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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

8. 2. 2009 - 19:12

Fackeln im Sturm

Der Wettbewerb der Berlinale zeigt Tommy Lee Jones im Sumpf und Jude Law mit falschen Wimpern

Nein, ich lese nicht nur Filmbücher. Vielleicht vorwiegend, aber sicher nicht ausschließlich. Letzthin hat mich zum Beispiel ein Buch von einem britischen Autor namens David Peace beeindruckt. "1974" heißt es und ist der erste Teil eines Quartetts, das autobiografische Erinnerungsstücke des Autors mit Kriminalgeschichten zu atemlosen, stellenweise in Stakkato-Lyrik verfassten Thrillern zusammenführt.

Stimmungsmäßig hat mich der neue Film des französischen Regisseurs Bertrand Tavernier an dieses Leseerlebnis erinnert: Er heißt In The Electric Mist und ist die Adaption eines Hard Boiled-Romans des US-amerikanisches Autors James Lee Burke. Ich bin ehrlich und gebe zu, davor noch nie von diesem Schriftsteller gehört, geschweige denn gelesen zu haben.

Tja, so steht es um meine Allgemeinbildung. Aber egal: Nach "In the Electric Mist" habe ich beschlossen, mir zumindest mal ein Lee Burke-Buch zuzulegen, denn sollte sein Geschriebenes auch nur annähernde Ähnlichkeiten haben – und davon gehe ich jedenfalls aus – mit dem, was ich auf der Leinwand gesehen habe, dann werde ich es mögen, vielleicht sogar lieben.

FIlmstill aus "In The Electric Mist"

Berlinale

Tommy Lee Jones verläuft sich "In the Elctric Mist": Bertrand Taverniers Südstaaten-Psychogramm ist einer der besten Wettbewerbsfilme der bisherigen Berlinale 2009

Aufgrund meiner Unbelesenheit kann ich nunmehr auch schwerlich bestimmen, ob denn Tommy Lee Jones die Optimalbesetzung für den Südstaaten-Detective Dave Robichaux ist, der sich mit eiserner, eigentümlich gnädiger Miene durch his town New Iberia im Post-Katrina-Louisiana schiebt. In Taverniers Inszenierung glänzen die Oberflächen der Modersümpfe verdächtig im diffusen Licht, schwitzen die Körper der Figuren in der flirrend-heißen Luft.

Past = Present = Future

Robichaux jedenfalls hat gut zu tun, nachdem die verstümmelte Leiche eines 19-jährigen weißen Mädchens gefunden wird. Ich erwähne die Hautfarbe auch deswegen, da im südlichen Süden der USA die Rassen-Segregation zwar wie überall sonst abgeschafft worden ist, sich die Vorurteile und Rassismen aber vielleicht stärker als überall sonst in die Gegenwart verschleppt haben. Eben das ist auch der Ansatzpunkt von Taverniers Film, der kein Thriller, sondern vielmehr ein Psychogramm, nicht von Einzelnen, sondern von einer ganzen Region sein will: Die Mördersuche, das Verdächtigenspiel wird zwar im Vordergrund ausgespielt, essenziell aber ist, was dahinter geschieht.

Ein älterer Mann, ein Detektiv, versucht das Schloss einer versperrten Türe aufzubrechen.

Berlinale

Dave Robichaux ist dem Geheimnis auf der Spur

Ein schwergewichtiger Unterweltler, eindrücklich gespielt von John Goodman, hält die Korruptionsfäden in der Hand, produziert nebenbei noch Hollywood-Filme, selbstverständlich um die Region ökonomisch aufzupeppen. Denn Katrina hat alles verwüstet und bringt überhaupt nur Probleme: vom Sturm aufgedeckt worden ist auch die Sumpfleiche eines Farbigen, der vor mehreren Jahrzehnten Opfer einer rassistischen Gewalttat geworden ist.

Es ist eine Linie, die Tavernier vom damaligen zum heutigen Verbrechen ziehen muss : Die Details haben sich vielleicht verändert, die Motivation allerdings weniger und die Täter schon gar nicht. Fettleibige Weiße müssen damals, müssen auch heute noch ihre krummen Geschäfte beschützen – und gehen dafür über Leichen. "In the Electric Mist“"trifft der alkoholkranke Robichaux schließlich auch noch einen Konföderiertengeneral: Ein Geist, eine Halluzination, Auswuchs einer Geisteskrankheit? Oder eben auch nur ein Teil jener Vergangenheit, die im Unterbewusstsein die Geschicke dieser Gegend immer noch steuert?

Zeit zum Abschminken

Taverniers Film gehört hier bei der Berlinale bisher zu den eindrücklichsten, wiewohl missverstandenen Filme des Wettbewerbs: Eine andere Arbeit, die gestern Abend bei der ersten Pressevorführung von einigen Kollegen mit Buh-Rufen aus dem Saal gepfiffen worden ist, ist das experimentelle Weltbefindlichkeitsdrama Rage der britischen Ausnahmeregisseurin Sally Potter (Orlando). Bereits vor einigen Jahren ist sie hier in Berlin mit ihrem sehenswerten, in Versen formultierten Beziehungsfilm "Yes" gescheitert, mit "Rage" wird es ihr wohl kaum anders ergehen.

Eine Frau sitzt vor einer knallpinken Wand und hält einen Joint in der einen, eine Pistole in der anderen Hand

Berlinale

Dame Judi Dench ist als zynische Mode-Journalistin mit den notwendigen Werkzeugen ihres Berufs ausgestattet: Joint und Pistole

Potter versucht darin – ich weiß gar nicht, ob sie es schafft – die neuen Medien auf die Leinwand zu hieven: ein Digitalfilm, der montiert ist aus mit einer Handykamera eingefangenen Interviews mit Mitgliedern des Londoner Fashion-Zirkus. Ohne Netz und doppelten Boden serviert sie Schauspieler vor einem Bluescreen, dessen einziges dramaturgisches Moment der Farbwechsel ist. Potter geht es darum, dieser eitlen, selbstverliebten Branche die Selbstdarstellungsmöglichkeiten zu rauben, lässt sie ansonsten aber vollends in ihren Klischee-Fantasien aufgehen.

Ein stark geschminkter Mann in Frauenkleidern

Berlinale

So schön kann doch kein Mann sein: Jude Law in Sally Potters "Rage"

Dame Judi Dench etwa brilliert als scharfzüngige, zynische Journalistin, die das Geschehen im Designer-Haus Edie’s zwar aus der Distanz kommentiert, deren Lebensglück jedoch merklich an den Entwürfen des Chef-Coutouriers Merlin hängt. Jude Law schlüpft in die Rolle von Minx und damit in außergewöhnliche Drag-Kostüme: der britische Schauspieler ergeht sich im Posen-Spiel, rückbindet seine hedonistische Kreation an die Kunstphilosophien eines Andy Warhol, wirkt dabei wie ein unzeitgemäßes Relikt aus den Disko-Exzessen der Siebziger- und Achtziger-Jahre. Außerdem mit dabei sind Steve Buscemi, John Leguizamo und Dianne Wiest. Mit Sicherheit der ungewöhnlichste und mutigste Wettbewerbsfilm der diesjährigen Berlinale.

Osterweiterung

Ich bin ja ein Fan von Hans-Christian Schmid; für mich einer der wenigen deutschen Regisseure, die sich immer wieder zum Genre hin öffnen (etwa mit "23" oder "Requiem"), gleichzeitig aber in ihrer Erzählhaltung und Inszenierung kompromisslos verfahren. Insofern habe ich mich ungemein gefreut über die Nachricht, dass sein neuer Film Sturm in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen worden ist.

Erzählt wird eine äußerst komplexe Geschichte: Hannah Maynard (Kerry Fox, bekannt etwa aus "Intimacy") ist Anklägerin am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag und arbeitet gerade an einem der wichtigsten Fälle ihrer bisherigen Karriere. Auch da ihr die Beförderung von einem männlichen Kollegen weggeschnappt worden ist, hängt sie sich besonders ins Zeug, um den serbischen Nationalisten und ehemaligen General der jugoslawischen Volksarmee Goran Duric für die Deportation und anschließende Exekution von bosnisch-muslimischen Zivilisten zu verurteilen.

Unglücklicherweise erweist sich Maynards Schlüsselzeuge als Lügner und die ambitionierte Juristin muss schließlich vor Ort in der Republika Srpska nach neuen Möglichkeiten suchen, um zu einem gerechten Urteil zu kommen.

eine junge frau steht im vordergrund, eine ältere frau steht im hintergrund

23/5, Zentropa, IDTV, Gerald von Foris

Ein Sturm zieht auf: Hannah Maynard (Kerry Fox, hinten) hofft mit der im deutschen Exil lebenden Mira Arendt (Anamaria Marinca) eine neue Schlüsselzeugin gefunden zu haben

Aber was ist Gerechtigkeit? Eine rechtsphilosophische Grundfrage, die nicht nur, aber schon auch im Zentrum von Schmids Sturm steht: denn der internationale Gerichtshof der UN ist auch ein bürokratischer Apparat, der nach strikten Regeln und Gesetzen funktionieren muss, aber gerade deshalb schwerlich in der Lage ist, auf die konstanten Veränderungen zu reagieren. Schmid buttert seinen Film aber nicht zu mit Theorien oder Begrifflichkeiten, er baut auf der Dialektik zwischen Rechts- und Gefühlssystem einen spannenden Krimi auf: Es ist vielleicht nicht sein bester, aber wahrscheinlich reifster Film.