben, etwas plakativ kommt sie schon daher, die Beschwerde über Überwachung und Eingriffe in die Privatsphäre. Jurymitglied Martin Blumenau moniert zu Recht, dass die Textzeile "Es geht di' an Scheißdreck an / Wos i in meine vier Wänd' tua" problemlos als Abgesang auf Zivilcourage und Rechtfertigung von etwa häuslicher Gewalt lesbar ist. Dass es dabei aber auch um tatsächlich ernste und virulente Themen wie die Vorratsdatenspeicherung geht, abstrahieren die Jurymitglieder, voran Doris Knecht, leider zu wenig.
Radio FM4 / Ute Hölzl
Es besteht Handlungsbedarf!
Den runden Tisch gibt es im Rabenhof sonst nur auf der Leinwand, wenn die Herren von Maschek bei ORF-"Elefantenrunden" drüberreden. Die Controverse bringt das Möbel aber nun tatsächlich auf die Bühne und beginnt auch im Dreier-Rap sofort mit der hitzigen Debatte. Ein amüsantes Feuerwerk der Floskeln und nichtssagenden Redewendungen sprinkelt über das Publikum und macht deutlich, was eh jeder weiß: Politik ist Schein und So-tun-als-ob. Auffallend ist jedoch, wie frappant die ganzen Stehsätze und Füllworte an die Wirklichkeit erinnern. Die Satire braucht einige Zeit um ihre notwendige Überhöhung über die Realität überhaupt durchzusetzen.
Radio FM4 / Ute Hölzl
Hippies rebellieren anders als die anderen
Das "Lied von der vertagten Weltrevolution" ist eine schöne Ausformung eines klassischen Protestthemas: die Anprangerung der Dauerausredner und "Ich-würd-ja-aber"-Sager, wenn es um das Thema der eigenen Beteiligung an der Verbesserung des gesellschaftlichen, sozialen, kulturellen, politischen Miteinanders geht. Leider wird die Darbietung des Songs von einer ziellosen und beliebigen Bühnenshow begleitet: Seltsam gewandete Jungmenschen werfen wahllos Luftballons, Zettel und anderes Zeugs gen Jury und Publikum. Was das mit dem Song und dessen Inhalt zu tun hat, bleibt bis zum Schluss unklar, inhaltlich und musikalisch gibt es auch zu wenig Anhaltspunkte und markante Momente, als das Tanaka länger als fünf Minuten im Gedächtnis bleiben würden.
Fotos: Ute Hölzl/Robert Glashüttner
Radio FM4 / Ute Hölzl
Mach mir kein' Spinat
Der Nino aus Wien hat nicht nur eine Hand voll BegleiterInnen auf die Bühne sondern auch einen lautstarken Fanclub in den Rabenhof mitgebracht. Die gemütliche Lagerfeuer-Atmosphäre passt perfekt in die Programmatik des Indie-Slacker-Folk vom "Spinat Song" und der ironisch gebrochenen Lethargie, die dadurch verbreitet wird. Frau Knecht hofft, dass ihr eigener Nachwuchs später mal ähnlich entspannt rebelliert, Herr Blumenau ist über die nonchalante Darstellungsform der Alltagsbeschwerde begeistert. Weil er sie laut eigener Aussage altersbedingt nicht mehr verstünde. Aber will hier überhaupt etwas verstanden werden?
Radio FM4 / Ute Hölzl
Schlau ist der Fuchs, Börse der Dax
Das Erste Wiener Heimorgelorchester (EWHO) ist die einzig dezidierte Elektronik-Formation des Abends und hat mit dieser Stellung gute Möglichkeiten, musikalisch zu punkten. Das Konzept, teures Equipment gegen kleine und billige Wegwerf-Heimorgeln zu tauschen und dadurch eine geballte Kraft an Underdog-Charme einzufangen, setzt in so einem Rahmen zusätzliche Akzente. Weil es das EWHO in der vier Mann hohen Originalbesetzung nun schon rund 15 Jahre gibt, weiß die Band über ihre Stärken naturgemäß bestens Bescheid. Die in gekonnter Dada-Manier ungeheuer starke Schlagwort- und Synonym-Zuweisung bäumt sich mit der hypnotischen Sound-Kulisse zu einer poetischen Protesthymne, einer brillanten Elektro-Minisinfonie der experimentellen Semantik. Wenn "Widerstand ist Ohm" durch seine Schönheit auch noch fast vergessen lässt, dass hier sowohl in Musik als auch Performance eine eindeutige Kraftwerk-Hommage mitschwingt, weiß ich, dass hier für mich einfach alles stimmt.
Radio FM4 / Ute Hölzl
Der redlichste Unternehmer der Welt
"Alle schlecht vorbereitet!" zankt Blumenau seine KollegInnen in der Jury an, wenn es um die Herkunft des Namens als auch um die Instrumentierung des Ski-Schuh-Tennis Orchestra geht. Der Name stamme von einem zum Scheitern verurteilten Kleinunternehmer aus Vorarlberg, der die einzig ethisch korrekte Verkaufspolitik darin sah, seine Ware zum Einkaufspreis anzubieten.
Die Interpretation der "Ode an die Jugendkultur" hat sich vom Straßenmusikanten-Klang des Ukulele-Gezupfe vom Vorfinale hin zu einem durchdachten Band-Zusammenspiel gewandelt. Beides hat seine Stärken, mir persönlich sagt der musikalisch eher monotone Song in der bunten Instrumentenmischung mehr zu und nimmt damit auch einen starken Sympathie-Anteil in Bezug auf den Text mit. Der Fingerzeig auf teils ohnehin bereits zu Zombies mutierten "Jugendbewegungen" ist zwar eine etwas billige und nicht besonders brisante Übung, trotzdem kann der Mann mit der kleinen Gitarre durch gut getextete Strophen überzeugen.
Radio FM4 / Ute Hölzl
Ladies with attitude
Wie viele MCs verderben den Brei? Dass bei MKS feat. NomadEE gezählte fünf Rapperinnen plus Sängerin sich sowohl sprachlich als auch platztechnisch nicht im Weg sind, beweist die zweite Auseinandersetzung dieses Protestsongcontest mit dem Thema Überwachung. Der "Große Bruder" der Multi Tasking Sisters geht leider inhaltlich zu wenig tief, nennt kaum klare Beispiele und verliert sich zu sehr in klischeehaften, sowohl inhaltlichen als auch körperlichen HipHop-Attitüden, die zu viel um den nunmehr heißen Brei herumposen. Die eigentliche Kritik dringt auch hier wieder in nur unzufriedenstellender Form zur Jury vor, woran erneut die Performer nur Teilschuld tragen.
Radio FM4 / Ute Hölzl
Als die jungen Kärntner wählten
Es ist ein dicht besetztes Minenfeld, das sich der adrette junge Sänger von The I Fratelli Ramoreo als Ort zum Verweilen ausgesucht hat: Ein Lied über das Kärntner Wahlverhalten in Form einer Umdichtung eines Falco-Songs, gesungen in einer teilweisen Imitation des affektierten Popstars. Was hätte alles schief gehen können! Der Mann hätte die BewohnerInnen eines gesamten Bundeslandes pauschal brüskieren, von der Schwere der Songvorlage erschlagen werden oder es mit dem Nachmachen von Falco übertreiben können. Geworden ist die Darbietung von "Young Romance" ein höchst talentierter Songwriter-Beitrag, in seiner Kritik pointiert und behutsam, in seiner Hommage dezent und mit genügend Freiraum zur eigenen Entfaltung. Hut ab!
Radio FM4 / Ute Hölzl
Die Schweizer aus dem Schnee
Da war doch noch was. Der Cliffhanger! Doch jetzt muss Herr Stermann mit der Info rausrücken. Der zehnte und damit letzte Beitrag des Abends hätte nämlich genauso gut vom Band kommen können wie von der Bühne. Obwohl das bei Protestsongcontest-Finali nicht erlaubt ist. Doch Dodo und seine Ska-Reggae-Formation hatte sich von der Schweiz aus stundenlang durch schneeverwehte Autobahnen kämpfen müssen, bis sie schließlich doch noch rechtzeitig im Wiener Rabenhof angekommen sind.
Nach über zehnstündiger Anreise lässt die Band nun ordentlich Druck ab und bindet das Publikum dabei vorbildlich ein. Erst nach kurzem Vorspiel geht der eigentliche Song los, die Aufforderungen zum Mitfiebern und -tanzen verhallen so nicht ungehört im Raum. Was das genau ist mit dem "Plan B", von dem sie da hemmungslos schwizerdütschen, können die meisten von uns Ost- und MittelösterreicherInnen in Publikum und Jury nur erahnen. Dass es eine durchaus zeitgemäße Form der Kapitalismuskritik ist, kommt jedoch spätestens nach dem zweiten Refrain auch ohne Übersetzungshilfe an.
Alle 10 Finalisten-Songs des Protestsongcontest 2009 gibt es zum Download.
Radio FM4 / Ute Hölzl
Wertungskrimi
Die Tradition besagt, dass der Vorjahressieger in der Pause, in der die Jury sich zur Wertung zurückzieht, ein paar Nummern zum Besten gibt. Rupert's Jazz Construction war der Sieger des Protestsongcontest 2008, mit einem Lied über verklärtes Aufbegehren, das dann doch gar keines ist ("Lehn dich auf"). Obwohl man die Wartezeit für Klogänge, das Besorgen von Getränken und aufgeregter Verarbeitung des gerade Miterlebten nutzt, hält sich die Rupert-Band auch über ihren Hit hinaus laut und interessant.
Radio FM4 / Ute Hölzl
Die wirklichen Adrenalinschübe schießen aber erst dann durch die Körper, wenn sich durch die Vergabe der Punkte zeigt, ob die eigenen Favoriten auch jene der Jury sind. Standardgemäß klaffen die Meinungen der Mitglieder untereinander stark auseinander, so dass eindeutige Tendenzen zunächst nicht auszumachen sind. Ist Der Nino aus Wien (5, ex aequo mit Ski-Schuh-Tennis Orchestra) zuerst noch auffallend gut im Rennen, entpuppen sich im letzten Wertungsdrittel Dodo (4), Squishy Squid (3) und The I Fratelli Ramoreo (2) als die wahren Durchstarter. Und als tatsächlich das Erste Wiener Heimorgelorchester das Rennen macht, kann ich mein Glück kaum fassen - während ein großer Teil des Publikums darüber verärgert ist. Wie jedes Jahr ist die Punktevergabe eine der aufregendsten Momente des Protestsongcontest, weil im Vorhinein die tatsächliche Reihung der Besten 5 nie auch nur ansatzweise vorausgesagt werden kann.
Radio FM4 / Ute Hölzl
Radio FM4 / Ute Hölzl
Widerstand ist Ohm
Die Orgler vor den Damen und Herren können es jedenfalls selbst nicht glauben, dass sie die diesjährigen Keppelkönige sind und wirken bei ihrer Zugabe - dem nochmaligen Aufführen des Siegersongs - etwas überrumpelt. Doch das ist in dieser blühenden Phase des Abends kein Faktor mehr, über den irgendjemand ein pedantisches Wort verliert. Schön war's. Nun ist das halbe Dutzend voll, Protestsongcontest! Und ich hätte mir nie gedacht, dass ich das jemals in solcher Wahrhaftigkeit schreiben würde: Bleib' uns gewogen!
Radio FM4 / Ute Hölzl
Video!
Ein Nachbericht in Wort und Ton:
und die Sieger: Das Erste Wiener Heimorgelorchester