Erstellt am: 7. 2. 2009 - 17:59 Uhr
Journal '09: 7.2.
"Machst du noch was über die Pius-Brüder?", fragt meine Freundin, "oder ist dir das zu wurscht?"
Ja und nein.
Natürlich sind mir Erregungen innerhalb der katholischen Kirche und der von ihnen vertretenen Gläubigen mehr als ein bissl wurscht - weil ich da ja nicht dazugehöre.
Und dass ein stockkonservativer, global agierender, auf Gewinn angelegter und extrem lukrativer Konzern wie die Amtskirche (noch dazu unter einer selbst für ihre Verhältnisse recht reaktionären Führung) die alte katholische Tradition des Anti-Semitismus (mit der man vor allem im zweiten Fünftel des letzten Jahrhunderts trittbrettfahrermäßig gut unterwegs war) wieder aufnimmt und ein paar Holocaust-Leugner pardoniert, ist ebenso logisch und nicht diskussionswert wie die Tatsache, dass die hierzulande aktiven Islam-Lehrer in großem Umfang europäische Werte-Maßstäbe wie Demokratie u.ä. nicht teilen mögen.
Denn auch hier handelt es sich ja nicht um vergeistigt Erleuchtete, die einfach ihren Glauben (und die den großen Religionen inneliegende Toleranz) lehren, sondern um einen rivalisierenden Welt-Konzern, dem es auch nur um Quoten, Marktanteile und Boni geht.
Wer sich also über derlei Vorkommnisse wundert, über den wundere ich mich - außer über die sich auch hier gerne blödstellenden und daraus eine künstliche Empörung ziehenden Kollegen und politischen Kleingeldwechsler aller Kaliber: für die darf so etwas wie eine professionelle Verachtung gelten.
Eigentlich.
Denn natürlich gibt es - wie so oft - eine halbwegs akzeptable Ausrede. Nämlich die (mittlerweile weithin akzeptierte) These, dass es mittlerweile einzig die Kommunikation über Skandale wäre, mit der man die Menschen nicht nur erreichen, sondern auch über die Werte und die Moral ihrer Gemeinschaft nachsinnen ließe. In der Kulturzeit dieser Woche wurden anläßlich der diversen Vorkomnisse einschlägige Experten und Publikationen befragt/zitiert.
Skandalkommunikation ist Werte-Kommunikation, bedeutet, über den aktuellen Stand der Moral zu reden.
Denn all diese Themen der derzeitigen Erregung (aktuell kommen da auch noch die Fälle der Alt-Nazis Helm und Asner dazu, die Bände über die aktuelle Position der Übernahme von Verantwortung sprechen) bedeuten für jene, die sich dran beteiligen, Position zu beziehen. Zumindest kurz - und wenn nicht öffentlich, dann für sich selber.
Und das ist nichts, was schaden würde,
im Gegenteil.
Die Verteidiger der Skandal-Kommunikation meinen, dass sie im Rahmen der aktuellen Medien-Rezeption gar keine anderen Möglichkeit hätten, als mit Überspitzung und Skandalisierung (samt der nachfolgenden Aufgeregtheit) reinzufahren - weil sie ja auch die Konkurrenz des hochgepimpten Blödsinns aus den LindsayLohan-Welten und die ebenso künstlich inszenierten innenpolitischen, immer auf Personen zentrierten Debatten wegdrücken müssen.
Ich meine da: ja und nein (schon wieder).
Denn natürlich ist die Skandal-Kommunikation für die absolute Mehrheit der Menschen, die sich mit dem, was passiert, nicht wirklich beschäftigen wollen (sondern sich in Eskapismus aller Art üben - egal ob man sich zudröhnt, versteckt oder mit dem Sich-Lustig-Machen über Druckfehler in Österreich begnügt), die einzige Gelegenheit, sich zu positionieren - weil es so leicht ist, so einfach.
Ebenso klar ist aber, dass aus der Skandal-Kommunikation, die an der Oberfläche pickenbleibt, sich nichts entwicklen kann - und genau das ist notwendig.
Anderswo, also in Diskursen von Nationen, die eine demokratische Tradition haben und da nicht derart schwach entwickelt sind wie Österreich, geht sich das deswegen aus, weil es da neben der Skandal-Kommunikation auch eine davon unabhängige Debatten-Kultur gibt. Wenn jemand, der in einem bestimmten Feld eine gewisse Definitionsmacht hat, ein Thema oder ein Feld anreißt, dann wird es (in den USA, im UK, in Deutschland, Frankreich oder auch der Schweiz) recht skandalfrei diskutiert.
Es gibt in Österreich keine skandalfreie Diskussion
Diese Tradition, dass nämlich eine Diskussion, eine Debatte auch thematisch und nicht nur via Skandal-Zuschreibung funktioniert, die existiert in Österreich nicht.
Schlimmer noch: die durch Buckel-Monarchie, Metternich-Spitzelei, Ständestaat-Mief und Nazi-Terror völlig abgetötete Diskussionskultur wurde in der 2. Republik auch nur ungenügend reaktiviert (wogegen sich eine Nation von Blockwarten auch zu wenig gewehrt hat), weshalb es dann so kommen musste, wie es kam. Dass nämlich ein Skandaldiskussionsmächtiger und - superbegabter wie Jörg Haider und seine Freunde des 3. Lagers die Definitions-Macht über diese einzige Form der Auseinandersetzung erlangen konnten und damit den Rest der Republik vor sich hertreiben können.
Denn auch das zeigte der Club 2 von Mittwoch: die medial ein wenig gar oberflächlich inszenierte und von den Gegnern ein wenig hilflos geführte Skandal-Debatte um den 3. Nationalratspräsidenten Graf und dessen weicher Distanzierung von Nazi-Umtrieben in seiner engeren Umgebung, nützte dort nur Mölzer/Höbelt, Haiders Theoretikern, die inhaltliche Themenführerschaft betrieben, und die Grenzen dessen, was man öffentlich aussprechen und diskutieren kann, wieder einmal auszudehnen verstanden. Würde es eine Debatten-Kultur geben, die den Boden, auf dem derlei passieren kann, durchbesprochen hätte, müsste man sich nicht im Rahmen einer aufgeregt verhaspelten Skandal-Kommunikation drüber erregen (um sich damit automatisch erreg- und damit angreifbar zu machen), könnte sowas nicht passieren.
Meiner Ansicht nach hilft da (falls in diesem leider immer noch hart am Rande der Suche nach dem Autoritären tänzelndem Land überhaupt noch der Turnaround zu wirklich seriösen demokratischen Strukturen möglich ist) nur die Doppelstrategie.
Wem jetzt hier auffällt, dass ich hier im Journal beides versuche, also sowohl die klassische bewusste und aktuelle Provokation zu setzen, als auch immer wieder Nachdenk-Futter anzubieten, das - weil ohne aktuelle Skandal-Anbindung - in aller Unaufgeregtheit daherkommt, der hat mich durchschaut: ich versuche mich an meine eigenen Absprüche zu halten.
Das bedeutet:
Neben der nicht abzutötenden, hochpopulären und von Populisten aller Sorten (Politik, Medien etc) geliebten Skandal-Kommunikation, die der das Herz da gern auf der Zunge tragenden Mehrheitsbevölkerung zu eh zu selten getätigter Äußerung verhilft, braucht es den antizyklischen unaufgeregten Diskurs.
Es braucht die Themensetzung durch Themensetzer.
Es bedeutet, sich der einem selber wichtigen Themen immer wieder (und am besten aus interessanten Gesichtspunkten heraus) anzusprechen, anstatt hinter dem von anderen aufgewühlten Schlamm herzuhampeln und dabei Dreck abzubekommen.
Es bedeutet zu agieren, anstatt zu reagieren.
Es würde für die Politik den Mut bedeuten, das auf den Weg zu bringen, was nötig wäre, anstatt jedes Detail vorher angsterfüllt auf Popularitäts-Werte abzutesten, weil der reine Machterhalt wichtiger ist, als der eigentliche Sinn des Jobs.
Und es würde für Medien bedeuten, sich auf die zentrale Aufgabe zu besinnen - und die ist nicht, brav und angepasst hinter Ereignissen hinterherzuberichten, sondern Fragen zu stellen und in Frage zu stellen und vor allem dort Debatten loszutreten, wo es Not tut, schwierig ist. Und das geht über das bequeme Hinterhertapsen in Skandal-Fällen weit hinaus - im Fußball-Klischee-Jargon hieße das: dorthin gehen, wo's weh tut.