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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

8. 2. 2009 - 23:38

Journal '09: 8.2.

88. Über Ultras.

Er habe die Bedeutung der Zahl 88, nein, besser, die Bedeutung, die andere der Zahl 88 zuschreiben würden, erst unlängst erfahren, erzählt Heinz-Christian Strache in der Pressestunde von heute.
Dass man darin in Neonazi-Kreisen einen Code für HH (8. Buchstabe im Alphabet) - also Heil Hitler sehe und den (zwinkerzwinker) unter Wissenden als einander erkennendes Entree verwenden würde - wäre ihm neu. Gleiche gilt für 18, also für Adolf Hitler.

Mir kommt dieses Bekenntnis des FP-Chefs zur Unwissenheit - denn immerhin war der junge Strache mit der Tochter des österreichischen NDP-Chefs Norbert Burger verlobt, in dessen Umgebung derlei selbstverständlich immer schon bekannt war - irgendwie bekannt vor.

Nicht, weil die Dritte-Lager-Chef-Strategen Mölzer&Höbelt vor wenigen Tagen wie Statler&Waldorf auf der Club 2-Couch saßen und dort blauen Auges dasselbe behaupteten - dass sie nämlich durch das erstmalige Durchschauen der Neonazi-Site auf der die Mitarbeiter des 3. Parlamentspräsidenten Graf diversen Nazi-Devotionalien-Dreck geordert hatten, überhaupt erst auf diese 88er-Merch aufmerksam geworden wären.
Nein, das konnte man bei näherem Hinsehen (und zwar auf die verschämten Grinser der beiden) unter überspitzter Gaghaftigkeit abhaken.

88-Ultras

Ich kenne dieses offensive Unwissen über zentrale Codes einer wichtigen Umfeld-Kultur von Rapid Wien, und den dortigen Ultras. Die organisierten Fans des beliebtesten österreichischen Vereins waren in den 80ern arg von Neonazi-Gruppen unterwandert worden - was sogar den Verfassungsschutz interessierte.
Glücklicherweise gelang die Loslösung von den bekennenden Neonazis - stattdessen kamen diverse unpolitische Fan-Gruppen auf; als wichtigste die Rapid-Ultras. Die sind auf ihr Gründungsjahr, 1988, dermaßen stolz, dass sie es als wichtigstes Zeichen vor sich hertragen, Fahnen, T-Shirts, Transparente etc.
Kein anderer österreichischer Fanclub bezieht sich derart deutlich auf eine Jahreszahl, schon gar nicht auf eine späte - in Fußball-Kreisen ist Alter und Tradition wichtig, Newcomer werden verachtet. Andere Fan-Clubs haben auch ihre Gründungsdaten, aber nur die Rapid-Ultras aber kuscheln in der Außendarstellung auschließlich damit, mit ihrer 88, als ginge es um ihr Leben.

In den vielen mäßig lustigen Diskussionen mit Sprechern der Ultras (egal ob im Forum meines Fußball-Journals oder per Mail) war es dasselbe Unwissen, dieselbe Empörung, dass man überhaupt auf die Idee kommen könnte, 88 einzig als Nazi-Code zu sehen und deshalb eine Nähe festmachen zu können.

Den Rapid-Ultras war und ist nicht klarzumachen, dass ein Verein mit eindeutigen Neonazi-Fan-Vergangenheit, die bis zum Verfassungsschutz ging, sich in keinerlei Umfeld (also auch nicht in der Fan-Kultur) mit Nazi-Codes schmücken darf, wenn er nicht als Heuchler dastehen will. Auch nicht unabsichtlich - wie durch die übertriebene Verwendung einer womöglich wirklich zufälligen Jahreszahl.
Das geht schon anderswo nicht, in Österreich, dem Kern- und Ausgangsland des NS-Terrors, ist das ein Bruch der primitivsten sozialen Anstandsregeln, ein Tritt gegen die Menschenwürde, eine Rückkehr zur philsophischen und geistigen Barberei - man schließt sich damit aus der Wertegemeinschaft "Mensch" aus.

88/18

Nun verwendet also auch FP-Chef Strache die Unwissenheits-Linie der Rapid-Ultras.
Strache, von politischen Gegnern gern als Hooligan bezeichnet, hätte sich damit verbessert: ein Ultra ist ein Edel-Fan mit starker Bindung zu seiner Sache.

Es würde also alles passen.
Vor allem die Doppel-Strategie, die hinter der vorgegebenen Naivität, der blauäugigen Unwissenheit, steckt: den unpolitischen, streitunlustigen, wirklich naiven Freunden signalisiert man damit, dass man nur das arme Opfer von bösen Medien und womöglichen Gutmenschen ist, die nix als Negatives im Sinn führen - und damit ja überhaupt nur die Übervölkerung durch Ausländer-Gesindel rechtfertigen wollen; den anderen, den wissenden, den Auskennern, den Code-Verwendern zeigt man ebenjenen - den Code - und spielt damit, macht ihn durch Drüberreden sichtbar und wieder ein Stück gesellschaftfähiger. Wie etwa Höbelt, der das Tragen eines 88-T-Shirts als jugendkulturell logische Provokation sieht, die eigentlich von allen durchgeführt werden müsste.

Weil sich im Forum zu dieser Geschichte ein paar Verharmloser, Leugner und Lügner umtun - auch Monate später, im Juni, ist das Problem um die bewußte Verwendung von Nazi-Codes virulent und ungelöst, wie diese Kurier-Geschichte belegt.

In diesen beiden, zahlenmäßig nicht unbeträchtlichen Kreisen bekommt Strache (ebenso wie in kleinem Rahmen die Ultras mit ihrem Dauer-Bekenntnis zur 88) Applaus von den Code-Kennern und Schulterklopfen von den diesbezüglich Naiven.

Und er hat wieder einmal die Grenzen verschoben - weil das Bekennen seiner persönlichen Naivität jetzt öffentliches 88-Shirt-Tragen durch andere, sich ebenso naiv gebende, jetzt durchaus rechtfertigen könnte.