Erstellt am: 9. 2. 2009 - 16:53 Uhr
Journal '09: 9.2.
Nein, das ungesund aufgedunsene Gesicht der deutlich von der Einnahme von zu viel Substanzen, die gleichzeitig niederdrücken und aufhellen, geschädigten Whitney Houston ist nicht das aktuelle Gesicht der Musikindustrie. Es mag signifikant für einen Teil davon sein - den, der die Flucht nach vorne, ins Botox, antritt. Von denen später mehr.
Frau Houston eröffnete die heurigen Grammys, das weltweit wichtigste Showcase der populären Musik, und es war erschreckend, wie sie schwankte - inhaltlich.
Nun sind Selbstabfeierungen immer peinlich und nah am Kitsch gebaut - während aber etwa die Oscars immer einen roten Faden und Witz, die viel ironisch-familiäreren Golden Globes immer einen perfid-subversiven politischen Unterton haben und selbst irgendwelche Nischen-Galas wie zb die der Latinos (die ich zufällig in New York gesehen hab') einen eigenen Charme entwickeln, unterliegen die Grammys seit Jahren einer grotesk holprigen Inszenierung mit unlustigen Ansagen, geschmacklosem Styling und grauenvoller Performance. Wobei es da erstaunlich wurscht ist, ob geplaybackt oder live gesungen wird: es klingt immer scheiße und schaut auch meist scheiße aus. Maximal klassische Rockbands wie U2 kommen da gut rüber - alles andere geht in einem gräßlichen Sound-Brei unter.

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Der Zwang zur Durchmischung
Das hat auch damit zu tun, dass die Grammy-Organisatoren (die alte Garde der Major Companies, also aussterbende Dinosaurier) einen fast schon pathologischen Hang zu Live-Kooperationen zwischen "den Generationen" und "den verschiedenen Welten" haben.
Und wenn man die hochschwangere M.I.A. in eine völlig absurde Rat-Pack-Imitiation mit den vier derzeit wichtigsten, aber zu reinen Bauchredner-Puppen umfunktionierten Rap-Performern schickt, dann klingt das zwar mutig (und es sieht auch - dank M.I.A.s Kostüm - so aus), muss aber in brachialer Lächerlichkeit enden. Und es mag nicht so schlimm aussehen, wenn man den alten B.B.King in eine Kombination mit ein paar geschleckten Mainstream-Country-Burschen schickt um Bo Diddley zu ehren/spielen - aber es ist das schlichte kalte Grauen.
Es gibt aber - gerade bei einer Veranstaltung wie dieser - einiges zu entdecken.
Etwa, dass das große Kirchen-Schisma in der Popularmusik immer noch gilt: da wäre England und da wären die USA - und die unterschiedlichen kulturellen Ansätze machen immer noch viel aus.
Denn die einzigen künstlerisch auch nur ansatzweise relevanten Auftritte kamen von englischen Künstlern - M.I.A., Radiohead, selbst die an diesem Abend gräßlichen Coldplay. Die inmitten des unerträglichen R&B-Mainstream-Schleims gerade noch erträglichen Damen Duffy oder Adele (allesamt eh schon Amy Winehouses für die ganz Armen) - Engländerinnen.

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Und auch der große Sieger des Abends, den die Dinosaurier vor den Vorhang holten, weil sie ihre gerade sehr sehr sichtbare Vergänglichkeit nicht ertragen: ein Pflänzchen aus Westbromwich, Robert Plant of Led Zep-Fame.
Wie so oft: UK vs US
Warum sich die britische Szene als zumindest ansatzweise Neuem aufgeschlossen präsentiert, während sich der US-Mainstream-Markt den Zentrifugal-Kräften des Marktes ergibt und immer mehr in eine wabbelige Mitte driftet, in ein schwarzes Loch, das alles aufsaugt, ist gerade angesichts der aktuell durch die Obama-Wahl freigesetzten Kräfte unerklärlich.
Wo selbst der hinterdümmste TV-Star bei den Emmys rührende oder womöglich schlaue Worte fand, um "the state of the nation" einzufangen, versagten die Grammy-Preisträger und Auftretenden hier flächendeckend. Die einzige direkte Erwähnung kam von einem Rap-Star der B-Klasse, dem die Wurschtigkeit nur so aus dem völlig geleerten Blick fiel. Das war ebenso erbärmlich wie das Gestammel des einschlägigen Preisträgers Lil Wayne.
Sie sind allesamt (durchaus freiwillige) Opfer dieser Tendenz sich in der wabernden Mitte zu treffen.
Denn: die beiden den US-Massengeschmack am direktsten treffenden und definierenden Genres Country bzw RnB sind mittlerweile musikalisch völlig identisch. In beiden Bereichen werden substanzfreie Volkslied-Schlager mittlerweile völlig gleichartig interpretiert. Die Geige, das Banjo oder das kecke Cowgirl-Rockerl einerseits und die Bläser, das Gospel-Schmalz und das Sonntags-Gottesdienst-Outfit andererseits dienen nur noch als Geste, als Wiedererkennungs-Code - in der Musik kommen sie kaum noch vor.
Das große Wuseln in der wabbrigen Mitte
Die handzahmen HipHop-Würstl der aktuellen Garde lassen sich da ebenso gnadenlos reinziehen - nicht nur, indem sie sich als Imitate für altes Zeug (Rat Pack, Motown) niederreißen lassen, sondern auch durch ihre Kostümierung, die sie als das, was sie für die zu 90% weißen Musik-Käufer darstellen sollen, punzieren: als Coon, als lachhafte Minstrel-Variante, als rassistisches Stereotyp.

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Während in früheren Jahren jemand wie Kanye West das durch die offensive Verwendung von schwarzer Musik-Kultur konterkarierte, ergaben sich die aktuellen Rap-Künstler heuer komplett (die RnB-Gesangs-Puppen, seit jeher reiner Spielball von Produzenten und Marketingleitern, haben da sowieso nix zu reden). Und das im Nachhall der Obama-Inauguration. Das ist der wahre Jammer.
Weil es hier nur brave Diener, also eifrige Condoleezas und General Powells gibt, aber niemanden, der den Mumm für mehr hat, ist ausgerechnet die Musikbranche, die sich ethnisch immer als Durchmischungs-Vorreiter gesehen hast, just jetzt, das letzte Refugium der alten weißen Männer.
Die dann einen, mit dem sie sich identifizieren auf den Thron wählen: eben Robert Plant. Der (selber nahe an Mickey Rourke oder Mick Hucknell gebaut) hat mit einem zugebotoxten Gremlin von Co-Sängerin und dem back-to-the-Blues Produzenten T-Bone Burnett ein zeitlos schönes (und auch recht fades) Album gemacht - das reicht für die Musik-Präsidentschaft.
Die sinnstiftende Bedeutung von Popmusik wird eben - da bin ich eng bei Robert Rotifers Idol John Harris - drastisch überschätzt. Egal ob wie hier im Mainstream-Bereich oder im nicht wesentlich anders organisierten Alternative-Sektor.