Erstellt am: 11. 2. 2009 - 08:25 Uhr
Mama ist traurig, Papa ist tot
Es ist ja so: auf einem Filmfestival hat man es mit besonderen (Gruppen-)Dynamiken zu tun, die nicht unbedingt kompatibel sind mit dem üblichen Kinogeher-Alltag. Man manövriert sich auch durch ein nicht wirklich angenehmes Soziotop: die Film-Journaille – dieses abschätzige Wort sei mir verziehen – mag zwar rein ökonomisch nicht nur aufgrund von La Crise, sondern auch wegen diverser, schon seit Jahren wirkender Strukturverschiebungen am Medienmarkt langsam aber sicher in den Abgrund taumeln, schreitet aber mit angeschwellter Brust und hoch erhobenem Haupt, fast schon ehrenmännlich oder –fraulich, ihrer Pflicht entgegen, allzeit bereit mit spitzer Feder und zynischer Klappe zu loben oder zu vernichten, to love or to destroy. Schnell lässt man sich mitreissen: da wird applaudiert und gepfiffen, verspottet und ausgebuht: letzteres ist dem neuen Film des schwedischen Regisseurs Lukas Moodysson widerfahren – und der zeigte sich anschließend konsterniert aufgrund der kollektiven Verachtung, die seinem Wettbewerbsfilm Mammoth entgegen gebracht worden ist.
Memfis Film
Ich selbst war eine Zeit lang eng verbunden mit diesem Regisseur: sein Coming of Age-Drama "Fucking Amal" hat mich gerade zur richtigen Zeit erwischt, als ich selbst wie die Protagonistinnen im Film, in einem kleinen Ort auf dem Land irgendeiner Erlösung aus diesem Mief entgegen fieberte. Dann, nach "Lilya 4-ever" musste ich ablassen von Moodysson, auch da mich dieses Drama mit seinen Hochglanzbildern von Zwangsprostitution verletzt und abgestossen hat, der Schwede in meinem Kopf zu einem grundunsympathischen Menschen heranwuchs, der die Gnade und Schönheit dieses Mediums missbraucht hat für Manipulationskino aus der untersten Schublade.
Erinnerungen an Ausgestorbene
"Mammoth" ist jetzt also seit mehreren Jahren der erste Moodysson-Film, dem ich mich bewusst wieder ausgesetzt habe: neugierig, wiewohl mit ausgesprochen niedrigen Erwartungen. Schon auf dem Papier ließ mich die Geschichte erschaudern: wieder sollten westliche Wohlstandsmenschen mit Armutsbildern aus der armen Welt zusammen geschweißt werden. Ich dachte an "Babel", diesen verabscheuungswürdigen Beschwichtigungsfilm mit seinem stupiden Weltbild und andere, ähnlich schlechte Filme, dachte aber auch an die gute Besetzung von "Mammoth", nämlich an Gael Garcia Bernal und vor allem an Michelle Williams, deren zerbrechliche Anmut etwas hat von den Leidenden des klassischen Hollywood-Kinos.
Memfis Film
Die beiden spielen ein reiches Jungpaar – sie Ärztin, er Videospiel-Geek, dessen Fan-Webseite zu einem Multimillionendollar-Ding geworden ist -, die in einer großen Wohnung in Manhattan ihren Traum von einer Kleinfamilie inklusive philippinischer Nanny leben, schon bald aber feststellen, dass sie kaum mehr genügend Zeit haben für sich selbst, für einander. Moodysson fängt ihre Liebe und ihre Leere in schönen Bildern mit schöner Musik (etwa von Cat
Power) ein, erzählt aber parallel von zwei Buben auf den Philippinen und schließlich auch von Bernals Geschäftsreise, die ihn nach Thailand führt.
"Mammoth" ist ein Familienfilm geworden, vielleicht sogar ein - trotz seiner konstanten Manipulation und seiner vulgären dramaturgischen Kniffe - ehrlicher und aufrichtiger. Wieso? Weil er aus der Perspektive eines weißen Wohlstandsmannes - aus welcher Perspektive sollte Moodysson sonst erzählen? - erzählt, weil er – durchaus naiv, viel zu kurz gegriffen und nicht selten auch ziemlich dumm – versucht, eine Relation herzustellen zwischen dem Hier und dem Dort, zwischen dem Reichtum und der Armut. Nicht zuletzt auch, weil er sich traut hinzuweisen, auf die emotionalen Echos der zeitgenössischen Familienzerstreuung: Michelle Williams etwa sieht traurig mit an, wie ihre Tochter eine intensivere Beziehung zur Nanny als zu ihr selbst entwickelt; Bernal lernt in Thailand eine junge Frau kennen, die sich in einer Touristenbar prostituiert, um ihr Kind durchzubringen; und Gloria, die Nanny von den Philippinen, arbeitet in den USA, um ihren beiden Söhnen ein besseres Leben zu ermöglichen, geht aber fast daran zugrunde, dass ihre Kinder nicht bei ihr, sondern auf der anderen Seite der Weltkugel leben. Ja: es ist alles zu kurz gegriffen, alles verknappt, aber ist es deshalb falsch? Ich stelle die Behauptung auf, dass die versammelte, großkopferte Kritikerschaft "Mammoth" auch deswegen ausgebuht hat, da er sich – aber nur, wenn man es sich besonders leicht machen will – als erzkonservativ und reaktionär (also: Mütter bleibt bei euren Kindern!) deuten lässt.
Merci, chéri, adieu!
Ich mag hier gar nicht groß für diesen Film kämpfen, auch weil er mir selbst nicht wirklich gefallen hat: aber es ist ärgerlich, dass ein Pomp & Nothing-Film wie Stephen Frears unfassbar öder Belle Epoque-Kostümrausch Chéri abgefeiert wird, weil er eben mehr vom ewig Gleichen serviert. Der britische Edel-Regisseur arrangiert darin Michelle Pfeiffer (welcome back!) als gealterte Mätresse, die sich mit den erarbeiteten Reichtümern ein angenehmes Leben leisten kann, und schließlich den gut aussehenden, 19-jährigen Sohn einer Kollegin (Kathy Bates in einer ihrer schlechtesten Rollen) liebt und aushält. Die ohnehin schon hauchdünne Erzählung, basierend auf einem Roman der Schrifstellerin Colette, löst sich zwischen Frears Zierrat und Ornament in Luft auf: übrig bleibt eine Bö von Exzess, die sich erst nach anderthalb Stunden von äußerster Nutzlosigkeit auflöst.
Berlinale
Willkommen im Grindhaus!
Insgesamt beglückender hingegen sind die österreichischen Beiträge zur diesjährigen Berlinale: Jetzt is schon wieder was passiert. Wer die Bücher von Dr. Wolf Haas gelesen oder eine der beiden früheren Verfilmungen – "Komm, süßer Tod" oder "Silentium!" – der blutigen, schmäh-gewaltigen Abenteuer des urösterreichischen Existenzialisten und Detektivs Brenner (Josef Hader; wer sonst?) gesehen hat, weiß nun bereits, was in den zwei Stunden von Der Knochenmann auf ihn zukommen wird. Oder doch nicht?
Wolfgang Murnberger schätze ich als Regisseur nicht, finde auch, dass er noch jeden Brenner-Film überinszeniert und mit ästhetischen Gimmicks vollgeramscht hat; eine Eitelkeit, die dem Hader überhaupt nicht steht. Und auch "Der Knochenmann" erinnert in den ersten Minuten an einen schlecht nach-inszenierten CSI-Vorspann mit all diesen Tiefenschärfe-Spielereien und Großaufnahmen und harten Lichtwürfen. Ist der erste visuelle Schock aber überstanden, dann darf man sich freuen auf eine ausnehmend gute Krimi-Komödie, jedenfalls auch auf die bisher beste Haas-Verfilmung.
Berlinale
Der Brenner arbeitet für seinen Wiener Spezi Berti (Simon Schwarz) als Geldeintreiber, soll einen in der steirischen Provinz untergetauchten Künstler namens Horvath aufspüren. Just im Gasthof Löschkohl angekommen, stellt sich der Gesuchte nicht nur als – angeblich – verschwunden heraus, der charmante Grantler stolpert auch in seinen bisher vielleicht abgründigsten Fall. Und der führt ihn – Österreich verpflichtet! – schließlich in einen Keller, in dem ein Knochenzerkleinerer vor sich hin rattert. Josef Hader ist ein Genie und außerdem Bestbesetzung für den Brenner: in "Der Knochenmann" gesellen sich noch Josef Bierbichler als Seniorwirt und Birgit Minichmayr als Juniorwirtin Gitti hinzu, in die sich der Brenner ein wenig verliebt.
Kill Daddy Good Night
Wenn Hader und Murnberger österreichische Seelenkrankheiten als unterhaltsame Groteske zubereiten, dann geht "Nacktschnecken"-Regisseur Michael Glawogger den umgekehrten Weg. Vielleicht. Der immer wieder wegen emotionaler Kälte in seiner Inszenierung angeklagte Österreicher hat sich mit Josef Haslingers Das Vaterspiel einen schwierigen Roman als Vorlage für seinen Film ausgesucht: die Geschichte eines Politiker-Sohns (Helmut Köpping), der seinen Vater (ein Casting-Coup: Christian Tramitz) so sehr verachtet, dass er ein Videospiel programmiert, in dem er ihn mit diversen Waffen umbringen kann. Und: die Geschichte eines jüdischen Mannes (Ulrich Tukur), der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs den Schlächter seiner Familie sucht, findet (!?) und anzeigt. Und: die Geschichte einer Weltenbürgerin (Sabine Timoteo), die jetzt in New York lebt und ihren Großvater, einen Alt-Nazi, in seinem Kellerversteck versorgt.
Berlinale
So. Und jetzt versucht mal, diese drei Erzählebenen schlüssig ineinander zu schieben. Und: kommt was dabei heraus? Ich bin mir auch nicht sicher, ob "Das Vaterspiel" einen guten Ausgang nimmt. Es ist eine Arbeit, die oberflächlich so kalt und distanziert ist, dass sie schwerstens verstören muss. Alles, vom Schauspiel über die Figuren hin zum Drehbuch, ist ein Konstrukt und funktioniert auch nur als Konstrukt, alles ist sauber. Aber eben dann, wenn sich die Eben ineinander zu verzahnen beginnen, dann kriecht aus dieser Reinheit der reine Horror, etwas Abgründiges, etwas Unerklärliches, da durch die disharmonischen Kompositionen der Olga Neuwirth nur noch verstärkt wird. Glattes Erzählkino zwischen Avantgarde und Drama, in mehrfacher Hinsicht eine wünschenswerte und sehenswerte Zumutung.