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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

12. 2. 2009 - 17:47

Journal '09: 12.2.

Reli.

Eines der (inhaltlich) einschneidenden Erlebnisse meiner Schulzeit war der Tag irgendwann in der Unterstufe, als mein Lateinlehrer eine Stunde lang außerplanmäßig über diverse Geschehnisse an der Schule (es gab einen Todesfall, ein kleines Mädchen war an Krebs gestorben, das war der Auslöser) und in der Welt referierte - völlig losgelöst von jedem Unterrichts-Stoff.

Latein

Der an der (traditionell konservativen) Schule als sehr konservativ angesehene Mann, einer der Stars des Hauses, ein echter Prof der alten Schule, landete irgendwann bei den Todesurteilen, die in der damals Spanien beherrschenden faschistischen Franco-Diktatur ausgesprochen wurden und die öffentlichen Schlagzeilen beherrschten. Es war von einem Rückfall ins politische Mittelalter die Rede, damals, mitten in den 70er Jahren.
Mit einem enormen emotionalen Schwung, mit dem er, der alte Prof, da ausgeholt hatte, spannte er den Bogen vom Tod des unschuldigen Mädchens zum Tod für die angeblichen Terroristen (Separatisten und Widerstandskämpfer gegen eine menschenverachtende Diktatur, die also aus gutem Grund und völlig gerechtfertigt einen illegitimen Zustand bekämpften, Menschen mit Mut), die politische Gefangene waren und aus politischen Gründen umgebracht werden sollten - einen seriösen Tatbeweis blieb die Militär-Justiz selbstverständlich schuldig.
Ich war bereits als Unterstufler sehr am gesellschaftspolitischen Zustand der Welt interessiert, und weil mir klar war, dass ich weder meiner kommunistisch bewegten Tante noch meinem seit der von ihm miterlebten Schlacht von Tobruk rommelfanatischen Onkel trauen konnte, waren die An- und Aussagen von Menschen, die vielleicht was wissen oder verstehen könnten, durchaus nicht unwichtig.

Todesstrafe

Ich bin mir auch nicht so sicher, ob die finalen schreienden Ausbrüche, die die Todesstrafe als einzige Möglichkeit, sich gegen widerständlerische Mörder (und der Prof betonte das Ö in Mörder als wäre er Oskar Werner) durchzusetzen, verherrlichten und die klare und deutliche ("Ich sage JA zur Todesstrafe") Bejahung, mit der er durchs Klassenzimmer schritt wie ein Tiger knapp vorm Sprung, nicht den einen oder die andere meiner damaligen Klassenkollegen in eine Richtung geleitet oder auch nur unterschwellig beeindruckt haben.

Ich kann mich erinnern, dass nachher zumindest alle verstört waren, über die Art, in der uns da jemand seine inneren Dämonen, seinen persönlichen Wahnsinn und auch seine protofaschistische Weltanschauung offenbart hatte. Die meisten waren allein von der Form wie erschlagen - die wenigen politisch Wachen unter den Klassenkollegen hatten sowieso ihre Haltung, aber die inhaltlich Aufnahmefähigen, die sich nicht so sehr trauten, Meinung zu äußern, bei all denen bin ich mir nicht so sicher, ob sie nicht assoziativ immer automatisch den brüllenden Professor Riebl vor sich sehen, wenn es um die Todesstrafe oder Spanien oder Krebstod oder ich weiß nicht was geht.

Ich weiß, dass ich den alten, nach diesem Ausbruch noch fahriger, wirrer und ältlicher agierenden Prof danach abgrundtief verachtet und von ihm inhaltlich nie mehr etwas angenommen habe - meine Ohren waren bei allem, was er abseits von Latein äußerte, auf Durchzug. Wenn er einen der alten Autoren speziell lobte, hab ich speziell genau nachgeschaut, was für einen Background dieser Mann hat, ob sich da auch ein Monster, das ein Terror-Regime führt, dahinter verbirgt.

Reli

Mein Religionslehrer war im Gegensatz zu den mehreren katholischen Profs, die allesamt irgendein kirchliches Amt hatten, als einziger evangelischer Lehrer ein weltlicher Mann, aber leider eine inhaltliche und formale Katatstrophe.
Es war selbst uns 13-Jährigen ein Leichtes ihn nicht etwa durch formales Mobbing oder andere Kindereien fertigzumachen - wir schafften das mit inhaltlicher Argumentation. Jemand, der stark am Kirchen-Dogma hängt, sich dem realen Leben verweigert und glaubt, damit bei Halbwüchsigen durchzukommen, der ist schief gewickelt und arm dran. Unser Ulli, der Prof Ulreich, hatte ein großes O auf der Stirn, wenn er das Klassenzimmer betrat - und er wusste es. Er wusste, dass er, wenn er uns nicht singen oder irgendetwas Lustiges machen ließ, bei der erstmöglichen Gelegenheit in eine Diskussion verwickelt werden würde, aus der es kein Entkommen gab.
Zugegeben: diesen Mann hab ich auch verachtet, wenn auch auf eine andere Art und mit leisem Mitleid versehen.

Abschaffen

Weil gerade diverse Brüder der beiden wichtigsten Religionen dieses Landes (die katholischen Christen und natürlich der Islam, der die Evangelen längst überholt hat) sich dieser Tage sich in Peinlichkeits-Wettbewerben, was Niedertracht, Verhetzung und bewusste Verblödung (letzteres war ja eines der einträglichen Hauptgeschäfte der Amtskirche über Jahrhunderte von Mittelalter) betrifft, gerät auch der Religions-Unterricht an sich in die Kritik.
Man plädiert (wie hier der Profil-Chefredakteur) sogar für die Abschaffung.

Nachdem mir klar war, dass mir der alte Ulli genau gar nichts zu irgendeinem Thema beibringen würde können, wollte ich mit 14 aus dem Reli-Unterricht aussteigen. Ich wurde überredet, das nicht zu tun.
Und zwar von meinem Vater.
Mein Vater ist o.B., ohne Bekenntnis.
Sein Vater ist gemeinsam mit ihm, als er noch ein Kleinkind war, aus der Kirche ausgetreten - und zwar als sich die heimische Amtskirche im Austrofaschismus natürlich auf die Seite der Staatsmacht stellte und die Ausschaltung der Demokratie und die Niederknüppelung der Arbeiterschaft guthieß und eine insgesamt derart lauwarme Haltung einnahm, dass es ihr in der Folge auch extrem schwerfiel, sich gegenüber dem Nazi-Terror richtig zu positionieren. Auch hier entschloss sich die Amtskirche zu einem windelweichen Wegschaun. Die real existierenden Widerstands-Taten von Kirchenmännern&frauen während des NS-Terrors sind und waren allesamt Einzelinitiativen.
Mein Vater hatte also keinen seriösen Beweggrund zum Wiedereintritt nach 1945.

Nicht abschaffen

Trotzdem hat er mich breitgeschlagen. Mit Argumenten. Ich weiß nicht mehr genau, wie er's gemacht hat, wahrscheinlich hat er auf die Bedeutung, die Religion in unserer gern scheinheiligen Gesellschaft immer noch so hat, hingewiesen und dass es durchaus wichtig wäre, da Bescheid zu wissen, sich quasi dagegen zu immunisieren.

Es entstand hier also eine ähnliche Situation wie beim Auszucker des Latein-Professors: Um zu verstehen, wie die Fundamentalisten, die in Österreich den Takt durchaus mitangeben, so ticken, ist es wichtig ihre Argumentation, ihre Kommunikations-Wege zu betrachten.
Offensichtlich hat mich mein Vater mit 14 als stark genug eingeschätzt, nicht in derartige sektenähnliche Ideologien reingezogen und selber zum Fundi zu werden.

Also hab ich weiter Reli gehabt, und als der alte Ulli endlich pensioniert wurde, kam ein neuer, jüngerer Mann, mit dem es sich dann in der Oberstufe durchaus trefflich über Religions-Philosophie und ähnlich reden ließ.

Und ich bin selbst dem alten, mittlerweile längst verstorbenen Riebl für seinen letzten den Faschismus und die Todesstrafe so verzweifelt verteidigenden Auszucker dankbar - weil er mich dazu gebracht hat, über einiges mehr und stärker nachzudenken, als ich es im Alltags-Schultrott sonst getan hätte.

Reli

Außerdem sagt es mir, dass Dämagogie und Dummheit keine Exklusiv-Angelegenheit des Religions-Unterrichts sein müssen, dass antisemitische Islam-Lehrer und ihren sich einem strafenden Gott anbiedernden homophoben katholischen Kollegen keinen Einfluss auf den Lehrplan haben sollten. Und es sagt mir, dass die leicht primitive "Abschaffen!"-Debatte zu kurz greift.
Weil in Österreich, diesem von Religion wie der Guglhupf vom Staubzucker überzogenen Land, das für sowas wie Ethik-Unterricht nicht reif ist (dazu fehlt die allgemeine Diskurs- und Abstraktionskultur), ist ein Religions-Unterrricht allemal sinnvoller als keiner.