Erstellt am: 13. 2. 2009 - 12:35 Uhr
Ollies Skateboard-Trick
Er wirkt deplatziert in seinem weißen, afghanischen Kaftan. Wie ein Wartender unter lauter Gehetzten. Oliver Percovich hat auf der ISPO in München, der weltweit größten Wintersportfachmesse, einen Standplatz. Bunte Polster aus grober Wolle, Broschüren mit Kindern auf Skateboards und der Schriftzug "Skateistan" ernten fragende Blicke. Rundherum sind sonst nur die neuesten Snowboards und die Trendfarben des Winters 2010 ausgestellt. Und Lutscher, Plastiksackerl und Kaffee zum Mitnehmen. Wenn es schon nichts zu kaufen gibt, wollen die Messebesucher zumindest Goodies nach Hause nehmen.
Doch am Stand des 34-jährigen Australiers wird die Messekrankheit nicht bedient. Gratis gibt es hier nichts. Man kann höchstens spenden und kriegt dafür ein T-Shirt, mit dem man dann für "Skateistan" wirbt - Afghanistans erste Skateboardschule, für die Oliver Percovich auf der ISPO Sponsoren sucht.
In Afghanistan, das bis heute nicht befriedet ist, fehlt es den Menschen an vielem - Medikamenten, Nahrungsmitteln, Schulmaterialen. Laut Oliver Percovich offensichtlich auch an Skateboards. „70 Prozent der Afghanen sind jünger als 25 Jahre. Die meisten sind arm und müssen schwer arbeiten. Die Möglichkeit, einfach nur mal Kind zu sein, fehlt völlig.“ Und genau da möchte "Skateistan" ansetzen und den Afghanen ihre Kindheit, die sie inmitten von Autobomben, Entführungen und Müllhalden verloren haben, zurückgeben.
Skateistan, Max Henninger
Vor zwei Jahren ist der Australier Percovich seiner Freundin nach Kabul gefolgt. Sie hatte dort einen Job, er sein Skateboard. Damit ist er, ähnlich wie mit seinem Stand bei der ISPO, ziemlich schnell aufgefallen. Halfpipes oder Rampen mit glatten Oberflächen gibt es in Afghanistan keine, nur kaputte Straßen und viele neugierige Beobachter. „Die Kinder sind gekommen und wollten mir das Board am liebsten unter den Füßen wegreißen und selbst damit fahren.“ Rasch war klar, Skateboarden verbindet und macht Spaß - in Amerika und Europa genauso wie in Afghanistan.
Nun kommen mehrere Dutzend Jugendliche regelmäßig zu den Treffpunkten, an denen Percovich und sein "Skateistan"-Team warten - mit Skateboards und dem dazugehörigen Equipment, wie Helm und Knieschützer. Ein alter, stillgelegter Brunnen dient derzeit genauso als Skatepark wie das Gelände eines Waisenhauses. Es kommen Straßenkinder und Kinder aus reichen Familien. Mädchen und Burschen. Paschtunen, die die Mehrheit der Bevölkerung stellen und Mitglieder der zahlreichen anderen Bevölkerungsgruppen.
Skateistan, Max Henninger
Obwohl Oliver Percovichs Projekt von den meisten Afghanen wohlwollend angenommen wird, ist es riskant. Einerseits weil der Alltag in Kabul gefährlich ist - erst am Mittwoch sind bei einem Anschlag von Taliban-Kämpfern 27 Menschen ums Leben gekommen - andererseits weil "Skateistan" vor allem junge Frauen ansprechen soll. Der sonst männlich dominierte Sport soll hier neu definiert werden. Während des Taliban-Regimes waren Frauen fast gänzlich vom öffentlichen Leben ausgeschlossen.
Skateistan, Max Henninger
Der Ganzkörperschleier, die Burka, war Pflichtkleidung und Schulbesuch verboten. In den Köpfen mancher Menschen sitzt die Vergangenheit noch tief. Veränderung ist zähflüssig. So wurde ein Mädchen schon mal von ihren Brüdern geschlagen, weil sie gemeinsam mit Burschen Skateboard gefahren ist, und eine Lehrerin wurde mit Steinen beworfen.
„Ich weiß, dass 'Skateistan' die afghanische Gesellschaft nicht verändern kann, aber es soll den Jugendlichen zumindest Möglichkeiten zur Veränderung bieten.“, meint Percovich realistisch. Hilfe zur Selbsthilfe also, die der 16-jährige Straßenjunge Mirwais Ghulam Mohammad bereits angenommen hat. Früher hat er um ein paar Cent Autos gewaschen. Heute ist er bei "Skateistan" angestellt. Er kümmert sich dort um das Skate-Equipment, koordiniert die Übungsstunden und kann damit seine 8-köpfige Familie finanziell unterstützen. Er hatte die Chance, das Hobby zum Beruf zu machen.
Skateistan, Max Henninger
"Skateistan" ist in den letzten Monaten stetig gewachsen, was vor allem mit dem unermüdlichen Engagement des 34-jährigen Gründers zu tun hat. Percovich und sein Team haben sich in die afghanische Gesellschaft integriert. Im Gegensatz zu den Mitarbeitern vieler anderer Hilfsorganisationen, die nur noch in gepanzerten Fahrzeugen unterwegs sind, fährt die "Skateistan"-Truppe mit dem Motorrad durch Kabul. "Man muss schon ständig auf der Hut sein und kann sich nicht einfach frei bewegen. Aber warum sollen wir mehr Schutz genießen als die Afghanen?“
So viel Idealismus wird von der Bevölkerung mit Vertrauen belohnt. Von Sponsoren mit Geld. Das emsige Klinkenputzen, das Oliver Percovich in den letzten Monaten betrieben hat, hat sich ausgezahlt. Der Bau einer Skateboard-Schule mit eigenem Skatepark steht mittlerweile fest. Jugendliche zwischen 5 und 18 Jahren sollen dort Skateboardfahren lernen, Sprachkurse bekommen und das machen können, was ihnen Spaß macht. Dafür hat die deutsche, norwegische und kanadische Botschaft finanzielle Unterstützung angeboten, und vor kurzem ist eine Skateboard-Lieferung aus Deutschland eingetroffen. Jetzt müssen die Jugendlichen nicht mehr Schlange stehen, um über Bordsteinkanten zu hüpfen und Ollies zu lernen. Aber sie müssen sich gedulden, um Ollie, wie sie Oliver Percovich freundschaftlich nennen, wieder zu sehen.
Skateistan, Max Henninger
Ollies Skate-Botschaftertätigkeit ist noch nicht abgeschlossen. Termine mit diversen Firmen und Interviews mit der Presse stehen noch an. "Skateistan" soll schließlich das Sprachrohr der afghanischen Jugend werden, das mit dem sie die Welt erreichen kann und umgekehrt. Nicht gleich heute. Aber vielleicht morgen oder übermorgen. Oliver Percovich ist zuversichtlich. Und er ist Einer, der in seinem weißen, afghanischen Kaftan warten kann. Den Gehetzten wird irgendwann die Puste ausgehen. Ihm wohl nicht so bald.